Zum Inhalt springen

Axel Vogel spricht zur Regierungserklärung

>> Rede Axel Vogels im rbb (Video)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Unser Ministerpräsident und sein Fraktionsvorsitzender wollten heute eine fulminante Leistungsschau zum Besten geben. Ehrlich gesagt werde ich das Gefühl nicht los, dass wir zum Besten gehalten worden sind.

Etwas skurril ist es bereits, einen Koalitionsvertrag unter das Motto „Den Aufbruch vollenden“ zu stellen. Ginge es nur um die Abarbeitung der offenen Restanten von Rot-Rot aus der vergangenen Legislaturperiode, so wäre das Motto noch zu verstehen. Dass die Koalition aus SPD und Linken sich damit allerdings für die Vollendung des Aufbruchs der Friedlichen Revolution für zuständig erklärt, verschlägt dann aber vielen Menschen hierzulande die Sprache. 1989 gingen die Menschen gegen die Machtausübung und den Sicherheitsapparat der SED auf die Straße.

(Beifall bei der CDU sowie vereinzelt AfD)

Dass und wie 25 Jahre später deren Nachfolgepartei den Aufbruch der Friedlichen Revolution mit zum Abschluss bringen soll, das versteht sich für viele Menschen nicht von selbst; das ist zumindest erklärungsbedürftig. Welchen Wandel hat die Linke durchgemacht, dass sie ein solches Vertrauen verdient?

(Oh! bei der Fraktion DIE LINKE)

Dazu hätte der Ministerpräsident einige ergänzende Worte sagen sollen. Man hätte es vermutlich auch begründen können.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU und AfD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten auch nicht übersehen, dass die Friedliche Revolution von 1989 nicht primär ein ökonomisches Projekt war. Für die Menschen ging es zuallererst um den Aufbruch in ein demokratisches und vereintes friedliches Deutschland, nicht um die Komplettierung des Wirtschaftsstandortes Deutschland. Dieser Aufbruch wird daher auch nicht vollendet sein, wenn Brandenburg pünktlich zum Auslaufen des Solidarpaktes finanziell auf eigenen Füßen steht.

Das ist ein wichtiges Ziel; die deutsche Einheit werden Sie damit aber auch 2019 noch lange nicht erreicht haben. Der ökonomische Abstand zu vergleichbaren westdeutschen Flächenländern wird sich auch in den nächsten fünf Jahren nicht wesentlich verringern; denn trotz kräftigen Wirtschaftswachstums holen die Ost-Länder nicht auf, sondern verlieren den Anschluss.

Entgegen der Darstellung des Ministerpräsidenten laufen wir seit 2000 bei einer Vielzahl von ökonomischen Kennzahlen fast jedes Jahr der Entwicklung hinterher, ohne den Bundesdurchschnitt zu erreichen. Nach einer Veröffentlichung des Statistischen Landesamtes vom 13.05. dieses Jahres verfügen Brandenburger Haushalte über immer höheres Einkommen, aber der Rückstand zum Bundesdurchschnitt vergrößert sich. Es wäre deshalb gut, wenn die Regierung sich und anderen nichts vormachen und Kritik hier nicht immer als Nestbeschmutzung gebrandmarkt würde.

(Beifall B90/GRÜNE, AfD sowie vereinzelt CDU)

