Frau Präsidentin! Liebe Gäste! Meine sehr geehrte Damen und Herren! Vor der heutigen Debatte gab es viel aufmunterndes Schulterklopfen in den Medien von allen Seiten, von Roland Jahn bis Martin Sapo einhelliges Lob für die Enquete-Aufarbeitung und besonderes Lob für die vorliegenden Handlungsempfehlungen.
Das freut uns als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN natürlich - zum einen, weil wir diese Kommission initiiert und zusammen mit FDP und CDU auf den Weg gebracht haben, übrigens in Ausübung eines Minderheitenrechtes. Es freut uns aber auch ganz besonders, weil solch umfassende Lobgesänge der Kommission nicht in die Wiege gelegt waren.
Auch wenn der erfolgreiche Abschluss jetzt viele Mütter und Väter hat, darf ich noch einmal an die Anfangszeit erinnern und meinen ausdrücklichen Dank an Frau Wanka und Herrn Goetz aussprechen, ohne die diese Kommission nicht zustande gekommen wäre. Aber auch, wenn ich mir im Folgenden viele dieser positiven Bewertungen zu Eigen machen, so ist für die Beurteilung des Erfolgs dieser Enquetekommission für uns nicht die Einschätzung der Medien oder der Wissenschaft entscheidend, sondern die Einschätzung anderer Menschen, nämlich derjenigen, die durch die lange Zeit des Schweigens über die Vergangenheit bisher keine Stimme bekamen oder zu verstummen drohten, derjenigen, die unter DDR-Recht zu leiden hatten und sichmit ihrem Anliegen im neuen Bundesland Brandenburg nicht Ernst genommen fühlten, der Zeitzeugen, die in den Gedenkorten die Erinnerungen an ihr Leiden aufrechterhalten wollten, der vielen Menschen, die im ländlichen Raum durch fehlerhafte LPG-Umwandlungen oder den Entzug ihrer Neusiedlerflächen Hab und Gut verloren haben sowie nicht zuletzt auch der Schülerinnen und Schüler, die in Zukunft bessere Chancen haben sollen, aus der Geschichte zu lernen. Deren Bewertung ist für uns der Maßstab des Erfolgs.
Der Erfolg der Enquetekommission wird auch nicht an der heutigen Debatte gemessen werden können, sondern er wird daran zu messen sein, wie ernst wir und unsere Nachfolgerinnen und Nachfolger den nächsten Landtagen die gemeinsam erarbeiteten Handlungsempfehlungen nehmen und diese auch umsetzen. Denn mit der Abgabe des Abschlussberichtes ist nur ein weiterer Schritt auf dem nie endenden Weg der Aufarbeitung der eigenen Geschichte getan. Auch wenn sich viele über Helmut Müller-Enbergs' Begriff des Schweigekartells echauffierten oder den zu Beginn der Kommissionsarbeit geäußerten Wortbeitrag des Historikers Christian Meier zur notwendigen Überwindung des Schweigens bis zuletzt nicht teilen wollten - Frau Melior und Herr Jürgens haben das ja auch heute wieder getan -, so können wir Grünen jedenfalls konstatieren: Die Zeit des - wie auch immer bedingten - Schweigens ist vorbei.
(Beifall B90/GRÜNE)
Aufarbeitung ist kein Unwort mehr, sondern ganz im Gegenteil: Selbst Matthias Platzeck, der 2009 eine derartige Kommission noch für überflüssig hielt, räumte bereits auf dem SPD-Parteitag in Velten 2010 ein, dass die SPD nach der Stolpe-Debatte „zur Aufarbeitung ganz generell auf Abstand gegangen“ sei, um wenig später bei einer Jubiläumsveranstaltung gar die Einsetzung der Enquetekommission als besondere Leistung in dieser Legislaturperiode zu würdigen.
Diese Enquetekommission war und ist ein Unikat. Weder im Bund noch in den Ländern gab es ein solches Gremium - eine Enquetekommission, die sich nicht primär das DDR-Unrecht vornahm oder gar herausarbeiten wollte, wie schlimm die Stasi war, wie das Kommissionsmitglied Jörg Kirschner zur Begründung seiner Gegenstimme meinte, sondern die den nach 1990 stattgefundenen Aufarbeitungsprozess selbst hinterfragte; eine Kommission, die fragte, wie nach 1989 in Brandenburg mit den Hinterlassenschaften der DDR umgegangen wurde.
Unverkennbar ist, dass unsere Enquetekommission Brandenburg schon jetzt zum Besseren verändert hat. Wir haben mittlerweile eine andere Gesprächskultur über die DDR-Aufarbeitung als 2009, wie auch Peer Jürgens auf der letzten Enqueteberatung richtigerweise festgestellt hat.
