- Es gilt das gesprochene Wort ! -
Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
Lassen Sie mich mit 2 Vorbemerkungen beginnen:
Wir alle tragen Verantwortung für dieses Land und damit meine ich nicht nur dieses Land Brandenburg, wir alle tragen Verantwortung dafür, dass dieses staatlich geeinte, aber im Empfinden zu vieler Menschen immer noch nicht vollständig vereinte Deutschland weiter zusammen wächst. Unser wesentliches Instrument als Politiker ist dafür das Wort. Und mit diesen Worten gilt es sorgsam umzugehen. Dies gilt für den Ministerpräsidenten wie für uns. Zur Problematik der unsorgsamen Anschlussmetapher hat Richard Schröder, so denke ich, alles gesagt, was zu sagen ist.
Wir alle tragen unsere Vergangenheit, die persönliche aber auch die unserer Parteien mit ihren Irrungen und Wirrungen mit uns herum. Vor diesem Hintergrund kann und will ich es überhaupt nicht akzeptieren, und das geht an Ihre Adresse von der FDP: Wenn eine Partei, die ihre Mitgliedschaft hierzulande wesentlich aus ihren Vorläufern in der Nationalen Front der DDR rekrutiert hat, bei einem Bürgerrechtler, der 1989 unter Inkaufnahme langer Haft oder gar noch schlimmeren Folgen, gegen das SED-Regime zu Felde zog und seitdem in herausgehobenen politischen Funktionen diesem Land diente und dient, wer bei Matthias Platzeck heute, ich zitiere aus Ihrem Antrag: das „grundlegende Verständnis unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung" in Zweifel zieht, der handelt geschichtsvergessen und obszön. Der leistet auch einen Beitrag dafür einen Keil in diese Gesellschaft zu treiben. Hierfür können Sie bei uns auf keine Unterstützung zählen.
20 Jahre Deutsche Einheit heißt für alle, die hier im Raume sind, 20 Jahre miterlebte Geschichte.
Kaum jemand von uns wird auf Anhieb genau sagen können, was er am Mittwoch vor 3 Wochen gemacht hat, aber jeder Einzelne weiß noch wie er den Tag des Mauerfalls erlebt hat und welche Gefühle, Hoffnungen oder auch Befürchtungen er damit verband.
Vom Wunsch nach einer möglichst eigenständigen, demokratischen DDR bis zur Hoffnung, dass sich die beiden Staaten schnellstmöglich vereinigen würden, gab es eine ganze Bandbreite an Zukunftsvisionen.
(Der Historiker Golo Mann sagt dazu: „Immer hat Geschichte zwei Komponenten: das, was geschehen ist, und den, der das Geschehene von seinem Orte in der Zeit sieht und zu verstehen sucht. Nicht nur korrigieren neue sachliche Erkenntnisse die alten; der Erkennende selber wandelt sich. Die Vergangenheit lebt; sie schwankt im Lichte neuer Erfahrungen und Fragestellungen.")
Heute ist der Zusammenbruch der SED-Diktatur und der anschließende deutsche Vereinigungsprozess Geschichte. Und wer meint die damaligen Ereignisse heute noch mit dem Wissen von damals und an den Maßstäben von vor 20 Jahren messen zu können, der ist "aus der Zeit gefallen", der ist im wahrsten Sinne des Wortes anachronistisch.
In diesem Lichte ist die von unserem MP angestoßene Debatte über eine 1990 bestehende "Anschlusshaltung" westdeutscher Politiker, die verantwortlich gewesen sein soll für Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und gesellschaftlichen Verwerfungen bestenfalls anachronistisch.
Natürlich kann man auch heute noch sagen, dass der Beitritt nach Art. 23 aus damaliger Sicht nur die zweitbeste Lösung war. Doch mit einem nüchternen Blick nach 20 Jahren darf man sich schon mal ehrlich machen und fragen, ob die Alternative Vereinigung nach Art. 146 GG eine realistische Chance hatte.
Dabei geht es nicht nur um das Zeitfenster, das durch Gorbatschow eröffnet wurde und von dem damals keiner wissen konnte, wie lange es offen bleibt.
Lassen wir auch ruhig einmal den Fakt beiseite, dass die große Mehrheit der DDR-BürgerInnen bei der ersten freien Volkskammerwahl Parteien wählte, die eine schnelle Vereinigung versprachen. Die Wahl damals war ein Plebiszit für die Wiedervereinigung und hat die Frage nach besseren Alternativen praktisch irrelevant gemacht. Man mag das bedauern, und auch viele in meiner Partei hätten sich damals einen anderen Weg gewünscht.
Doch fragen wir uns mit unserem heutigen Wissen, ob ein sich über Jahre hinziehender Verhandlungsprozess zwischen zwei deutschen Staaten mit ihren 11 + 5 Ministerpräsidenten und ihren Länderegoismen überhaupt Aussichten auf Erfolg gehabt hätte. Fragen wir uns, wie lange ein selbstständiger demokratischer Staat DDR als Verhandlungspartner ökonomisch überhaupt noch durchgehalten hätte.
Dann müssen wir davon reden, dass das ostdeutsche Wirtschaftssystem, nach 2.Weltkrieg, SBZ und 40 Jahren DDR in einem Ausmaß marode war, von dem wir damals keine Vorstellung hatten und uns heute kaum noch eine Vorstellung mehr machen können.
