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Axel Vogel spricht zur Aktuellen Stunde „Bildung des 'Bündnisses für Brandenburg' Eine breite Allianz aus der Mitte der Gesellschaft organisieren

>> Zum Entschließungsantrag „Bildung des 'Bündnisses für Brandenburg' - Eine breite Allianz aus der Mitte der Gesellschaft organisieren“ (pdf-Datei)

Frau Präsidentin! Mein sehr geehrten Damen und Herren! Staat und Gesellschaft Lt sind in den letzten Monaten bei der Aufnahme von Schutzsuchenden für jedermann erkennbar an ihre Grenzen gestoßen. Dennoch sind wir nicht gescheitert - auch wenn die AfD das gerne gesehen hätte. Ich sage auch: Wir werden nicht scheitern.

(Beifall B90/GRÜNE, DIE LINKE, SPD sowie vereinzelt CDU)

Wir alle erlebten, wie plötzlich aus dem Nichts allerorten Willkommensinitiativen entstanden: von der österreichischen Grenze über den Münchener Hauptbahnhof bis zu den provisorischen Flüchtlingsunterkünften in den Brandenburger Kommunen. Ohne die vielen engagierten Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Essen verteilten, Kinder mit Teddybären beschenkten, Feuerwehren und THW beim Aufbau von Notunterkünften halfen, vielen Flüchtlingen als Sprachmittler und Begleiter zu den Ämtern zur Seite standen und bei den ersten Kontakten zur deutschen Bürokratie halfen, hätten wir die Situation in den Herbstwochen in der Tat nicht bewältigen können. Und seien wir ehrlich: Ohne Hilfe könnten wir das auch heute noch nicht.

Bei dem Netzwerktreffen des Bündnisses für Integration am Montag haben Vertreter von Willkommensinitiativen – es wurde angesprochen – einen offenen Brief überreicht, der in dem Satz gipfelt:

„Planen Sie uns nicht länger als kostenlose Kompensation ... ein!“

Auch wenn man sich an einzelnen Formulierungen dieses Aufschreis stören kann: Im Kern weisen die Initiativen auf das zentrale Problem hin, dass sich der Staat nicht auf Dauer seiner ureigenen Aufgaben entledigen kann. Das Scheitern des Versuchs, die Staatsaufgaben möglichst kostensparend weitestgehend an ehrenamtliche Unterstützer abzutreten, ist täglich vor dem LAGeSo in Berlin zu besichtigen.

Natürlich: Professionelle psychologische Betreuung und Ehrenamt schließen sich weitestgehend aus; Deutschunterricht muss prinzipiell von Fachkräften erfolgen; Übersetzungen vor Gericht sind nur von vereidigten Dolmetschern zu leisten. Aber Sprachunterricht ersetzt nicht Kommunikation mit den hier lebenden Menschen; Freundschaften können nicht vom Staat verordnet werden - deswegen brauchen wir diese Initiativen weiterhin.

Die von der Bundeskanzlerin geforderte Flexibilität ist aber gefragt, wenn es um den Aufbau professioneller Strukturen geht. Der Landtag Brandenburg hat in seiner Mehrheit, Herr Gauland, mit einer Vielzahl von Gesetzesinitiativen und Haushaltsbeschlüssen in den letzten Wochen immer wieder deutlich gemacht, dass er diesem Anspruch gerecht werden will. Aber mit Stellen und Geld ist es nicht getan; ohne die Unterstützung durch Wirtschaft und Zivilgesellschaft werden Politik und Verwaltung diese Zukunftsaufgabe nicht bewältigen können. Ohne Bündnisse für Integration auf allen Ebenen werden wir es nicht schaffen. Deswegen ist dieses Bündnis so wertvoll.

