- Es gilt das gesprochene Wort ! -
Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident,
Ich hoffe, dass wir mit dieser Aktuellen Stunde einen wichtigen inhaltlichen Beitrag zu einer notwendigen Debatte leisten können. Ich zitiere: „Es geht dabei auch um die Verständigung über faire und nachvollziehbare Maßstäbe für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Ich halte es ausdrücklich für richtig, dass wir diese Debatte in Brandenburg streitbar, offen und zugleich konstruktiv führen. Offenheit und Transparenz sind meiner Meinung nach der beste Weg, um das Ansehen der Polizei wirksam zu schützen."
So sagte es Innenminister Woidke vor einigen Tagen. Und er hat Recht. Wir brauchen diese Debatte und wir müssen sie streitbar, offen und konstruktiv führen.
Was ist der aktuelle Anlass für diese Debatte?
Wir reden von Menschen, die früher eine Geheimpolizei unterstützten, eine Geheimpolizei, die der Einschüchterung Einzelner wie der „Zersetzung" von Familien und Freundeskreisen diente und die dessen ungeachtet Führungsfunktionen übertragen bekommen haben. Dass diese Zusammenarbeit ganz verschieden ausgesehen hat, und jede individuelle Geschichte auch individuell bewertet werden muss, ist klar. Aber es geht in dieser Debatte um mehr als den Einzelfall:
Führungsfunktionen sind auch Vorbildfunktionen. Minister Woidke dringt deswegen zurecht auf Klarheit, gerade wenn es um die neu zu vergebenden Führungsposten der Polizei geht. Und er hat Recht, wenn er sagt: „Das liegt auch und gerade im Interesse der Polizei selbst." Er will Gewissheit, dass nicht ständig neue Minen hochgehen. Es geht um das Image der Polizei, heißt es. Und auch darum, dass Polizeiführer nicht erpressbar sind, weil sie ihre Vergangenheit verheimlicht haben. Der Innenminister hat sich für Problemlösung statt Problemvertagung entschieden und fordert Zugang zu den Unterlagen der Jahn-Behörde. Er will es nicht akzeptieren, dass zwar Journalisten und Wissenschaftler Zugang zu den Stasiakten erhalten, der Dienstherr jedoch außen vor bleibt und der Medienberichterstattung ausgeliefert ist. Herr Woidke: Sie haben völlig recht und Sie haben dafür die volle Unterstützung meiner Fraktion.
Gäbe es in dieser Regierung nur den Innenminister, dann könnte ich jetzt meine Unterlagen zur Seite legen, wir diskutieren wechselseitig ob eher die Rechtslage oder die übertriebene Zurückhaltung der Jahnbehörde die Einsichtnahme des Dienstherrn in die Stasiunterlagen verhindert, würden einstimmig mit der Verabschiedung unseres Entschließungsantrages die Landesregierung in ihrem Aufklärungswillen unterstützen und könnten zum nächsten TOP übergehen.
Aus zwei Gründen ist dies heute nicht der Fall.
Zum einen gibt es einen Justizminister, dem der Weg zur Einsichtnahme in die Akten der Stasiunterlagenbehörde für die Richterinnen und Richter uneingeschränkt offen steht, der diese Option aber nicht wahrnehmen möchte; zum anderen wurden in den letzten Tagen grundsätzliche Positionen in die Debatte eingebracht, die auch eine grundsätzliche Auseinandersetzung erfordern.
Beginnen wir mit dem Justizministerium:
Hieß es vor 1 ½ Jahren noch es gebe keine stasibelasteten Richter oder Staatswanwälte in diesem Land, so war im April erstmals von 3 Richtern und ist seit Mai von 13 Richtern, 1 Staatsanwalt und 144 weiteren Justizbediensteten die Rede. Das überrascht nicht wirklich, wenn man weiß, dass der Wissenschaftler Müller-Enbergs 1999 in einer Studie für den Bundestag für 1996 noch 428 brandenburgische JustizmitarbeiterInnen mit Stasikontakten ausgemacht hatte.