Wer heute sagt: „[...] an diesem Tag (3.Oktober 1990) begann auch die gnadenlose Deindustrialisierung Ostdeutschlands" redet ahistorisch:
Hier sitzt unser MP immer noch der SED-Propaganda auf, dass die DDR das weltweit zehntgrößte Industrieland gewesen sei. Heute wissen wir: Die DDR war keine Industrielandschaft im heutigen Sinne, sondern überwiegend eine Ansammlung von Industriemuseen.
Tatsächlich siechte die DDR-Wirtschaft in den 80er Jahren nur noch vor sich hin und brach nur durch die immense West-Verschuldung (1988: 49 Mrd. Valutamark) nicht vollends zusammen. Es ist doch bekannt, dass viele Produktionsanlagen verschlissen waren, dass der große Teil der Bauwirtschaft chrottreif war und die DDR technologisch trotz aller Propaganda weit hinterher hinkte. Die industrielle Substanz war nach Jahren der Ausbeutung aufgebraucht. Viele Betriebe in der DDR gingen nur durch Quersubventionen nicht unter und dadurch, dass ihre Arbeiter sich immer wieder bemühten, das Letzte aus dem überkommenen Betriebsinventar herauszuholen.
Dazu kommt, dass die Aufrechterhaltung der Produktion nicht nur auf Kosten der Werktätigen und der Gesellschaft erfolgte, sondern auch mit einer rücksichtslosen Zerstörung der Umwelt teuer erkauft wurde.
Und so war der 3.Oktober 1990 auch der Anfang für eine Aufarbeitung der ökologischen Hinterlassenschaften der DDR, auch das sollte an dieser Stelle der Ehrlichkeit zuliebe einmal gesagt werden: Waldsterben, Kohlebergbau, ein mit vielen Menschenopfern verbundener Uranabbau, die zum Himmel stinkende Wasserverschmutzung und eine Luft, die in westdeutschen Städten zur höchsten Smogalarmstufe geführt hätte.
Wer heute von dieser Zeit spricht, der sollte Ursache und Wirkung schon richtig benennen können. Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit waren nicht primär der Wiedervereinigung geschuldet, sondern waren in der DDR schon angelegt. Wer anderes behauptet, betreibt keine Aufklärung, sondern surft auf Stimmungen. Der bedient Ressentiments statt Aufklärung zu betreiben.
Dabei kann unser MP auch anders: Vor einem Jahr hieß es noch bei ihm: "Wir im Osten haben eine komplette Deindustrialisierung überstanden und dabei gemeinsam Hervorragendes geleistet" (MOZ-Interview 19.5.09).
Wenn es unser MP schaffen könnte, hier auch noch hinzuzufügen, dass diese Leistung gemeinsam von allen BrandenburgerInnen geschaffen wurde, Alten wie Jungen, nach 1990 Zugewanderten wie Alteingesessenen; wenn es unser MP schaffen würde, nicht immer „Wir" und „Ihr" zu sagen, weil es ja so schön griffig ist; wenn es ihm stattdessen gelingen würde, alle BewohnerInnen dieses Landes mitzunehmen und mit Versöhnung wirklich Ernst zu machen, dann wäre uns wohl allen wohler.
So aber bleibt der Eindruck von Spaltung!
(2. Teil nach Redezeitverlängerung:)
Ich möchte zu zwei Themen noch etwas sagen. Das eine richtet sich an Herrn Ness. Bitte schminken Sie sich den Begriff von der bürgerlichen Opposition ab – für uns hat der Begriff „bürgerlich" eine positive Bedeutung: er bedeutet bürgerliches Engagement, bedeutet Bürgerinitiativen, bedeutet Verteidigung von Bürgerrechten. Ich finde es ausgesprochen verwegen, wenn hier versucht wird zu unterteilen, und zwar mit einem negativen Beigeschmack, in eine angeblich bürgerliche Opposition, die dort drüben sitzt – und – möglicherweise - in eine gute Opposition, die da drüben sitzt. Wir sind die Opposition in diesem Hause, und wir sind alle gemeinsam bürgerlich. Es stellt sich wirklich die Frage, wenn hier der Begriff „Bürgerliche Opposition" verwandt wird, wem diese bürgerliche Opposition gegenübersteht, ob es sich hier um eine proletarische Regierung handelt.
Das andere Thema ist „Herkunft braucht Zukunft" und „mir san mir". Mir san mir – das sage ich jetzt als Bayer – das ist so kleinkariert, dass es viele Bayern, nämlich Menschen wie mich, aus ihrem Lande vertrieben hat.
Ich hatte gehofft, dass es in Brandenburg dieses „mir san mir" nie geben würde. Es gibt überhaupt keinen Anlass, in Brandenburg „mir san mir"-Orgie abzuhalten, weil Brandenburg nämlich viel stärker als Bayern immer Zuwanderungsland gwesen ist. Nach 1648, nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach der Pest, nach dem Siebenjährigen Krieg, nach dem Zweiten Weltkrieg. Städte wie Schwedt, Lauchhammer, Lübbenau, Eisenhüttenstadt – haufenweise ist deren Bevölkerung ausgetauscht worden.
Wir wissen alle, dass seit 1990 von 2,5 Millionen EinwohnerInnen Brandenburgs 1,2 Millionen NeusiedlerInnen dieses Landes geworden sind. Es ist schon sehr komisch, wenn diesen Menschen immer ein Brandenburg-Bild vorgehalten wird, das von BrandenburgerInnen ausgeht, die bereits 1990 erwachsen waren und hier gelebt haben. Das, fnde ich, ist nicht legitim, das ist nicht in Ordnung.
Wir wollen ein Brandenburg für alle Brandenburgerinnen und Brandenburger.