Im Gegensatz zur gerne verbreiteten Darstellung eines Brandenburger Sonderweges spielt Brandenburg nämlich keine herausragende Rolle bei der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern schwimmt im Pulk der ostdeutschen Bundesländer mit. Laut Institut für Wirtschaftsforschung Halle hat sich der Abstand der neuen Länder bei rund zwei Dritteln des Bruttoinlandprodukts je Einwohner eingependelt. Damit haben wir den Entwicklungsstand der westdeutschen Wirtschaft Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts erreicht. Das ist nicht schlimm, aber dieser Rückstand hat einen Grund und wir können ihn hier nicht beheben. Wenn 97 % des Vermögens im Westen beheimatet sind, kein einziger Dax-Konzern seine Zentrale in einem der ostdeutschen Bundesländer hat und das Nettoeinkommen trotz massiver Transferzahlungen aus den Sozialversicherungssystemen nur bei 80 % des Bundesdurchschnitts liegt, gleichzeitig aber das Armutsrisiko in Brandenburg am höchsten ist, dann zeigt sich nicht nur, wie weit der Weg noch wäre, sondern es stellt sich die Frage, ob wir diesen Weg eines Aufbaus Ost - als eines Nachbaus West - überhaupt gehen sollen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Brandenburg hat mit seiner vielgestaltigen und kleinstrukturierten Wirtschaft, mit dem schon erreichten Stand beim Ausbau und Aufbau der Wind- und Solarenergie, mit dem großen Absatzmarkt Berlin vor der Haustür und als Bindeglied zwischen Ost und West das Zeug, zum bundesweiten Vorbild für eine nachhaltige Entwicklung zu werden. Mit ressourcenschonenden Produktionsverfahren und dem Vorantreiben einer kohlenstofffreien Wirtschaft könnten wir zum Musterbeispiel dafür werden, dass Ökonomie und Ökologie kein Widerspruch sind, sondern sich einander bedingen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Das wäre ein Leitbild, für das es sich eher zu kämpfen lohnte, als mit der Förderung und dem politischen Einsatz für energieund rohstoffintensive Unternehmen und agrarindustrielle Komplexe in einem verzweifelten Wettlauf Wachstumsraten nachzulaufen - ohne die geringste Aussicht, jemals auf Düsseldorfer oder Münchner Niveau zu landen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, 1990 wollte Brandenburg noch die modernste Verfassung eines deutschen Bundeslandes auf den Weg bringen. Das ist gelungen, genauso wie Brandenburg das modernste deutsche Naturschutzgesetz auf den Weg brachte, als bundesweites Vorbild die Weichen für den Aufbau der erneuerbaren Energien stellte, sozialpolitische Highlights wie ein bis heute vorbildliches Weiterbildungsgesetz auf den Weg brachte und mit LER eine Alternative zum verpflichtenden Religionsunterricht schuf. Sie war umstritten, aber Brandenburg wollte eben nicht nur anders, sondern in der Tat Vorbild sein. Von diesem Elan und Anspruch ist heute nichts übriggeblieben.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU)

Inhaltliche Gestaltungsansprüche sucht man mit der Lupe. Wie könnte es auch anders sein, wenn man erklärtermaßen keinen neuen Aufbruch wagt? „Verwalten statt gestalten“ lautet die Devise; Visionen gibt es dementsprechend höchstens bei der Frage künftiger Verwaltungsstrukturen im Rahmen einer Kommunalreform. Vorbei die Zeiten, wo man anderen zeigen wollte, was eine Landesregierung auf die Beine stellen kann! Heute
- unter Rot-Rot - will das in einer Ampelkoalition einst vorbildliche Naturschutzland Brandenburg mit seiner reichhaltigen Naturausstattung im Naturschutz erklärtermaßen nur noch bundesdeutsches Mittelmaß sein. Das trifft mich persönlich ins Mark.

In anderen Politikfeldern, beim Pro-Kopf-Ausstoß von Treibhausgasen angefangen, wären wir dagegen schon froh, am Ende der Legislaturperiode wenigstens Mittelmaß zu sein, endlich die rote Laterne beim Betreuungsschlüssel in den Kitas loszuwerden,

(Beifall B90/GRÜNE)

im Englischunterricht den Anschluss nicht zu verlieren oder vom letzten Platz bei der Hochschulfinanzierung loszukommen. Solche Anstrengungen sind allerdings aller Ehren wert und wir wären begeistert, wenn in den nächsten fünf Jahren wenigstens der Flughafen BER vollendet wäre - und zwar mit einem konsequenten Nachtflugverbot - und die Betroffenen tatsächlich mit dem bestmöglichen Lärmschutz ausgestattet wären.

(Beifall B90/GRÜNE)

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn man sich die Hauptziele dieser Regierung ansieht, so stellt man fest, dass das neben der im Wahlkampf peinlichst verschwiegenen Kommunalreform ein Nachsteuern bei der Polizeireform - genannt Sicherheitsoffensive -, ein Nachsteuern bei der miserablen Personalausstattung der Schulen und Kitas - erstaunlicherweise nicht Bildungsoffensive genannt - sowie die Linderung des Investitionsstaus in der öffentlichen Infrastruktur - genannt Investitionsoffensive sind. Aber sehr offensiv ist das in Wirklichkeit nicht, sondern defensiv. Es klingt nach Nachsitzen statt Aufbruch 2.0.

(Beifall B90/GRÜNE und vereinzelt CDU und AfD)

Die Regierung will das in den letzten fünf Jahren Versäumte nachholen und hofft, dass man ihr dafür auf die Schulter klopft; aber das reicht uns nicht.

