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Axel Vogel spricht zum ersten Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur

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- Es gilt das gesprochene Wort! -

Anrede,

„Die Behörde der Landesbeauftragten befindet sich erst im Aufbau. Sie könnte aber mit der nötigen Unterstützung durch den Landtag, die Regierung und interessierte Bürger sehr schnell zu einer Koordinierungsstelle für die Aufarbeitung der Vergangenheit ... werden." So steht es im ersten Tätigkeitsbericht der Landesbeauftragten. 1995 war das, und der Bericht wurde in Magdeburg vorgestellt. Sachsen-Anhalt hatte gerade als letztes der ostdeutschen Bundesländer – mit Ausnahme von Brandenburg – einen Beauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes berufen. 17 Jahre ist das her.

Es sind verschenkte Jahre, zumindest aus der Sicht von Brandenburg: es sind Jahre, in denen Benachteiligte und Verfolgte, Auskunftssuchende und Bildungswillige, Bürgerinnen und Bürger, bei uns niemanden hatten, der sie in ihrer Suche nach Wahrhaftigkeit, nach Aufklärung, beim Kampf für ihre Rechte oder beim verzweifelten Einsatz für Rehabilitierung unterstützen konnte.

Es ist heute schon oft gesagt worden, und deswegen werde ich mich auch nicht lange damit aufhalten: Der Brandenburger Sonderweg bei der Aufarbeitung von DDR-Unrecht war eine unbeleuchtete Sackgasse. Er war eine Sackgasse, in der sich alle verlaufen hatten: die Hilfesuchenden, die vor Ort allein gelassen wurden, genauso wie die Politik, die immer mehr Druck unter dem Deckel zu spüren bekam und sich immer mehr isoliert hatte.

Jetzt also liegt er vor uns: Der erste Tätigkeitsbericht einer Landesbeauftragten aus Brandenburg. 103 Seiten, die zeigen, woran es bei uns bisher gefehlt hat. Es dürfte niemanden ernsthaft verwundern, dass die größten Baustellen im Bereich der Opferberatung gelegen haben.

Der Bericht zeigt aber mehr. Zum Beispiel, wie wichtig es war, endlich die vorhandenen Initiativen und Verbände zusammenzuführen, sie zu vernetzen, um Synergieeffekte zu nutzen. Über Jahrzehnte hat es in Brandenburg kleinere und größere Projekte und Vereine gegeben – oftmals kleine Graswurzelinitiativen – die die Erinnerung an das Unrecht wach gehalten haben. Mit der Landesbeauftragten haben sie nun endlich eine verlässliche Stimme, die ihnen – und den vielen, die bisher nicht gehört worden waren, Gewicht verschaffen kann. Und es gibt endlich jemanden, der ihnen zuhört. Denn nicht wenige haben über das fatale Desinteresse geklagt, das ihnen von offizieller Seite entgegen gebracht wurde.

Der Bericht räumt auch übrigens auch mit der These auf, die Befassung mit unserer Geschichte sei so etwas wie der Schnee von vorgestern. Dass das Thema niemanden interessiere. Dass die Menschen andere Sorgen haben. Natürlich haben sie auch andere Sorgen: um den Arbeitsplatz, um die Euro-Krise, um die Zukunft ihrer Kinder oder die Ruhezonen in der Nacht, wenn der Flughafen im Jahr 2013 oder wann auch immer eröffnet. Das heißt doch aber nicht, dass die Suche nach dem, wo wir herkommen, was das für uns heute und in der Zukunft bedeutet, niemanden interessiert!

Wer jemals auf einer der vielen Veranstaltungen der Landesbeauftragten war, der weiß es ohnehin besser. Der hat ein ganz neues Verständnis davon, was es heißt, wenn ein Raum überfüllt ist. Das gilt übrigens nicht nur für Potsdam. Ulrike Poppe hat sich auf die Fahnen geschrieben, Bildung, Aufklärung und Beratung auch in die Region zu tragen. In Jüterbog fand erst vor kurzem eine Veranstaltung statt, in der die Entwicklung unserer Landwirtschaft vor und nach 1989 diskutiert wurde. Sogar hier, sogar bei einem für manchen so abwegigen Thema ist am Ende fast kein Stuhl leer geblieben.