Was mir auch sehr wichtig ist: Wir haben eine überfällige Diskussion, die draußen im Lande geführt wurde, endlich in den Landtag geholt. Viele Fragen zur Transformation nach 1989 waren bisher unterbelichtet - aber es gab natürlich auch andere, die überkommentiert waren.
Der Enquetekommission gebührt das Verdienst, viele dieser Fragen nach einer aufgeregten Anfangsphase zunehmend unaufgeregt und seriös erörtert zu haben, Fehlentwicklungen aufgezeigt und Lösungsansätze erarbeitet zu haben. Brandenburg emanzipiert sich damit zugleich vom Etikett der „kleinen DDR“, dieses Etikett, von dem Manfred Stolpe gesagt haben soll, er trage es mit Stolz. Das ist in mancherlei Hinsicht sicher irreführend gewesen. Vieles - und das haben verschiedene Rednerinnen und Redner schon angesprochen - ist in den neuen Ländern ähnlich abgelaufen.
Für jeden Wirtschaftspolitiker muss beispielsweise die Erkenntnis beklemmend sein, dass nach den Untersuchungen des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle für die Enquetekommission die wirtschaftliche Entwicklung in nahezu allen ostdeutschen Bundesländern nahezu gleich verlief - egal, ob Schwarz, Schwarz-Gelb,
Schwarz-Rot, Rot-Grün oder Rot-Rot an der Regierung war. Es war und ist aber bezeichnend, mit welcher Verve SPD und die Linke heute immer wieder betont haben, dass sich in Brandenburg in nahezu allen betrachten Politikfeldern kaum irgendetwas von den anderen Ostländern unterschieden habe. Als ob es schon ein eindrücklicher Beweis der positiven Wirkung ununterbrochener SPDRegierungsverantwortung wäre, dass Brandenburg nicht schlechter als die anderen Ostländer dasteht.
Unverkennbar gab es auch Brandenburger Besonderheiten, ohne dass man dies aber als Brandenburger Weg glorifizieren oder mystifizieren müsste. Die Konsens-Orientierung wurde bereits genannt, andererseits Besonderheiten beim Umgang mit dem DDR-Unrecht sowie mit Personen, die für das MfS tätig waren. Was dabei noch unerwähnt bleibt, ist die Rückführung des Begriffs „Brandenburger Weg“ auf den damaligen Landwirtschaftsminister Edwin Zimmermann, der die DDR-Agrarstrukturen konservieren wollte und der später von Ministerpräsident Stolpe als neuer Brandenburger Weg auch auf andere Politikbereiche übertragen wurde. Dieser
Begriff des Brandenburger Weges - so kann es jeder im Abschlussbericht lesen - ist verschieden besetzt. Er entzieht sich der einseitigen politischen Inbesitznahme.
Die Brandenburger Besonderheiten im Sinne einer allzu nachlässigen Aufarbeitung unserer Geschichte sind heute Vergangenheit. Das gilt für die lange Jahre fehlende Aufarbeitungsbeauftragte genauso wie für die ausgebliebene Abgeordnetenüberprüfung.
Das gilt für den mangelnden Respekt gegenüber den Opfern der Diktatur genauso wie für die unterlassene gesellschaftliche Diskussion über Verantwortungsübernahme für Unrecht. Das gilt demnächst auch für die manchmal tatsächlich anarchische Überprüfung im öffentlichen Dienst des Landes, denn hier war es wirklich davon abhängig, zu welchem Zeitpunkt unter welchem Minister und in welchem Geschäftsbereich man überprüft wurde.
Es war gut - das möchte ich dann doch herausheben -, dass das Dr. Woidke als damaliger Innenminister mit einer konsequenten Linie für die Polizei das nachgeholt hat, was seine Vorgänger einst versäumt haben.
(Beifall B90/GRÜNE)
Nicht alle Täter haben für das MfS gearbeitet und nicht jede Zusammenarbeit mit dem MfS wog gleich schwer. Jeder hat nach unserer Überzeugung eine zweite Chance verdient, aber - und das ist auch eine Lehre aus der Enquetekommission - die große Mehrheit der Brandenburgerinnen und Brandenburger sieht frühere Stasi-Mitarbeiter im öffentlichen Dienst oder gar in der Politik sehr kritisch. Wie also eine zweite Chance konkret aussieht, darüber gehen die Meinungen durchaus auseinander.
