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Michael Jungclaus spricht zum Antrag der SPD-Fraktion zusammen mit der Fraktion DIE LINKE "Gemeinsame soziale Standards für alle Europäerinnen und Europäern"

- Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Gäste,

es wird Sie sicherlich nicht überraschen wenn ich bei diesem Thema vollkommen anderer Ansicht als mein Vorredner bin:

Wir wollen kein rechtes sondern ein gerechtes Europa!

Doch nicht erst seit dem Brexit wissen wir: Der europäische Zusammenhalt ist in Gefahr. Das soziale Gefälle innerhalb der EU-Mitgliedstaaten hat zugenommen. Der Norden hat profitiert, der Süden verloren. Vielen Menschen geht es schlechter als vor der Eurokrise, in immerhin 11 Ländern sinken die Reallöhne.

In Italien, Spanien und Griechenland ist mehr als jeder dritte junge Mensch arbeitslos. Die sozialen Unterschiede innerhalb der einzelnen Länder sind teilweise immens.

Was heißt denn europäischer Zusammenhalt? Doch vor allem, den Menschen in der EU soziale Rechte zu garantieren und sie überall durchzusetzen.

Alle Menschen in der EU müssen sich auf faire Löhne und Arbeitsbedingungen, auf einen Schutz vor Armut und Ausbeutung verlassen können.

Der vorliegende Antrag geht insofern in die richtige Richtung – aber er geht leider nicht weit genug.

Beispiel Mindestlohn-Richtlinie. Sie soll allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der EU ein Einkommen garantieren, von dem sie gut leben können.

Richtig ist: Aktuell haben nicht alle EU-Mitgliedsländer einen Mindestlohn. Und die Mindestlöhne, die gezahlt werden, variieren stark. Es gibt immer noch massive Ausbeutung. Ein europäischer Mindestlohn könnte dies ändern.

Aber was ist mit den Menschen, die arbeitslos sind? Hier braucht es auch eine europäische Grundsicherungs-Richtlinie, die soziale Mindeststandards für jedes Land festlegt. Gleiches gilt für nationale Gesundheitssysteme mit Mindestversorgungsstandards

Und die neue Entsenderichtlinie? Sie war ein wichtiger Schritt hin zu dem Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Doch vieles bleibt ungeklärt. Zum Beispiel im Speditionsgewerbe. Auch in andere Länder entsandte LKW-Fahrer müssen dringend in die Entsenderichtlinie aufgenommen werden. Es sind im Europaparlament aber leider auch Sozialdemokraten, die mit dafür sorgen, dass den Fahrern das Recht auf angemessene Bezahlung und Ruhepausen weiterhin verwehrt wird. Außerdem braucht es, wie Sie selbst ganz richtig schreiben, für die Umsetzung der Entsenderichtlinie mehr staatliche Kontrollen.

Nur damit könnten Sie ja auch bei sich selbst schon mal beginnen.

Ich will Ihnen dafür gerne ein Beispiel geben:

Im Frühjahr dieses Jahres hatte ich die Landesregierung gefragt, ob bei den ohnehin stark nachgelassenen LKW-Kontrollen auch irgendwelche Sozialstandards jenseits von Lenk- und Ruhezeiten geprüft werden würden. Also z.B. Mindestlohn oder die extrem langen Abwesenheiten von zu Hause. Manche LKW-Fahrer sind monatelang, weit weg von ihren Familien unterwegs auf unseren Straßen und hausen unter unwürdigsten Bedingungen auf Parkplätzen und Rasthöfen. Antwort Fehlanzeige. Hier könnten Sie jenseits ihrer Forderungen in Richtung Brüssel selbst ganz konkret Missstände bekämpfen – und nebenbei noch etwas für die Sicherheit auf unseren Straßen tun. Andere Regionen die dies konsequent kontrollieren und ahnden, verzeichnen eine deutliche Verlagerung der Güterverkehre von der Straße auf die Schiene, weil ohne die Ausbeutung der Fahrer die Bahn plötzlich wettbewerbsfähig ist.

An den vielen unterschiedlichen Nummernschildern der LKWs auf Brandenburgs Straßen kann man eines erkennen: Ein Europa der freien Märkte haben wir erreicht – Was wir jetzt brauchen ist ein Europa der sozialen Sicherheit.

Und dazu brauchen wir eben überall verbindliche Mindestlöhne genauso wie verbindliche Regeln für Gesundheit, Rente und Arbeitslosigkeit.

Bei ihrem Punkt 4 wollen Sie die Landesregierung bitten, sich beim „Bund für die Ausgestaltung des Kommissionspakets zur sozialen Gerechtigkeit einzusetzen“. Allerdings wieder ohne konkrete Inhalte vorzuschlagen.

Oder die Forderung unter 6. Klar, die Digitalisierung wird die Art, wie wir leben, arbeiten und lernen radikal verändern. Aber was wären denn Vorschläge auf EU-Ebene?

Eine sinnvolle Forderung wäre z.B. die Erweiterung des Austauschprograms Erasmus+ auf alle Auszubildenden. Vom Blick über den heimatlichen Tellerrand profitieren schließlich nicht nur Studierende.

Statt solcher konkreter Punkte fordern Sie dann, eine soziale Fortschrittsklausel in die EU-Verträge aufzunehmen. Doch was bringt das? Erstens nennen Sie keine Kriterien, wie diese Klausel gestaltet sein sollte. Zweitens ist eine Änderung der EU-Verträge äußerst unwahrscheinlich – und das wissen Sie vermutlich auch.

Um diese offenen Fragen Ihres Antrags zu diskutieren, haben wir eine Ausschussüberweisung beantragt. Ich würde mich freuen, wenn Sie dieser zustimmen.

Bei der direkten Abstimmung über Ihren Antrag würden wir uns enthalten.

Vielen Dank!