Einen Anlass für eine Überprüfung anhand der aktuellen Quellenlage kann der Minister allerdings nicht erkennen. Dabei verweist er selbst darauf, dass längst neue Erkenntnisse vorliegen. Als die sogenannte Rosenholz-Datei 2004 auftauchte, hätte man überprüfen können – wie in anderen Ländern auch, sagt der Minister. Warum jedoch, Herr Schöneburg, soll das, was vor sieben Jahren angezeigt gewesen wäre, heute falsch sein? Warum sollen zwar Polizeibeamte geprüft werden, RichterInnen aber nicht? RichterInnen haben nicht über ihre Vergangenheit getäuscht, sagen Sie. Ich hoffe das auch. Ich hoffe das sehr, genauso wie alle Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Doch mit der Täuschung in eigener Sache ist das so ein Ding: ein ehemaliger Bundesminister hat damit in den letzten Wochen auch so seine Erfahrungen gesammelt – und dabei ging es um weit Nichtigeres.
Doch der Landesminister schweigt. Kein Handlungsbedarf. „Solange es keine neuen Erkenntnisse gibt, halte ich [eine Untersuchung] für nicht notwendig." - Was ist das denn für eine Erklärung?: Der Minister weigert sich nachzufragen und sagt: gibt doch nichts neues. Herr Schöneburg macht das Ergebnis einer Überprüfung zur Bedingung der Überprüfung. Das ist eine bemerkenswert schiefe Argumentation.
In der Diskussion fällt dann oft das Wort „Vertrauensschutz". Ein großes Wort und ein wichtiger Grundsatz unserer Rechtsordnung. Das von der Bürgerinnen und Bürgern der staatlichen Gewalt entgegengebrachte Vertrauen muss geschützt werden. Richtig! Doch wir dürfen uns schon fragen, ob dieses Vertrauen geschützt wird, wenn ständig neue Fälle das Ansehen der Justiz in diesem Land beschädigen. Soll denn die Kette von Enthüllungen dieses Land immer weiter im Atem halten? Öffnen Sie, Herr Schöneburg, wenn Sie sich weiter weigern, Auskünfte einzuholen, nicht der Denunziation Tür und Tor? Ich bin überzeugt davon, dass wir in unserem Land hervorragende Richterinnen und Richter und auch Staatsanwälte haben. Genau deswegen geht es eben nicht um einen Generalverdacht, sondern um das Gegenteil davon: die Vermeidung eines Generalverdachts! Niemand soll verdächtigt werden, ohne dass man das überprüfen kann. Es geht darum, sowohl einzelne Richter und einen ganzen Berufsstand vor Verunglimpfung zu schützen. Das jedenfalls verstehe ich unter „Vertrauensschutz".
Anrede
Die Frage sei erlaubt, warum die Landesregierung in Gestalt ihrer Minister zweimal mit Rechtssicherheit und dem Image der jeweils Untergebenen argumentiert, um dann in der Folge zu diametral entgegengesetzten Konsequenzen zu kommen? Herr Schöneburg will keinen „Generalverdacht" gegen Führungskräfte, Herr Woidke will es auch nicht. Das ist gut. Das will niemand. Aber warum erkennt das eine Haus dann akuten Handlungsbedarf, der gegebenenfalls sogar juristisch durchgesetzt werden soll, während im anderen Haus die Hände in den Schoss gelegt werden? Ist ein Richter, der womöglich seine Verstrickungen verheimlicht hat, weniger gefährlich und gefährdet als ein erpressbarer Polizeibeamter? Ich bin mir sicher, selbst in den Regierungsfraktionen braucht es viel guten Willen, um hier eine Logik zu erkennen! Ein Vorgehen wird nicht dadurch schlüssig, dass der Ministerpräsident es in beiden Fällen lobt. Was wir brauchen und was die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes zurecht erwarten dürfen, ist eine schlüssige Strategie der Landesregierung, wie Schaden von herausgehobenen öffentlichen Ämtern ferngehalten werden kann. Ich hoffe, dass wir heute hierzu etwas hören werden!