(Beifall der Abgeordneten Nonnemacher [B90/GRÜNE])

Wieso man sich so bescheidene Ziele setzt, vermag ich nicht zu beurteilen. Vielleicht ist einer der Gründe, dass bei der Koalitionsbildung gar nicht inhaltliche Unterschiede den Ausschlag gaben, sondern die Frage nach Eigenschaften des jeweiligen Führungspersonals. Ich denke, in seiner niederträchtigen Art hat Herr Ness das heute wieder bestätigt. Was hier abgelaufen ist, ist ein beispielloser Bruch des Vertrauens und der Vertraulichkeit.

(Beifall B90/GRÜNE, CDU und AfD sowie der fraktionslosen Abgeordneten Frau Schülzke, Schulze und Vida)

Man muss ja nicht ein Fan der CDU sein. Aber was, wie ich denke, überhaupt nicht geht, ist, dass man vertrauliche Sondierungsgespräche führt und hinterher genüsslich all das, was man unter dem Siegel der Vertraulichkeit miteinander besprochen hatte, an die Öffentlichkeit bringt, um den Gegner zu desavouieren. Das ist Machiavellismus; das sollten wir hier in diesem Hause nicht tätigen.

(Beifall B90/GRÜNE, CDU und AfD sowie der fraktionslosen Abgeordneten Frau Schülzke, Schulze und Vida)

Aber um bei den bescheidenen Zielen der Landesregierung zu bleiben: Dazu passt auch, dass der Ministerpräsident die Chance für eine grundlegende Kabinettsumbildung nicht genutzt hat. Eine Kommunalreform einzufordern, ohne durch eine Reduzierung der Zahl der Ministerien mit gutem Beispiel voranzugehen, ja sogar noch die Zahl der Staatssekretäre zu erhöhen: Das passt nicht zusammen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU, AfD sowie der fraktionslosen Abgeordneten Frau Schülzke, Schulze und Vida)

Dass die SPD zwar die Frauenquote für Aufsichtsräte in Unternehmen fordert, sie im eigenen Kabinett aber weit verfehlt: Das passt nicht in die Zeit.

(Beifall B90/GRÜNE sowie des Abgeordneten Burkardt [CDU])

Und dass der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen deutlich gemacht wurde, dass in der Brandenburger SPD keine ministrablen Frauen zur Verfügung gestanden hätten,

(Beifall B90/GRÜNE)

ist ein Affront, der, denke ich, wohl innerparteilich in der SPD auch noch nicht ausgestanden ist. Herr Ministerpräsident, falls das Argument mitschwingt, dass das Amt einer Ministerin und eine Elternschaft einander entgegenstünden, wäre es angebracht, dafür zu sorgen, dass durch veränderte Arbeitsbedingungen beides in Einklang gebracht werden kann - ein Anspruch, den wir gegenüber der freien Wirtschaft schließlich auch vehement erheben.

(Beifall B90/GRÜNE und CDU sowie der fraktionslosen Abgeordneten Frau Schülzke, Schulze und Vida)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zu einem anderen Thema: Ich möchte auf eine weitere Erkenntnis der bereits angesprochenen Hallenser Wirtschaftsstudie zurückkommen. Als wesentlichen Grund für unseren ökonomischen Rückstand nennt das IWH die sinkende Zahl Erwerbstätiger im Osten. Nach einer anderen aktuellen Studie leben 97 % der Menschen mit Migrationsgeschichte in den alten Bundesländern. Man kann hier durchaus einen Zusammenhang sehen. Zitiert sei Prof. Ragnitz: „Hinzu tritt ein Elitenproblem, denn in den vergangenen 25 Jahren haben vor allem jüngere und höher qualifizierte Menschen den Osten verlassen, die heute mit Blick auf politisches wie bürgerschaftliches Engagement fehlen.“

Die Regierung verweist darauf, dass erfreulicherweise früher abgewanderte Brandenburgerinnen und Brandenburger wieder zurückkehren. Das wird aber nicht ausreichen, um die zunehmend fehlenden Fachkräfte und aktiven Bürgerinnen und Bürger zu ersetzen. Wenn nach vielen Jahren mit Bevölkerungsverlusten und rückläufigen Zuwandererzahlen nun plötzlich Menschen in größerer Zahl vor Krieg und Verfolgung zu uns nach Brandenburg flüchten, könnten wir das neben der humanitären Herausforderung auch als eine besondere Chance für unser Land begreifen.

