- Es gilt das gesprochene Wort! -
Anrede,
dass Politik das Bohren dicker Bretter ist, das wissen wir alle seit Max Weber. Dass auch die Aufarbeitung unserer eigenen Geschichte das Bohren dicker Bretter bedeutet, das wissen wir spätestens seitdem sich eine Enquetekommission in unserem Haus ernsthaft damit auseinandersetzt. Und wir sehen es heute einmal mehr: Fast 23 Jahre nach der Friedlichen Revolution von 1989 senden der Bund und die ostdeutschen Länder nun endlich ein wichtiges Zeichen an all diejenigen, die in Jugendwerkhöfen, Spezial- oder Durchgangsheimen der DDR drangsaliert wurden. Ihr sollt nicht länger mit eurem Schicksal allein gelassen werden! Wir nehmen eure Biographien ernst! Die Zeit der Tabuisierung und Stigmatisierung soll ein Ende haben!
Über Jahrzehnte hinweg sind in der DDR Kinder und Jugendliche unter oft haftähnlichen Bedingungen einem übermächtigen Umerziehungsapparat ausgesetzt gewesen. Abweichungen von der Norm waren in der DDR nirgendwo geduldet und sind überall sanktioniert worden, doch am härtesten traf es die, die sich am wenigsten wehren konnten. Kinder und Jugendliche sollten mit Einzelarresten, Zwangsarbeit und körperlicher Züchtigung zu vermeintlichen „sozialistischen Persönlichkeiten" umerzogen werden. Fiel die Tür – und nicht selten der Riegel – ins Schloss, waren sie nicht länger Subjekte ihrer eigenen Biografie, sondern sie wurden zu Objekten von Willkür und Schikane. Selbst Kinder unter 14 Jahren wurden vor allem in den Anfangsjahren der DDR zur Zwangsarbeit verpflichtet. Allein 32 Jugendwerkhöfe gab es in der DDR, in vielen – nicht nur in Torgau! - sind Kinder und Jugendliche systematisch misshandelt worden. Viele, viel zu viele, sind daran kaputtgegangen. Der Erziehungswissenschaftler Andreas Gatzemann hat schon vor einigen Jahren ein Buch geschrieben mit dem erschreckend treffenden Titel: „Das Ende der Erziehung".
Es ist hohe Zeit, dass die Opfer dieses Drillsystems gesellschaftlich rehabilitiert werden. Dass wir als Gesellschaft dieses Tabuthema aufbrechen. Viel zu lange ist es viel zu still gewesen, wenn es um die Grausamkeiten der DDR-Gleichheitspädagogik geht. Heute fühlen sich viele Betroffene noch immer stigmatisiert, das hat der erste Bericht zur Heimerziehung in der DDR erst vor wenigen Monaten deutlich gezeigt. Liest man die Biografien der Wenigen, die ihre Sprache wiedergefunden haben, dann verschlägt es einem selbst nicht selten die Sprache.
Mit der Erweiterung des Aufgabenfeldes der Aufarbeitungsbeauftragten als Anlaufstelle für ehemalige DDR-Heimkinder gehen wir heute einen Schritt in die richtige Richtung. Andere Länder haben teilweise andere Modelle für solche Anlaufstellen gewählt; wir glauben, dass die Anliegen der Betroffenen bei Ulrike Poppe und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in guten Händen sind. Bereits seit ihrem Arbeitsbeginn hat die LAkD ehemalige Heimkinder beraten und in Verfahren begleitet. Sie hat damit – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – die fatale Leerstelle gefüllt, die es zuvor in Brandenburg für Betroffene gegeben hat.
Denn es ist doch nur allzu verständlich, wenn viele ehemalige Heimkinder sich eben nicht an Jugendhilfeinstitutionen und andere Träger gewandt haben, weil sie Angst hatten, dort frühere Mitarbeiter anzutreffen. Denn auch darüber müssen wir uns heute im Klaren sein: Viele Verantwortliche und Handlanger von einst haben sich nach 1989 gut in das neue System hinübergerettet. Von Torgau, vermutlich dem schlimmsten aller Kinder- und Jugendknäste, wird berichtet, dass viele neue lukrative Jobs gefunden haben: nicht selten ausgerechnet als Sozialpädagogen ...
Es ist gut, wenn Brandenburg mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nun klare und verbindliche Zuständigkeiten schafft. Natürlich kann man kritisieren, dass man andernorts hier schon schneller war. Natürlich wäre es wünschenswert gewesen, wir hätten wie Thüringen schon vor langer Zeit eine Beratungsstelle geschaffen. Doch das ist nicht mehr zu ändern und wir sollten uns vor allem fragen, ob es neben den neuen Beratungsmöglichkeiten nicht noch weiteren Handlungsbedarf gibt.
So ist es an der Zeit, über eine Öffnung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes nachzudenken. Bisher erhielten ausschließlich diejenigen eine Entschädigung, die in Torgau einsaßen bzw. die eindeutig politische Motive für ihre Qual nachweisen konnten. Andere gingen leer aus, auch wenn sie gleiche Schikanen erleben mussten, nur eben an einem anderen Ort oder aus einem nicht mehr nachweisbaren vermeintlichen Grund. Ich kann verstehen, wenn sich manche dadurch als „Opfer zweiter Klasse" fühlen. Auch Frau Poppe spricht dieses Problem in ihrem Tätigkeitsbericht deutlich an. Ich denke, es würde uns gut zu Gesicht stehen, hier gemeinsam über Korrekturmöglichkeiten nachzudenken.
Anrede,
den Menschen, die in unter oft unwürdigen Bedingungen in den DDR-Altersheimen betreut wurden oder denjenigen, die unter den Mängeln des DDR-Gesundheitssystems litten, können wir heute nur noch selten helfen. Um so wichtiger ist, dass wir all denen, die in ihrer Kindheit und Jugend drangsaliert wurden, heute unsere volle Aufmerksamkeit widmen. In diesem Sinne stimmen wir für die vorliegende Gesetzesänderung.
Vielen Dank!