Anrede
Kommen wir zum Grundsätzlichen:
Frau Kaiser führte in ihrer Rede zur ersten rot-roten Regierungserklärung aus, dass es keinen Schlussstrich geben dürfe: „Es gibt einen Konsens über den Umgang mit Stasiunterlagen, und der sollte wichtig bleiben. Aufarbeitung sollte stattfinden, Opfer sollten unterstützt und Täter erkannt werden." Sehr gut gesprochen, aber ist dieser Konsens heute noch vorhanden?
Wir müssen darüber reden, ob wir die Wahrheit heute noch erkennen wollen oder lieber nach 20 Jahren die Akten schließen und die Augen verschließen, wie dies Egon Bahr am Montag nahelegte. Wir müssen darüber reden, ob wir den offenen Umgang der Täter mit der eigenen Vergangenheit immer noch als Voraussetzung für Versöhnung mit den Opfern ansehen.
Es geht dabei nicht um Stasijäger und deren Jagden, wie es die Staatssekretärin Frau Stachwitz kürzlich feuilletonistisch formuliert hat, es geht auch nicht um Rache, wie Herr Stolpe, oder um Revanche, wie Herr Kuhnert, jeweils hart an der Schmerzgrenze, mutmaßen. Es geht darum, wie es Constanze von Bullion in der heutigen SZ präzise formuliert, „dass die Beschäftigung mit der Diktatur und ihren Vollstreckern nicht Rache dient, sondern der Demokratisierung post-sozialistischer Gesellschaften". Ihre Hoffnung, dass sich das inzwischen in Brandenburg überall herumgesprochen hat, hat sich aber leider nicht erfüllt.
Und deshalb müssen wir auch darüber reden, ob wir einer Staatssekretärin das populistische Aufgreifen der bereits bei ihrer Entstehung verunglückten kohlschen Redefigur von der „Gnade der späten Geburt" und nunmehr umdeklariert zur „Gnade der westdeutschen Geburt" unkommentiert durchgehen lassen wollen und somit das Ringen um die Aufarbeitung zum Konflikt zwischen Alt- und Neubundesbürgern umdeuten wollen. Und wir müssen darüber reden, ob wir es zulassen, dass der Begriff der Rechtsstaatlichkeit zum Kampfbegriff gegen Demokratie und Aufarbeitung umgeschmiedet wird.
Es ist doch ganz unstrittig, dass wir in einer offenen und demokratischen Gesellschaft alle Menschen mitnehmen, auch Menschen, die früher Fehler gemacht haben, ja sogar Menschen, die früher Verbrechen begangen haben. Vor einigen Tagen hat ein ehemaliger Stasi-Spitzel einen Gastbeitrag in der Märkischen Allgemeinen veröffentlicht. Er hat seine schweren Fehler bedauert, er hat sich entschuldigt, er fordert Demut gegenüber den Opfern. Ich weiß nicht, wie es Ihnen ging: mich hat dieser Brief sehr berührt. Ein Eingeständnis, ein Schritt hin auf die Menschen, die gelitten haben, deren Biografien in der Diktatur verbogen wurden. Das fehlt mir in der ganzen Diskussion: dass wir die Diskussion auch mit Blick auf diejenigen führen, denen Unrecht wiederfahren ist. Ich bin dankbar, dass wir zumindest in der Enquetekommission hier schon weiter sind.
Anrede
Es ist noch nicht lange her, da hatten wir in diesem Haus eine grundsätzliche Aussprache über die Zukunft der Aufarbeitung in diesem Land. Unser Ministerpräsident sagte damals, kurz nach der Serie von Stasi-Enthüllungen im Parlament: „[Die unterlassene Überprüfung] war ein Fehler, ein Fehler, der sich heute rächt." Richtig!
Die Stasidebatte hat unser Land eingeholt. Wieder einmal. Ich wünschte, der Landtag hätte diese Diskussion schon vor Jahren geführt. Andernorts hat man sich hier schneller ehrlich gemacht. Die Wucht, mit der sich die Landesregierung jetzt konfrontiert sieht, ist insofern auch hausgemacht.
Mit unseren Initiativen wollen wir heute einen Weg zeigen, der die Klarheit bringt, die Innenminister Woidke zurecht fordert. Ein Schrecken ohne Ende oder ein Ende mit Schrecken, auch darüber sprechen wir heute.
Vielen Dank!