(Beifall B90/GRÜNE und der Abgeordneten Große [DIE LINKE])

Viele dieser Neuankömmlinge wollen gar nicht zurückkehren, sondern suchen in der Tat hier eine neue Heimat, einen neuen Platz zum Leben und Arbeiten. Brandenburg muss 3,08 % der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge aufnehmen. Das sind 2014 rund 6 100 Menschen - nicht einmal drei Flüchtlinge pro tausend Einwohner. Das wird uns doch bei etwas gutem Willen nicht überfordern! Es sollte uns auch nicht überfordern, wenn, was absehbar ist, jedes Jahr ähnlich viele Menschen zu uns flüchten, denn nach der offiziellen Bevölkerungsprognose werden wir bis 2030 trotz Zuwanderung jährlich 10 000 Einwohner verlieren. Bis 2030 werden das 160 000 Menschen sein; das entspricht der Einwohnerzahl der Stadt Potsdam.

Die Schwierigkeiten bei der menschenwürdigen Aufnahme dieser Flüchtlinge will ich nicht kleinreden. Nach dem Tiefstand bei den Flüchtlingszahlen 2007 wurden allerdings wenig geeignete Unterbringungskapazitäten in Massenquartieren aufgegeben. Das gibt uns aber heute auch die Chance, angemessene Unterkünfte in Wohnungen und kleineren Wohneinheiten zu schaffen und so nebenbei auch die Integration der Zuwanderinnen und Zuwanderer zu befördern.

(Beifall B90/GRÜNE sowie des Abgeordneten Schulze [fraktionslos])

Wir Grünen erkennen ausdrücklich an - wenn die Frage sein sollte: Wo bleibt das Positive? -, dass der Koalitionsvertrag sich diesem Thema ausführlich widmet, auch wenn die Antworten häufig noch vage sind. Natürlich muss jetzt vorrangig die bereits in der letzten Periode geforderte und bislang an den Kreisen gescheiterte Unterbringungskonzeption erarbeitet und vereinbart werden. Die angekündigte Weiterentwicklung des Integrationskonzeptes, das von der Erfüllung der Schulpflicht bis zur Finanzierung von Deutschkursen für Erwachsene Aussagen treffen und auch auf die Sorgen der Menschen vor Ort eingehen muss, darf deshalb aber nicht auf die lange Bank geschoben werden.

Dabei müssen wir auch Antworten auf die Hass säenden Rechtsextremisten finden, die sich in den sozialen Netzwerken im Internet ausbreiten und inzwischen im Wochenrhythmus mit fremdenfeindlichen Aktionen vor vorhandenen oder geplanten Flüchtlingsunterkünften Angst und Schrecken verbreiten. Zudem müssen wir - das füge ich auch hinzu - gegen die nicht einmal besonders subtil vorgetragenen Ressentiments von Rechtspopulisten auftreten und uns dem entgegenstellen. Herr Christoffers, recht herzlichen Dank dafür, dass Sie das heute sehr deutlich gegenüber Herrn Gauland zum Ausdruck gebracht haben.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

Von landesweiten Initiativen wie „Tolerantes Brandenburg“ oder „EXIT“ bis hin zu lokalen Initiativen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit oder auch Einzelaktionen von Menschen, die in Flüchtlingsheimen Deutschunterricht geben oder Patenschaften übernehmen - es muss alles gestärkt werden, was der Verbreitung dumpfer Ressentiments Widerstand entgegenstellt.

(Beifall B90/GRÜNE)

Um größtmögliche Wirksamkeit zu erreichen, ist es wichtig, dass das angekündigte neue Landesintegrationskonzept auf breiter Basis erarbeitet und von allen demokratischen politischen Kräften - von CDU bis Grüne - mitgetragen wird. Hier sichern wir Ihnen unsere volle Unterstützung und Bereitschaft zur Mitarbeit zu.

Diese Zusage gilt auch dem neuen Innenminister, dessen Handeln als Landrat in der Vergangenheit nicht geeignet war, Vertrauen in seine menschlichen Kompetenzen im Umgang mit Flüchtlingen zu begründen. Jetzt kann er zeigen, dass er eben nicht der „Sarrazin der Brandenburger SPD“ ist, sondern - ganz im Gegenteil - ein Garant für eine menschenwürdige Flüchtlingspolitik werden will.

Lassen Sie mich zu einer Kernfrage für unsere zukünftige Existenz, der unzureichenden Verankerung einer nachhaltigen Entwicklung und damit zum fehlenden grünen Faden in der Koalitionsvereinbarung kommen. Über Jahre hinweg hat immerhin ein Nachhaltigkeitsbeirat der Landesregierung getagt und wurde eine Nachhaltigkeitsstrategie entworfen, die einige Schritte in die richtige Richtung zeigt und die mit einem ergänzenden Forderungskatalog des Beirates versehen ist.

