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Katharina Doyé, Sibylle Schönemann, Carla Kniestedt, Christian Booß, Rainer Wagner und Claus Ladner (v.l.n.r.) vor dem Publikum © Fraktion Foto: Fraktion

Abschlusssymposium zur Enquete-Kommission 5/1

Katharina Doyé, Sibylle Schönemann, Carla Kniestedt, Christian Booß, Rainer Wagner und Claus Ladner (v.l.n.r.) vor dem Publikum © Fraktion Foto: Fraktion
Katharina Doyé, Sibylle Schönemann, Carla Kniestedt, Christian Booß, Rainer Wagner und Claus Ladner (v.l.n.r.) vor dem Publikum

Aufarbeitung in Brandenburg: Symposium zur Enquete sorgt für eine Premiere im neuen Landtag

Wer hätte das gedacht: da lädt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu einer Diskussionsrunde ein, um über die Enquetekommission Aufarbeitung zu diskutieren. Was als kleiner Austausch über die beachtlichen Ergebnisse der Enquete gedacht war, endete in der Frage, was der größtmögliche Raum sei, um alle Interessenten an der Diskussion teilhaben zu lassen. Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die Stasiunterlagen, Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung und andere Verbandsvertreter wollten genauso wie Schülerinnen und Schüler, Wissenschaftler, Zeitzeugen und Interessierte verfolgen, was es denn nun mit der Enquete und dem Anspruch der Aufarbeitung der DDR-Geschichte in Brandenburg am Ende auf sich hat. Angesichts des Andrangs musste die Debatte dann per Videoschaltung in einen weiteren Landtagsraum übertragen werden: eine Premiere für den neuen Landtag.

Die Enquetekommission, die in diesen Tagen ihren Abschlussbericht vorlegt, hatte immer wieder für intensive Kontroversen gesorgt. Doch dass sich so viele Bürgerinnen und Bürger für ein Thema interessierten, dass aus Sicht mancher rot-roter Regierungsvertreter ein Thema von gestern ist, hat am Ende doch alle überrascht.

Vor den TeilnehmerInnen lag der 24 Seiten starke Katalog mit Handlungsempfehlungen, die die Kommission erarbeitet hat: konkrete Vorschläge für die Verbesserung der Rehabilitationsverfahren für von DDR-Unrecht Betroffene, für die Bildungspolitik ebenso wie für die Erinnerungskultur in unserem Land, für eine erneuerte Landwirtschaftspolitik, die sich von der großbetrieblichen DDR-Landwirtschaft emanzipiert, und nicht zuletzt für die Entwicklung einer demokratischen BürgerInnengesellschaft.

Jede Landesregierung wäre schlecht beraten, dieses Votum außer Acht zu lassen, so formulierte es der Historiker Christian Booß stellvertretend für die meisten Podiumsgäste. Dass dies nicht selbstverständlich sei, merkten hingegen andere Podiumsteilnehmer – unter ihnen der Vorsitzende der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft, Rainer Wagner – an. Es sei Skepsis geboten, inwieweit die Beschlüsse der Enquete in konkrete Politik münden. Stefan Hilsberg, früherer parlamentarischer Staatssekretär (SPD), ging mit seiner Partei hart ins Gericht. Die Diskussion um die Stasi-Kontakte von Manfred Stolpe sei in ihrer Bedeutung für das Land Brandenburg kaum zu unterschätzen. Hier hätte die Kommission – allen unzweifelhaften Erfolgen zum Trotz – sich ehrlicher machen sollen. Die prägende Kraft von Manfred Stolpe bildete immer wieder einen Bezugspunkt der Diskussion. Deutlich wurde dabei aber auch, dass die Diskussion um MfS-Belastungen im Konkreten wie Allgemeinen nur eine Facette der Enquete darstellte. Die DDR-Geheimpolizei – so machten die Landesbeauftrage für die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur, Ulrike Poppe, und der Fraktionsvorsitzende Axel Vogel deutlich – sei sicher wichtiges Thema der Kommission gewesen. Der Anspruch der Kommission war jedoch weiter gefasst und umfasste die grundsätzliche Frage, wie mit dem Erbe der DDR in Brandenburg umgegangen wurde. Dabei habe man nach „mehr erreicht als wir jemals zu hoffen gewagt haben“, so Axel Vogel. Diese Einschätzung wurde von den meisten Teilnehmern geteilt. Die frühere brandenburgische Bildungsministerin und ehemalige Stasibeauftragte Marianne Birthler hob hervor, dass sich die Enquete dabei auch nicht vor gesellschaftlich wichtigen Feldern wie Landwirtschaft oder Sport weggeduckt habe. Auch Helmut Müller-Enbergs, von der bündnisgrünen Fraktion als sachverständiges Wissenschaftliches Kommissionsmitglied berufen, zeigte sich – trotz mancher sprachlicher Verrenkungen im Abschlussbericht der Kommission – insgesamt zufrieden. Das betreffe auch die Vereinbarungen zur zukünftigen Überprüfung auf MfS-Zusammenarbeit im öffentlichen Dienst und in der Justiz. Hier habe lange Zeit Anarchie geherrscht, jedes Ministerium habe nach unterschiedlichen Kriterien, oft ausgesprochen „milde“ oder auch gar nicht überprüft. An Marianne Birthler gerichtet meinte Müller-Enbergs, „Jetzt haben wir das einheitliche Überprüfungsverfahren, für das du schon vor 20 Jahren gekämpft hast.“ Die Frage nach den vordringlichsten Herausforderungen für die Wissenschaft beantwortete der BStU-Experte mit einem eindringlichen Appell für den Zugang zu Akten. Er verwies dabei auf die in den letzten Jahren bekannt gewordenen Missstände beim Umgang mit BStU-Akten in Brandenburg, vor allem aber auf die Diskussion über die Zukunft der Stasiunterlagenbehörde und ihrer Außenstellen.

