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Axel Vogel spricht zur Aktuellen Stunde zum Thema „Brandenburgs Landwirtschaft: gute Bilanz bei großen Herausforderungen“

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Wenn die landwirtschaftspolitische Sprecherin der Grünen, Frau Niels, heute hier nicht steht, dann wissen Sie jetzt auch, aus welchem Grund. Sie hat einen aktiven Beitrag zur Bevölkerungsentwicklung im ländlichen Raum Brandenburgs geleistet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn sich fast 40.000 Besucher beim landwirtschaftlichen Erntefest in Kremmen versammeln, so ist das eine gute Bilanz für das Erntefest. Eine gute Bilanz für Brandenburgs Landwirtschaft ist damit noch lange nicht verbunden.

Denn wer von einer „guten Bilanz" der Brandenburger Landwirtschaft reden will und nicht nur in klassischer Fortsetzung der DDR-Tonnenideologie das Ernteergebnis des Jahres meint, der muss andere Bewertungskriterien anlegen. Im Unterschied zu der hier positiv verbreiteten Botschaft gibt es eine Reihe von Kennzahlen, die dieser These von einer guten Bilanz mehr als deutlich widersprechen

Nehmen wir nur einmal die geringe Wertschöpfung und die sinkende Wertschöpfung. Der Anteil der Landwirtschaft am BIP sinkt kontinuierlich. Im Jahr 2000 war es noch ein Anteil von 2,4 Prozent in Brandenburg. Jetzt ist es noch ein Anteil von 1,7 Prozent – und das trotz Subventionen in Höhe von rund 400 Millionen Euro im Jahr. Obwohl in Brandenburg Grenzertragsböden aus der Nutzung genommen wurden, hat Brandenburg im Jahr 2010 bei der landwirtschaftlichen Flächenproduktivität den niedrigsten Wert in Ostdeutschland, und gerade einmal zwei Drittel des deutschen Durchschnittwertes erreicht. Hintergrund ist die eklatante Angebotsschwäche bei landwirtschaftlichen Hochpreisprodukten wie Obst, Ökoprodukten, Qualitätsfleisch und vielen Gemüsesorten. Das ist insofern erstaunlich, als mit Berlin eine der größten Nachfrageregionen für solche Erzeugnisse in der Landesmitte liegt. Sogar mit Kartoffeln kann Berlin-Brandenburg sich nicht mehr selbst versorgen. Stattdessen wird Maisanbau betrieben, wo hierzulande nur 74% des bundesweiten Durchschnittsertrages zu erzielen sind.

Wir haben einen geringen Arbeitskräftebesatz. Wir haben immer weniger Arbeitsplätze in immer weniger Betrieben mit niedriger Entlohnung: Eine der Folgen ist, dass mit diesem geringen Arbeitsbesatz von 1,7 Arbeitskräfteeinheiten je 100 ha – das ist übrigens die Hälfte des bundesdeutschen Durchschnitts – arbeitsintensive Kulturen gar nicht mehr betrieben werden können. Besonders niedrig ist der Personalbesatz in den Großbetrieben von mehr als 500 ha, die in Brandenburg 69% – also über zwei Drittel – der Nutzfläche einnehmen. Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen sind es lediglich 1,6%. Dieser Wert ist in Brandenburg kontinuierlich gesunken, wobei die 1,7% Arbeitskräfte/100 ha noch dadurch „verhübscht" werden, dass die Gartenbaubetriebe in Brandenburg 55 Arbeitskräfte je 100 ha beschäftigen und die Dauerkulturen, wie Obstanbau, 14 Arbeitskräfte je 100 ha, der reine Ackerbau lediglich 1,2 Arbeitskräfte je 100 ha. Das heißt: Ein 1.000 ha-Betrieb beschäftige nicht mehr als zwölf Arbeitskräfte.

Wir haben in den letzten fünf Jahren 2.600 Arbeitskräfte in der Landwirtschaft verloren. Wir haben 1.400 Betriebe in den letzten zehn Jahren in der Landwirtschaft verloren.

Wir haben ein Durchschnittseinkommen von gerade einmal 1.772 Euro in der Landwirtschaft. Das ist zu wenig. Michael Luthardt, du führst ja auch Gespräche mit Landwirtschaftsbetrieben. Wenn man mit Betrieben redet, sehen sie sich mit einem Mindestlohn von 8,50 € in der Stunde – obwohl sie im Jahr 400 Millionen Euro Fördermittel erhalten – überfordert. „Die Landwirtschaft", und das ist ein Ergebnis des Gutachters Klüter aus der Enquete-Kommussion, „ fällt als Partner für ländliche Entwicklung weitgehend aus."

Das ist keine Dramatisierung, sondern die zugrunde liegenden Zahlen sind dem Agrarbericht 2011/12 und aus dem Bonneval-Gutachten zum ELER-Einsatz in der nächsten Förderperiode zu entnehmen. Ich möchte den Zahlensalat hier nicht weiter vertiefen. Die Zahlen sprechen für sich.