Darüber hinaus wurde der Landesaktionsplan „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ von mehr als 100 mitwirkenden Initiativen erarbeitet. Wenn also von Zukunftsgestaltung und einem enkeltauglichen Brandenburg die Rede ist, dann müsste die Regierung doch bei der Umsetzung all dieser Programme ansetzen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Diesbezüglich stellen wir aber fest: Das Megathema „Nachhaltigkeit“ wird unverändert dem Politikfeld „Umwelt“ zugeordnet und in zwei Sätzen abgehandelt. Der erste Satz heißt - sehr gut -: „Nachhaltigkeit ist eine Querschnittsaufgabe für alle Politikbereiche.“ Nur, wenn das so ist, dann stellt sich die Frage, warum das Thema
Nachhaltigkeit nicht in der Staatskanzlei angesiedelt ist und warum es sich nicht als Leitfaden durch den Einführungsteil für die gesamte weitere Koalitionsvereinbarung zieht. Wie kommt es beispielsweise, dass der Aktionsplan „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ im Bildungsbereich überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wird?

(Beifall B90/GRÜNE)

Der zweite Satz lautet: „Die Nachhaltigkeitsstrategie des Landes wird fortgeschrieben.“ Möglicherweise ist dem neu zuständigen Minister noch gar nicht bekannt, dass die Nachhaltigkeitsstrategie des Landes erst 2014 verabschiedet wurde. Müsste da nicht der erste Satz heißen, dass sie umgesetzt wird?

(Beifall B90/GRÜNE)

Wir denken, das ist keine Gedankenlosigkeit, sondern Absicht. Unbequemen Zielsetzungen und Forderungen nach einer anderen Politik geht man so am besten aus dem Weg.

Nehmen wir uns als Beispiel eines bewussten Ausblendens einer nachhaltigen Entwicklung die Energiepolitik vor: Es gibt etliche lösbare Schwierigkeiten, die der vollständigen Umstellung unserer Stromversorgung auf erneuerbare Energien entgegenstehen. Das ist wahr. Dass die Kosten für die Energiewende ungerecht verteilt sind, ist auch richtig. Welchen Anteil die Landesregierung mit ihrem Eintreten für die weitestgehende Befreiung energieintensiver Betriebe von der EEG-Umlage hat, das wird allerdings verschwiegen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Aber der rote Faden der Koalitionsvereinbarung ist gerade nicht die Energierevolution und die schnellstmögliche Umstellung auf erneuerbare Energien, sondern die Absicherung einer möglichst langfristigen Zukunft für die Braunkohleverstromung in der Lausitz. Das Bekenntnis zum weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien wird damit vom starren Festhalten an der Braunkohleverstromung auch für die Zeit nach 2030 untergraben. Dabei wird man bewusst sprachlich ungenau. Gerade so, wie einige zum Arzt gehen und sagen, sie hätten „Rücken“ oder „Schulter“, und meinen, damit die Probleme ausreichend beschrieben zu haben, so bietet uns die Regierung „Braunkohle als Brückentechnologie“ und meint, damit die Lösung für die Probleme der Energiewende bereits ausreichend angegeben zu haben.

(Zuruf des Abgeordneten Domres [DIE LINKE])

Nur, Braunkohle ist gar keine Technologie, Braunkohle ist als fossiler Energieträger ein endlicher Rohstoff. Er besteht zu mehr als 50 % aus Wasser und muss zunächst aufwendig getrocknet werden, bevor er in ineffizienten Kraftwerken pro Kilowattstunde Strom 2 Kilowattstunden Abwärme, 1 Kilogramm CO2 und etliche Mikrogramm Quecksilber freisetzen kann. Und als endlicher Rohstoff: einmal verbrannt, für immer weg. Die hierfür eingesetzte Technologie sind mehr oder weniger modernisierte Großkraftwerke ohne Kraft-Wärme-Kopplung, die zum Teil noch aus der DDR stammen und die ihre immer wieder hinausgeschobene Nutzungsdauer sukzessive erreichen werden.