Es ist gut, dass die Angebote der Landesbeauftragten nicht auf Potsdam beschränkt bleiben. Mit der mobilen Beratung ist der persönliche Kontakt auch dort möglich, wo sich Menschen oft abgeschnitten fühlen. Im Tätigkeitsbericht steht es: viele ehemals politisch Verfolgte sind aus gesundheitlichen oder auch aus finanziellen Gründen kaum mehr in der Lage, in die Potsdamer Dienststelle zu kommen. Es ist gut, wenn dem mit aufsuchender Beratung entgegengewirkt werden kann.

Der erste Tätigkeitsbericht aus Brandenburg ist übrigens auch deswegen so wertvoll, weil er nicht nur schematisch Rapport erstattet und Zahlenfolgen auflistet. Er enthält gerade in seiner Einführung wichtige und sehr grundsätzliche Ausführungen zum Thema Aufarbeitung, die meine Fraktion ausdrücklich teilt. Das betrifft nicht zuletzt den Anspruch, den Fokus zu öffnen und die Auseinandersetzung mit den Strukturen der DDR nicht auf die Stasi zu verengen. Die Stasi war eine Geheimpolizei, die in ihrer Dimension nahezu einmalig war. Aber die Beschäftigung mit der DDR umfasst mehr und ich bin Ulrike Poppe dankbar, dass sie das in diesem Bericht deutlich macht und dass sie der Frage nach dem Alltag in der Diktatur vermehrt Augenmerk schenken will.

Der Bericht ist aber auch deswegen so wichtig, weil er mit der bösartigen Unterstellung aufräumt, dass es den Opfern der Diktatur allein um materiellen Ausgleich für erfahrenes Unrecht geht. Ich darf hier einmal zitieren: Die Betroffenen „leiden unter einem gesellschaftlichen Klima, in welchem die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR verklärt und die Diktatur verharmlost wird. Viele von ihnen vermissen eine angemessene Würdigung ihres Widerstands und des Leids, das ihnen durch das SED-Regime zugefügt wurde." Das muss uns, das muss uns als Volksvertretern und das muss uns als Gesellschaft zu denken geben. Im Bericht wird eine „gesellschaftlich-politische Asymmetrie zugunsten derjenigen, welche die SED-Diktatur gestützt haben" konstatiert.

Ein letzter Punkt zu dem heute vorliegenden Bericht, einem Bericht, der sich immer wieder durch seine differenzierte und offene Herangehensweise wohltuend abhebt von allem schrillen Getöne. An einer Stelle gibt es aber auch dort deutliche Worte. Ich darf noch einmal zitieren und hoffe, dass auch Herr Schöneburg zuhört: „In den Bereichen, in welchen die Beamten den Bürgerinnen und Bürgern in hoheitlicher Funktion gegenüber stehen, sollte besonders auf Transparenz geachtet werden, um das Vertrauen in die demokratischen Institutionen zu stärken." Ich denke, dass das nicht kommentiert werden muss.

Lassen Sie mich zum Schluss noch eines in aller Deutlichkeit sagen. Die Arbeit der Landesbeauftragten und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter braucht sich auch im Vergleich mit anderen Ländern nicht verstecken. Im Gegenteil: Ulrike Poppe hat mit ihrem Team (mit Frau Subklew-Jeutner und Frau Domhardt, mit Frau Hilliger und Herrn Potratz, mit Frau Morawe, Herrn Schult und Frau Wuttke) angesichts der schwierigen Ausgangslage Außerordentliches leisten müssen – und sie hat es mit Bravour getan!

Ich bin froh, wenn wir in diesem Haus fraktionsübergreifend die Arbeit der Aufarbeitungsbeauftragten unterstützen und wir das heute mit dem Entschließungsantrag noch einmal unterstreichen. Eine Entschuldigung gegenüber den Opfern, wie es die CDU mit ihrem Entschließungsantrag fordert, stünde uns gut zu Gesicht. Man mag über das Wort „Opfer" streiten, doch dahinter stehen Schicksale, dahinter stehen Menschen, die hierzulande viel zu lange alleine gelassen wurden. Die Verletzungen sind noch immer groß, wir merken das auch in der Enquetekommission, die so viele Betroffene mit Erwartungen begleiten.

Demut ist ein großes Wort, aber wir sollten sie uns leisten können, wenn es nötig ist und deshalb werden wir dem Antrag der CDU heute zustimmen.

Vielen Dank!