Wir Politiker müssen da feststellen, dass wir da wesentlich zurückhaltender sind als die Masse der Brandenburgerinnen und Brandenburger. Eine demokratische Gesellschaft muss das aushalten, sie muss sogar versuchen, alle mitzunehmen, sogar ihre früheren Verächter. Wie sie das macht, darüber haben wir uns in der Enquetekommission auseinandergesetzt.
Um das Thema Stasi zum Abschluss zu bringen: Die intensiven Diskussionen in der Enquetekommission über den Umgang mit Stasi-Belastung waren nötig, um einen freieren Blick auf viel Wesentlicheres zu erlangen. Erst so war es möglich, dass die Enquetekommission in ihren Handlungsempfehlungen heute empfiehlt, die oft auf die hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeit für die Staatssicherheit verkürzte Debatte über die politische Verantwortung in der SED-Diktatur auszuweiten. Stärker als bisher sollte das Gefüge von SED, Blockparteien und vormilitärischen Organisationen in den Blick genommen werden.
Was die Sache mit dem Konsens der Gründungsjahre betrifft: Konsens herzustellen sei das Geheimnis der Politik, sagte unser Landtagspräsident bei der Übergabe des Abschlussberichts. Hier gab es sicherlich schon zutreffendere Beschreibungen. Für die Enquetekommission wäre aus meiner Sicht ohnehin das Bohren dicker Bretter die angemessenere Charakterisierung gewesen.
Es ist ja nichts Verwerfliches am Konsens, und es ist gut, dass wir unseren Bericht einvernehmlich beschlossen haben, doch das Wesen von Politik ist der Austausch, die Kraft des Arguments und die Bereitschaft zum Konflikt. Unser Abschlusspapier ist keine Konsenssoße, es ist ein Kompromiss, der größte gemeinsame Nenner, bei
dem sich alle wiederfinden. Er enthält die Maßnahmen, von denen wir gemeinsam überzeugt sind, dass sie jetzt angegangen werden müssen, und der Konsens als Geheimnis der Politik ist in der parlamentarischen Demokratie eher die Ausnahme.
Die von Marianne Birthler getroffene Einschätzung, dass die Kommission mit den Handlungsempfehlungen sehr viele und richtige Schritte in die richtige Richtung gemacht hat, ist aus unserer Sicht zutreffend. Ich gehe auf einige wenige Punkte ein:
Es ist schon einiges gesagt worden zum Umgang mit den sogenannten Opfern, denjenigen also, die dieses Wort gar nicht so gern hören, denjenigen, deren Leben so ganz anders hätte verlaufen können, wäre da nicht das falsche Wort zur falschen Zeit gewesen, wäre da nicht die Weigerung gewesen, zum Militärdienst zu gehen, oder wäre da nicht die Tante aus dem Westen gewesen, die die falschen Bücher mitbrachte. Die Benachteiligten und Verfolgten in der SED-Diktatur, oft sogar diejenigen, die die friedliche Revolution mit ins Rollen brachten, waren in Brandenburg viel zu lange, viel zu oft allein auf weiter Flur. Mit der Einsetzung der Landesbeauftragten haben wir bereits manches, was noch zu korrigieren war, zurechtgerückt. Mit den nun vorgeschlagenen Maßnahmen für einen Härtefallfonds, für Verbesserungen bei der Rehabilitierung, für mehr Mitsprache von Betroffenen und Initiativen können wir nun einen großen Schritt vorangehen.
Zum Stichwort Erinnerungskultur: Im Bereich der Forschung sollen dazu einige Projekte angestoßen werden - Stichwort Forschungsstipendien und Stiftungsprofessur. Wir wollen aber, und das ist viel wichtiger für uns, vor allem auch authentischen Gedenkorten zu mehr Anziehungskraft verhelfen. Als Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN haben wir mehrere Gedenkorte in den Handlungsempfehlungen verankern können und Verbesserungen angemahnt - ich nenne nur das Beispiel des ehemaligen Militärgefängnisses Schwedt; dort kommen die Dinge gerade in Bewegung.
Schwedt war jedem Wehrpflichtigen in der DDR ein Begriff. Schwedt war der Inbegriff eines Ortes der Disziplinierung und der Umerziehung zur sozialistischen Persönlichkeit, eines Ortes des Brechens von widerständigem oder auch nur kritischem Verhalten.