Angesichts der bevorstehenden Absage des schwedischen Eigentümers, also des Staates Schweden, von Vattenfall an die Fortführung der Braunkohlenutzung und den damit verbundenen dramatischen Umweltschäden, für die Schweden nicht mehr verantwortlich sein will, die bereits heute unter anderem den Spreewald-Tourismus und die Wasserversorgung von Gemeinden entlang der Spree bedrohen, wäre es wichtig, die Lausitz bei der Energiewende zu unterstützen, anstatt ihr im Koalitionsvertrag mit der „Weiter so!“-Strategie die Entwicklungschancen zu verbauen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Wenn Vattenfall nun seine Braunkohlesparte verkaufen will, so folgt dies knallharter betriebswirtschaftlicher Logik und ist weniger den Interventionen der Landesregierung geschuldet. Vattenfall erkennt, dass die Zeichen der Zeit gegen die Braunkohle stehen. Nachdem der Konzern in den letzten Jahren Milliardengewinne an Land gezogen hat, will dessen Geschäftsführung die Abwicklung des Auslaufmodells Braunkohleverstromung anderen überlassen.

Dass die SPD diese Verkaufsabsichten unterstützt, anstatt alle Hebel in Bewegung zu setzen, um den schwedischen Großkonzern hier zu halten und einen schrittweise und sozialverträglichen Ausstieg aus der Braunkohle abzuverlangen, ist kurzsichtig und für die Lausitz fatal.

(Beifall B90/GRÜNE)

Es geht uns übrigens auch nicht um einen Sofortausstieg, sondern wir sprechen von dem Zeitraum bis 2030. Im Gegensatz auch zur Meinung der Landesregierung ist der von uns und vielen Initiativen geforderte Plan B als nachhaltige Alternative zur Genehmigung neuer Tagebaue nicht die Ansiedlung neuer Großunternehmen. Erste Schritte wären, den bereits existierenden und vom Fachkräftemangel bedrohten Unternehmen in der Lausitz neue Perspektiven zu eröffnen und die Finanzierung auch der Lausitzer Hochschule durch Weiterreichung aller BAföG Mittel auf sichere Beine zu stellen.

(Beifall B90/GRÜNE)

Welche Schwerpunkte die Unternehmenslandschaft in der Lausitz künftig setzen soll, kann vor Ort besser entschieden werden als von Potsdam aus. Aufgabe der Landesregierung ist es daher auch nicht, diesen Plan B von oben zu oktroyieren, sondern die schon weit gediehenen regionalen Ansätze zu stärken.

Stichwort Landwirtschaft: Die Brandenburger Landwirtschaftspolitik ist leider keine Erfolgsgeschichte. Trotz beispielloser Subventionen von 400 Millionen Euro pro Jahr sinkt der Anteil der Landwirtschaft am Volkseinkommen stetig. Viel schlimmer ist aber, dass die heimische Landwirtschaft in den letzten zehn Jahren 1.400 Betriebe verlor. In einem durchrationalisierten Agrarbetrieb sind gerade noch fünf Arbeitskräfte pro 1.000 Hektar tätig. Immer mehr monostrukturierte agrarindustrielle Betriebe machen den ländlichen Raum kaputt. Dabei zerstören sie nicht die Umwelt - nein, nein -, sondern die soziale Gemeinschaft auf den Dörfern, weil sie immer weniger Beschäftigungswirkung haben.

Zunehmend wird die in der Landwirtschaft noch stattfindende Wertschöpfung aus dem Land abgezogen, weil sich überregionale Kapitalgesellschaften gar nicht erst mit dem Erwerb einzelner Flächen aufhalten, sondern gleich ganze Betriebe übernehmen und in ihre Holdings eingliedern. Der Jahresüberschuss landet dann in Hamburg oder Osnabrück, die Brandenburger Dörfer dagegen gucken in die Röhre. Die vielfältigen Landwirtschaftsstrukturen, die der Ministerpräsident vorhin angesprochen hat, sind dann bald perdu.

In der Enquetekommission 5/1 wurde das Problem des Land-Grabbings in der letzten Legislaturperiode bereits erstmals benannt und wurde auf Antrag der Fraktionen der CDU und B90/GRÜNE eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die zwar einzelne Vorschläge zur Begrenzung des Flächenerwerbs durch ortsfremde Finanzinvestoren machte, aber keine überzeugenden Ideen gegen Betriebsübernahmen einbrachte und vielleicht auch gar nicht einbringen konnte.
Das Problem liegt, denke ich, auch in der Haltung der Landesregierung und des Bauernverbandes begründet, allen wohl und keinem wehe zu sein. Die naheliegenden Lösungen von Degression und Kappung bei der Flächenprämie und der Umlenkung maximaler Mittel aus der Flächenprämie in die zweite Säule wurde unter anderem vom Landeswirtschaftsministerium verhindert. Im Ergebnis gehen die Konzentrationsprozesse ungehemmt weiter - hin zu einem, wie es Wissenschaftler nennen, neo-feudalen System, in dem einzelne Unternehmen nicht nur einzelne Dörfer beherrschen, sondern über die Landwirtschaftsflächen ganzer Kreise verfügen und die kommunalen Gebietskörperschaften vor sich hertreiben können. Das ist auch eine Bedrohung der Demokratie auf dem Land.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt AfD)