(Beifall B90/GRÜNE, DIE LINKE und SPD)

Deswegen sind wir so dankbar, dass sich so viele Initiativen und Menschen zusammengefunden haben. Die Willkommensinitiativen weisen uns aber auch darauf hin, dass es nun nach dem Ankommen und dem Willkommen an der Zeit ist, das Bleiben zu organisieren. Angesichts der beschränkten Redezeit möchte ich hierzu nur einen einzigen Punkt aufgreifen, nämlich die Zuwanderung in Deutschland in den 60er-Jahren und die Konsequenzen, die wir daraus zu ziehen haben. „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ – so der Epoche machende Ausspruch von Max Frisch zur Anwerbung sogenannter Gastarbeiter in den 60er-Jahren. Damals waren alle Seiten von Illusionen geprägt: Das Anwerbeabkommen mit der Türkei sah vor, dass die hier anzusiedelnden Vertragsarbeiter innerhalb von zwei Jahren rotieren sollten. Die Mehrzahl der Türken, die zu uns kamen, ging tatsächlich davon aus, dass sie nicht länger als fünf Jahre hier bleiben würde. Aber diese Vorstellungen zerschellten an der Realität: Die Arbeitgeber wollten nicht alle zwei Jahre mühsam angelernte Fachkräfte wieder verlieren; die Zuwanderer wollten ihre Familien nachholen. Letzteres wurde dann gegen den erbitterten Widerstand des Bundesinnenministeriums durchgesetzt.

Es wurde den als Arbeitskräfte geschätzten Zuwanderern damals aber auch nicht leicht gemacht, in Deutschland heimisch zu werden. Bei jedem Konjunktureinbruch wurde immer wieder aufs Neue mit Rückkehrprämien gewunken und deutlich gemacht, dass sie hier nur als Mitbürger auf Zeit erwünscht waren. Aus diesen Erfahrungen wissen wir heute, dass Angebote zur Integration auf Zeit nicht gut funktionieren. Das anders gelagerte Beispiel der Spätaussiedler zeigt, wie viel leichter Integration fällt, wenn von Anfang an eine umfassende Bleibeperspektive bis hin zum Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft besteht. Für uns lautet die Lehre: Es müssen dauerhafte Bleibeangebote gemacht werden, wenn Integration gelingen soll. Leider marschiert das Bundesinnenministerium 50 Jahre später noch immer in die falsche Richtung und setzt auf Aufenthaltsbefristungen, Arbeitsbeschränkungen sowie auf ein Verbot des Familiennachzugs. Und wie damals kämpfen aufgeklärte Politiker, Unternehmer und Zivilgesellschaft gegen diesen Unfug. Denn Integration im Mund zu führen, sie aber durch Beschränkungen zu verunmöglichen – das verträgt sich nicht miteinander.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt DIE LINKE)

Bei dem Auftakttreffen des Bündnisses wurde deutlich, dass auch Unternehmer sich in der Verantwortung sehen und sich bewusst sind, dass Integration nicht nur Integration in die Arbeit bedeutet, sondern dass Integration über Arbeit ein ganz zentrales Element der zukünftigen Aufnahme unserer Neubürger sein wird.

Ich komme zum Schluss: Einseitige Integration gibt es nicht. Integration erfolgt immer im Wechselspiel zwischen aufnehmender Bevölkerung und Zuwanderern, beide Seiten verändern sich in diesem Prozess, der nie beendet sein wird, Herr Gauland.

Integration darf und soll nicht passiv erlitten werden, Integration ist ein Prozess, der immer wieder aufs Neue von Staat und Gesellschaft gestaltet werden muss. Das Bündnis für Integration zeigt: In Brandenburg haben wir dies verstanden. Mit dem Bündnis für Integration geht es uns darum, die Integration zu gestalten. Die Breite des Bündnisses für Brandenburg, dem Sie nicht angehören,

(Dr. Gauland [AfD]: Darüber sind wir auch sehr froh!)

gibt uns alle Hoffnung, dass uns dies gelingen wird. – Vielen Dank.