Ich könnte weit mehr Orte nennen, auch solche, die sich erst auf den zweiten Blick erschließen, die Stasi-Hochschule in Golm zum Beispiel. Wir haben diese Einrichtung, die wie kaum eine zweite den intellektuellen und moralischen Bankrott der Diktatur verkörpert, mit erwähnt. Die dort geschulten Doktoren der Tschikistik (?) haben
auf wenigen Seiten in Gruppenarbeit promoviert und dürfen noch heute mit ihrem Titel hausieren gehen. In den Handlungsempfehlungen empfehlen wir Land, Stadt und Universität Potsdam, die heute die Liegenschaft nutzt, sich verstärkt mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen, denn es geht doch auch darum, jungen Leuten - ob Schülerinnen und Schülern oder Studierenden - einen Zugang zu dem Thema zu ermöglichen, in den Schulen endlich qualifizierten Unterricht zu ermöglichen mit Zeitzeugen, mit Lehrerinnen und Lehrern, die eben nicht fachfremd eingesetzt werden.
Hier haben wir noch einen weiten Weg zu gehen. Letzter Punkt, einer, der mir persönlich ganz besonders wichtig ist, die Landwirtschaft: Kein anderes Themenfeld hat derart viel Beachtung in der Enquetekommission erfahren, und ich denke, aus gutem Grund. Hier zeigt sich wie unter einem Brennglas, wie nach 1989 aus Unwissen, aber manchmal auch mit Kalkül Fehlentscheidungen getroffen wurden, die bis heute nachwirken. Ich nenne missglückte LPG-Umwandlungen, bei denen Bauern um ihre Genossenschaftsanteile geprellt wurden und die wir auf den Prüfstand stellen. Auch in anderen Ländern gibt es übrigens mittlerweile, ausgelöst durch unsere Enquetekommission, ähnliche Initiativen.
Ich nenne die vom Land enteigneten Neusiedlererben, die wir, wo es möglich ist, wieder in ihre Eigentümerrechte einsetzen wollen. Der Brandenburger Weg eines Ministers Zimmermann, die Privilegierung einer großräumigen und großbetrieblichen Landwirtschaft sollten bald Geschichte werden, wenn man die Empfehlungen der Enquetekommission zugrunde legt, denn die Kommission empfiehlt eine neue Agrarpolitik, die Wertschöpfung in der Region belässt und nicht bei den Großinvestoren, die immer noch reihenweise ehemalige LPG-Betriebe aufkaufen.
(Beifall B90/GRÜNE)
Wir dürfen hiervor nicht die Augen verschließen. An dieser Stelle spreche ich besonderen Dank an Herrn Stolze und Herrn Jahn von der LINKEN aus, mit denen eine zunehmend unideologische und offene Diskussion über die falschen Weichenstellungen nach 1989 möglich war und mit denen gemeinsam dieser Bericht verfasst wurde.
Ich kann Ihnen jedenfalls sagen, das Brandenburg von 2014 ist ein anderes Brandenburg als das von 2009. Es sind viele kleine Dinge und Prozesse, die durch die Enquetekommission angestoßen wurden: Der Landessportbund befasst sich stärker mit seiner eigenen Geschichte, öffnet sich stärker den Opfern des DDR-Zwangsdopings.
Mehrere Brandenburger Zeitungen haben sich auch erstmals öffentlich mit ihrer eigenen Geschichte auseinandergesetzt. Das Stasiunterlagengesetz ist nachgebessert worden, auch mit Unterstützung von Dietmar Woidke. Manch ein von der Enquetekommission untersuchtes Heimatmuseum hat die Evaluation als Grundlage zur Verbesserung genutzt, und Matthias Platzeck versprach in seiner vielbeachteten Rede zum 50. Jahrestag des Mauerbaus eine bessere Ausstattung der Gedenkstätten. Zumindest in der Gedenkstätte Lindenstraße dürfte auch bald wieder etwas passieren. Brandenburg schließt damit in kleinen Schritten zu anderen ostdeutschen Ländern, in denen das Thema schon längst ernstgenommen wurde, auf.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vier Jahre lang hat die Enquetekommission Zeitzeugen, Sachverständige und Wissenschaftler gehört und befragt. Vier Jahre lang war das auch eine Schule der Demokratie mit Meinungsverschiedenheiten, Streit, der Suche nach Antworten und Lösungen. Wir haben gelernt, dass es häufig nicht nur um Meinungen geht, sondern um Tatsachen. Die Zeit des Schwänzens ist vorbei, im Abschlussbericht sind unsere Hausaufgaben aufgelistet.
Mit dem Entschließungsantrag heute könnten wir ein klares Zeichen setzen: Wir haben verstanden. Wir können vergangenes Unrecht selten wiedergutmachen, aber wir wollen heute das tun, was in unserer Macht steht, um dieses Unrecht zu lindern. Von daher bitte ich um Zustimmung zu dem Entschließungsantrag. - Vielen Dank.
(Beifall B90/GRÜNE, CDU und FDP)