Schlimm genug, aber nicht weniger schlimm ist, dass Brandenburg zunehmend zum Eldorado für Schweinebarone und Hühnermäster wird. Allein in den letzten fünf Jahren hat das Landwirtschaftsministerium 70 Millionen Euro für die Tierhaltung locker gemacht, die insbesondere in der Hühnerhaltung zu bundesweit einmaligen Tierkonzentrationen auf engstem Raum geführt haben. Von den 5,7 Millionen Legehennenplätzen konzentrieren sich 4,9 Millionen an nur drei Standorten - alle südlich von Berlin.

Allein in Bestensee wurden 6,6 Millionen Euro für den Bau und die Umrüstung von 29 Ställen mit insgesamt 1,8 Millionen Hühnern ausbezahlt, in Neuhausen an der Spree erhielt eine andere GmbH für fünf Legehennenställe mit 1,6 Millionen Tierplätzen eine Förderung in Höhe von 3,6 Millionen Euro. Fünf Legehennenställe mit 1,6 Millionen Tierplätzen! Diese Anlagen wären in keinem einzigen westdeutschen Bundesland förderfähig gewesen.

Die Errichtung in abgezäunten Wäldern mag zwar das Tierelend vor den Augen der Besucher verstecken, ein Blick auf Google Earth macht aber jedem deutlich, dass wir es hier nicht mit landwirtschaftlichen Anlagen und schon gar nicht mit bäuerlicher Landwirtschaft zu tun haben, sondern mit einer neuen Form der Agrarindustrie, eigentlich sogar mit einer neuen Form der Forstwirtschaft, die völlig losgelöst von den regionalen Kreisläufen agiert und die die landwirtschaftlichen Flächen der Region bestenfalls als Gülledeponie gebrauchen kann.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt AfD)

Immerhin: Die Linke hat erstaunlicherweise dieses Problem erkannt und spricht in den Ergebnissen ihrer Klausur erstmals von „Massentierhaltung“, dem bisherigen No-Go-Wort für unseren Minister Vogelsänger. Die Linke spricht auch über Normen der tiergerechten Haltung an allen Standorten. Das geht weit über die Koalitionsvereinbarung hinaus, die sich nur an die zahnlosen, freiwilligen Vereinbarungen der Tierwohlinitiative des Bundes anhängt.

Wir finden das großartig. Ich sage Ihnen diesbezüglich zu: Wir werden Sie dabei unterstützen und auch darauf achten, dass dieses löbliche Vorhaben nicht im märkischen Regierungstreibsand verschwindet.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU)

Wir Grünen haben uns eindeutig für die Zusammenlegung von Umwelt- und Landwirtschaftsministerium ausgesprochen. Daran wollen wir auch nicht rütteln. Aber der Schutz von Natur und Umwelt droht weiter unter die Räder zu kommen, wenn in einem gemeinsamen Ministerium die Interessen der industriellen Agrarwirtschaft dominieren und wenn nicht der Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und der Schutz der biologischen Vielfalt als Grundlage für eine nachhaltige Landnutzung in den Mittelpunkt der Landnutzungspolitik gestellt wird. Ich hoffe, Herr Vogelsänger, dass Sie sich in diese Richtung bewegen werden.

Lieber Herr Ministerpräsident, auf meinem Stichwortzettel steht jetzt noch eine Vielzahl an Punkten, die ich nicht abhandeln kann. Beispielhaft nenne ich nur den BER und die fehlende Aussage, wie denn nun der Aufsichtsratsvorsitz bestellt werden soll.

(Minister Görke: Durch den Aufsichtsrat!)

Das Vorschlagsrecht, lieber Herr Minister, liegt nach dem, was wir wissen, bei Brandenburg. Insofern ist der Ministerpräsident, denke ich, gut beraten, hier einen Vorschlag von einer fachkundigen Person unterbreiten zu lassen, die in der Lage ist, nicht nur von Herrn Mehdorn vorgeführt zu werden, sondern ihn auch zu führen.

(Beifall B90/GRÜNE, CDU sowie vereinzelt AfD)

Der lässige Umgang mit der Wahrheit bei der Frage nach der Einkreisung von Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburgan der Havel im Vorfeld der Landtagswahl - dazu hätten wir natürlich auch gern etwas gehört. Leider kam jedoch nichts. Auch hätten wir gern Aussagen dazu gehabt, wie die Regierung mit der drohenden Schließung von 60 Bahnhöfen umgehen will.

