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Direkte Demokratie in Zeiten des Rechtspopulismus

Am 5. Juli lud unsere Fraktion zum Fachgespräch „Direkte Demokratie in Zeiten des Rechtspopulismus“ ein. Zu Gast waren Privatdozent Dr. Gideon Botsch vom Moses Mendelssohn Zentrum, Daniel Krüger vom Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung – demos, Dr. Anne Ulrich von der Heinrich-Böll-Stiftung und Oliver Wiedmann von Mehr Demokratie e.V., Landesverband Berlin/Brandenburg. Das Gespräch fand wenige Tage nach dem Brexit-Votum der Britinnen und Briten statt und hatte mit rund 40 diskussionsfreudigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern regen Zulauf.

Unsere bündnisgrüne Fraktion setzt sich seit jeher dafür ein, dass Bürgerinnen und Bürger Politik aktiv mitgestalten. In einer Zeit, in der Rechtspopulisten Hetze gegen Flüchtlinge und Minderheiten verbreiten und für sich reklamieren „Volkes Wille“ zu vertreten, stellen wir uns die Frage: Was bedeutet Direkte Demokratie für uns Bündnisgrüne in Zeiten von Afd, Pogida und Co.?

PD Dr. Gideon Botsch und Oliver Wiedmann, Foto: Laura Englert/Fraktion

Gideon Botsch referierte über das Grundsatzprogramm der AfD. Dieses widme einen langen Abschnitt der Direkten Demokratie, wobei sich die Kritik der AfD nicht primär auf die Verwaltung, sondern auf die Parteien und Parlamente beziehe. Die AfD stelle Kernrechte des Parlaments in Frage, damit liege sie inhaltlich dicht an der NPD, die ein plebiszitäres Präsidialsystem fordert. Die Ursache der Nähe sei ein gemeinsamer Nenner: Die Absage an eine pluralistische Gesellschaft und die Berufung auf ein homogenes Volk. Aus seiner Sicht müssten Wege zur Verbesserung der Direkten Demokratie gesucht werden, davon abzusetzen sei eine Demokratiedebatte, die die reale Demokratie diskreditiert.

Anne Ulrich beschrieb die von hoher Engagementbereitschaft einerseits und gleichzeitigen Politikverdruss geprägte aktuelle Lage und ging auf die Tücken der Direkten Demokratie ein: Eine Ja/Nein Entscheidung ersetze zumeist nicht das Aushandeln von Kompromissen und Lösungen. Direktdemokratische Instrumente sollten eingebunden sein in eine „vielfältige Demokratie“, die sich aus der Zivilgesellschaft („vorpolitischer Raum“), der Meinungsbildung durch Bürgerbeteiligung und Parteien und der Beschlussfassung durch Parlamente zusammensetzt. Eine liberale Demokratie sei keine Frage der reinen Mehrheitsentscheidungen, sondern sei eingebettet in rechtsstaatlich abgesicherten Schutz von Meinungsfreiheit, Menschenrechten und Minderheitenschutz.

Dr. Anne Ulrich und Daniel Krüger, Foto: Laura Englert/Fraktion

Oliver Wiedmann machte in seinem Vortrag deutlich, dass er sich auch in Zeiten des Rechtspopulismus für direktdemokratische Entscheidungen einsetzt. Solange es eine präventive Normenkontrolle vor Volksentscheiden gebe, mit der überprüft wird, ob ein Anliegen mit Minderheitenrechten, Grundrechten und Völkerrecht vereinbar ist, seien Sorgen unbegründet. Zudem sei ein Volksentscheid allein aufgrund der Länge des Verfahrens, bis es zu einem solchem kommt, gar nicht geeignet für populistische Schnellschüsse- in Brandenburg, wo es bisher noch keinen einzigen Volksentscheid gab, müsse man z.B. mit einer Verfahrensdauer von zweieinhalb Jahren rechnen. Zudem würden oft Kompromisse mit dem Parlament ausgehandelt, nicht immer gehe es um eine bloße Ja/Nein Entscheidung. Er sprach sich dafür aus, den Bürgerinnen und Bürgern mehr Vertrauen zu schenken und nannte erfolglose Bürgerentscheide gegen den Bau von Flüchtlingsunterkünften als Beispiel.

Daniel Krüger stellte dar, in welcher Weise Forderungen nach Beteiligung und direkter Demokratie in den Protesten gegen Flüchtlinge, gegen Flüchtlingsunterbringungen oder gegen die Asylpolitik der Bundesregierung eine Rolle spielten. Demnach ging es in den Forderungen weniger um die Gestaltung partizipativer Verfahren. Vielmehr waren sie - neben Beispielen verklausulierter Ausländerfeindlichkeit - Ausdruck einer Kritik an Verwaltungshandeln, an politischen Entscheidungen und deren Rahmenbedingungen. Darauf Einfluss hatte zum einen das Gefühl, dass die eigenen Interessen nicht vertreten wären, zum anderen die Vorstellung, dass die eigenen Interessen einem Mehrheitswillen entsprächen. Die zugrundeliegenden Konflikte vor Ort konnten allerdings in vielen Fällen durch Kommunikation und Transparenz bearbeitet werden.

Unserer Landtagsfraktion ist nach dem Fachgespräch klar geworden: Wenn Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten Direkte Demokratie einfordern, folgen sie eher einem antidemokratischen Reflex und richten sich dabei massiv gegen den Parlamentarismus. Die Eingangsfrage – was bedeutet Direkte Demokratie in Zeiten des Rechtspopulismus für uns Bündnisgrüne? – konnte noch nicht abschließend beantwortet werden. Wir möchten uns daher weiter aktiv mit dem Thema auseinandersetzen.