Ich möchte nur einen Punkt hervorheben, der besonders eklatant ist, nämlich die Ausweitung der Massentierhaltung. Während in Bayern die Menschen bereits auf die Barrikaden gehen, wenn sich ein Schweinmäster mit 2.000 Tieren im Dorf ansiedeln will, liegt der Brandenburger Durchschnitt bei 3.695 Tieren pro Anlage. Mit 0,3 AK je 100 Sauen – das ist der Brandenburger Durchschnitt – schafft eine Anlage wie in Haßleben gerade einmal zehn bis zwölf Arbeitsplätze, statt 60 wie versprochen.

Der Bundesdurchschnitt liegt übrigens bei zwei Arbeitskräften pro 100 Sauen, also beim Siebenfachen. Wir denken, wir müssen hier von diesem Leitbild weg. Wir müssen dafür sorgen, dass wir zu einer bäuerlichen, ökologischen und regional verankerten Landwirtschaft kommen.

Leider hat sich die Brandenburger Landesregierung, hat sich der Landwirtschaftsminister hier nicht besonders hervorgetan. Ganz im Gegensatz zu den fünf grünen Landwirtschaftsministern hat er alles unternommen, damit alles so bleibt, wie es ist. Die Kappung wurde verhindert, eine größenunabhängige Degression der Fördermittel de facto ausgehebelt, das Greening beschränkt. So kann man zwar Landwirtschaftspolitik machen, die Herausforderungen der Zukunft wird man damit aber nicht meistern.

Recht herzlichen Dank.

Kurzintervention zur Rede von Minister Vogelsänger:

Lieber Minister Vogelsänger, Sie liegen völlig daneben, wenn Sie den Eindruck erwecken, die Grünen seien Gegner von Festen im ländlichen Raum. Wir feiern überall, ob in der Stadt oder auf dem Land. Selbstverständlich erleben Sie mich regelmäßig als Besucher beispielsweise der Hoffeste in Brodowin. Wenn Sie allerdings versuchen, die ganz große Keule gegen die Grünen zu schwingen – die Grünen seien quasi vaterlandslose Verräter, weil sie sich für kleine Sturkturen im ländlichen Raum einsetzen –, dann finde ich das ziemlich daneben. Diese große Keule – vielleicht schon ein Vorbote des Wahlkampfes 2014 – hätten Sie sich sparen können.

Sie haben versucht, positive Beispiele von Großbetrieben herauszuheben. Auch ich könnte Ihnen einige nennen. Natürlich ist Brodowin ein gutes Beispiel, aber Brodowin steht nicht für alles. Die wesentliche Anzahl der ökologisch wirtschaftenden Betriebe in Brandenburg sind kleinere Betriebe.

Wir verzeichnen gegenwärtig nicht mehr eine Ausweitung, sondern eine Stagnation beim Ökolandbau, obwohl mit Berlin ein riesiger Markt vor unserer Tür liegt. Diese Entwicklung ist auch der verfehlten Förderpolitik dieser Landesregierung in den letzten Jahren geschuldet.

Das muss man auch einmal zugeben und verinnerlichen.

Wenn hier von Groß- und Kleinbetrieben die Rede ist, sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen, dass wir inwzischen Verhältnisse wie in einem Entwicklungsland haben. 50% der Betriebe in Brandenburg bewirtschaften jeweils weniger als 50 ha – Herr Dombrowski hat es schon angesprochen – und insgesamt nur 3.6% der landwirtschaftlichen Fläche. Im Vergleich zu den fast landlosen Bauern sind die anderen quasi Riesen-Haziendas; das erinnert an südamerikanische Verhältnisse.

Das Problem ist doch, dass ein Absolvent der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde, der sich selbstständig machen und eine Betriebsstelle erwerben will, heutzutage überhaupt keine Chance mehr hat, weil außerlandwirtschaftliche Investoren einsteigen und ihm alles vor der Nase wegkaufen.

Das ist ein Problem, das wir erkannt haben. Wir werden nachher sicherlich einstimmig einen von CDU und GRÜNEN eingebrachten Antrag, der im Ausschuss noch etwas umgearbeitet wurde, verabschieden. Aber ich möchte an dieser Stelle betonen: Bäuerliche Landwirtschaft ist für uns das zentrale Element der Landwirtschaftspolitik in Brandenburg. Wir sind nicht Vertreter einer kleinbäuerlichen „idyllischen" Landtwirtschaft; diese wird es nicht geben. Wir sehen sehr wohl, dass unter den Bedingungen der Brandenburger Landwirtschaft Betriebe von 500 ha – plus/minus 300 ha – durchaus ihre Berechtigung haben. – Recht herzlichen Dank.

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