Brennend interessieren würde uns jedoch, wie Sie als Polenbeauftragter der Bundesregierung zu den Äußerungen Ihres Vorgängers Platzeck bezüglich der Anerkennung eines Rechts des Stärkeren auf völkerrechtswidrige Aneignung benachbarter Territorien stehen. Da müssen doch in Polen alle Alarmglocken geläutet haben, dass - wie bereits des Öfteren in der Vergangenheit - Deutschland und Russland auf dem Rücken der dazwischen liegenden Nationen ihren Ausgleich suchen. Ich denke, da sollten Sie, Herr Ministerpräsident und Polenbeauftragter, deutliche Worte finden.

(Beifall B90/GRÜNE und vereinzelt CDU sowie des Abgeordneten Schulze [fraktionslos])

Ich komme zum Ende: 1989 hat die Friedliche Revolution umfassend gesiegt - so umfassend, dass es heute keine Drachenbrut der SED sowie keine Drachenbrut der Blockparteien mehr gibt, die wir heute noch fürchten müssten. Oder wie es im Koalitionsvertrag 2009 noch zutreffend hieß:

„Erst die Volksbewegung des Jahres '89 machte es möglich, dass aus der SED heraus der Aufbruch zu einer demokratischen Partei im pluralistischen Wettstreit mit anderen Parteien erfolgen konnte.“

(Königer [AfD]: Glauben Sie das ernsthaft?)

- Ja, das glaube ich.

Mit der Friedlichen Revolution als Voraussetzung für die Wandlung der SED zur Linken haben die Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler oder auch Drachentöter - davon gab es ja nicht nur einen - von 1989 zugleich die Grundlagen dafür gelegt, dass heute in Brandenburg zwei im Kern sozialdemokratische Parteien miteinander regieren können, zwei Parteien, die aus historischen Gründen nicht fusionieren können und auch nicht fusionieren werden, zwei Parteien, die in der Sozialpolitik fast deckungsgleiche Positionen haben und die beide in ihren Grundsätzen etatistisch - das heißt staatsfixiert - veranlagt sind.

Eine Kehrseite dieser Staatsfixierung ist, dass sie den nicht vom Staat kontrollierten und unter Staatsregie laufenden Initiativen wenig Vertrauen schenken und sich in dieser Auffassung gegenseitig auch noch unterstützen. Die freien Schulen können ein Lied von dieser Grundausrichtung singen.

Wir Bündnisgrünen stehen nicht nur gegen Monotonie auf den Äckern, sondern auch gegen Monochromie, also gegen Einfarbigkeit. So halten wir es auch für ein besonderes Glück für dieses Bundesland, dass nach den ersten freien Wahlen 1990 der Aufbruch in das neue Bundesland Brandenburg von einer Ampelregierung aus SPD, Bündnis 90 und FDP gestaltet wurde, die aus unterschiedlichen Blickwinkeln heraus und mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten die Grundlagen für die weitere Entwicklung Brandenburgs legen konnten und dabei übrigens bekanntermaßen auch CDU und Linke - ich glaube, PDS hieß sie damals noch - einbezogen haben. Diese Vielfarbigkeit geht der Koalition ab. Der Koalitionsvertrag hat aufgrund der Doppelung der Stoßrichtung der beiden rot-roten Partner zwar einen roten Faden, ein grüner Faden geht uns Grünen jedoch vollständig ab - genauso wie die CDU vermutlich keinen schwarzen Faden erkennen wird.

Wesentliche Themenfelder und politische Fragen, die für die Zukunftsfähigkeit dieses Landes von besonderer Bedeutung sind, tauchen daher gar nicht erst auf, werden lapidar abgehandelt - Stichwort Nachhaltigkeit - oder werden, was noch schlimmer ist, falsch beantwortet: Beispiel Energiewende und Braunkohle oder Massentierhaltung und Landwirtschaft.

Nein, Herr Ministerpräsident, dies ist keine Vollendung eines Aufbruchs. Dieser Koalitionsvertrag ist zunächst einmal ein totes Stück Papier, dem in den nächsten Jahren der Lebenshauch erst eingeblasen werden muss. Hierfür stehen wir Bündnisgrünen Ihnen konstruktiv und kritisch auch in dieser Legislaturperiode wieder gern zur Seite. - Recht herzlichen Dank.

(Beifall B90/GRÜNE)