Axel Vogel erinnerte auf dem Symposium noch einmal an die Entstehungsgeschichte der Enquete, die auf Initiative der Bündnisgrünen zustande kam und dabei auf die Unterstützung von Johanna Wanka (CDU) genauso wie auf Hans-Peter Goetz (FDP) zählen konnte. Erst diese Unterstützung machte es möglich, dass viele der genannten Fragen, aber auch die in der Diskussion so beeindruckend vorgetragene Geschichte der in der DDR inhaftierten Regisseurin Sibylle Schönemann erstmals und ernsthaft in der Enquete diskutiert wurde.

Was bleibt? Die Erkenntnis, dass manche Fehler der brandenburgischen Gründungsjahre auch heute noch, wenngleich spät, geheilt werden können. Das Wissen darum, dass wir, wenn wir über die DDR sprechen, nicht nur von Tätern und Opfern reden, sondern alle Facetten in den Blick zu nehmen haben, wie es die Zeithistorikerin Dr. Annette Leo in der Diskussion forderte. Die Erkenntnis, dass das Lernen aus unserer Geschichte Zeit braucht – und das das kein ostdeutsches Phänomen ist, wie der Fingerzeig einiger Diskussionsteilnehmer auf die 68er Bewegung in Westdeutschland andeutete. Der Blick zurück nach vorn sei demnach kein Selbstzweck, sondern steht für die Fähigkeit einer demokratischen Gesellschaft, sich selbst ihrer Chancen und Gefährdungen bewusst zu werden.

Lesen Sie hier die Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission 5/1 (PDF)

Eindrücke von der Veranstaltung (22 Fotos)

Hintergrund

Ende gut, alles gut?

Aufarbeitung in Brandenburg: vom Schlusslicht zur Avantgarde?

Am 11.02.2014 von 18 bis 21 Uhr im Landtag Brandenburg

Vor knapp vier Jahren nahm die Enquetekommission zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Brandenburg ihre Arbeit auf. Die Arbeit des von der bündnisgrünen Landtagsfraktion angestoßenen Gremiums sorgte von Beginn an für heftige Kontroversen. Der offene und auch selbstkritische Blick auf die demokratischen Aufbaujahre war lange Zeit wenig erwünscht. Wer nach dem Umgang mit dem Erbe der DDR fragte, betrat in Brandenburg schnell vermintes Gelände. Im Gegensatz zu allen anderen neuen Bundesländern gab es in der Mark keinen Aufarbeitungsbeauftragten. Dafür hielt sich hartnäckig der Eindruck, dass Verantwortlichen des SED-Regimes hierzulande mit besonderer Milde begegnet wurde.

Mit der 2010 eingesetzten Enquetekommission wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen: der Blick sollte „zurück nach vorn“ gehen. Von der Landwirtschafts- zur Bildungspolitik, von der Übernahme ehemaliger MfS-Zuträger bis zum Umgang mit denjenigen, die unter dem Unrecht der Diktatur litten: In unzähligen Anhörungen und Gutachten hat die Kommission die Vergangenheit beleuchtet und konkrete Vorschläge für Verbesserungen erarbeitet.

Grund genug für die Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, erstmals eine Bilanz zu wagen und zu fragen: Was bleibt (zu tun)!? Wir haben dazu Betroffene, PolitikerInnen und ExpertInnen zur Diskussion eingeladen.

Programm

  • 18.00 Uhr Begrüßung durch Axel Vogel
  • 18.05 Uhr Brandenburg als Sonderfall: von der „Kleinen DDR“ zur Aufarbeitungsavantgarde?
    Carla Kniestedt im Gespräch mit Marianne Birthler, Stephan Hilsberg, Ulrike Poppe und Axel Vogel
  • 18.50 Uhr Geschichtswissenschaft und Enquete: ein neuer Blick
    Carla Kniestedt im Gespräch mit Dr. Annette Leo, Adj.-Prof. Helmut Müller-Enbergs, Prof. Dr. Johannes Weberling und Prof. Dr. Manfred Görtemaker
  • 19.30 Uhr Reden wir mal Tacheles: Was die Enquete gebracht hat und was nicht
    Carla Kniestedt im Gespräch mit Sibylle Schönemann, Katharina Doye, Claus Ladner, Christian Booß, Rainer Wagner und Dr. Thorsten Purps
  • Anschließend Gelegenheit zu persönlichen Gesprächen mit Getränken und kleinem Imbiss.