- Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen, liebe Gäste,
Ich freue mich sehr über diesen Antrag der Linken, denn er greift ein wichtiges Thema auf.
Wir haben am Mittwoch in einer beeindruckenden Festrede von Ines Härtel viel dazu gehört, wie wichtig Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie sowohl für die Entstehungsgeschichte unserer Landesverfassung war als auch zum Stellenwert, der ihr gegeben wird in dem Text, der Grundlage für unser Zusammenleben ist. Nicht als Ersatz für unsere parlamentarische Demokratie, sondern als sehr wichtige Ergänzung und Korrektiv.
„Das Recht auf politische Mitgestaltung ist gewährleistet.“ – so schlicht und einfach schreibt es Artikel 21 Abs. 1 unserer Landesverfassung fest.
Aus der Erfahrung von zwei Diktaturen und der friedlichen Revolution ergab sich eine besondere Wertschätzung dafür, wie wichtig es ist, dass jede Bürgerin und jeder Bürger die Möglichkeit hat, sich einzubringen und an der Gestaltung des Zusammenlebens mitzuwirken.
Frau Härtel hat auch darauf hingewiesen, wie essenziell es ist, immer und immer wieder darauf hinzuarbeiten, dass Verfassungspraxis sich nicht zu weit vom Verfassungstext entfernt.
„Das Recht auf politische Mitgestaltung ist gewährleistet.“
Wir wissen alle, dass es leider viele Bürger*innen in Brandenburg gibt, die diesen Satz nicht unterschreiben würden. Menschen, die das Gefühl haben, dass sie nicht gehört werden.
Teilweise liegt es daran, dass bestehende Möglichkeiten nicht bekannt sind. Es gibt die Möglichkeit für Bürgerbegehren auf kommunaler Ebene, für Volksbegehren auf Landesebene, die jeweils zu bindenden Abstimmungen führen können, die ganz konkret die Politik steuern oder sogar Gesetze in Kraft setzen. Es gibt in 36 Gemeinden in Brandenburg Bürgerbudgets, bei denen die Menschen vor Ort direkt über die Verwendung bestimmter Mittel abstimmen können. Das entspricht 37% der Landesbevölkerung. Damit ist Brandenburg übrigens mit Abstand Spitzenreiter in Deutschland.
Dazu kommen Bürgerhaushalte und immer wieder vielfältige Beteiligungsformate auf kommunaler und Landesebene. Hervorzuheben ist zusätzlich noch, dass Brandenburg im Jahr 2018 beschlossen hat, Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Kommunalverfassung vorzuschreiben.
Wer mit Menschen redet, die der Meinung sind, dass sich doch eh niemand für ihre Meinung interessiert, merkt oft, dass diese Möglichkeiten dort gar nicht bekannt sind. Hier muss noch viel mehr für die Bekanntheit der Möglichkeiten getan werden.
Allerdings: Es gibt auch andere Gründe. Nicht jeder hat die zeitlichen Ressourcen, sich langfristig in Initiativen zu engagieren oder Stellungnahmen zu Beteiligungsverfahren zu schreiben. Und wenn man schaut, wer überhaupt mitkriegt, dass gerade ein Beteiligungsverfahren läuft, dann sind es leider immer überproportional diejenigen, die ohnehin gut vernetzt und eher wohlhabend sind.
Und leider passiert es auch zu oft, dass Menschen sich mit viel Engagement in Verfahren beteiligen, nur um danach eine tiefe Enttäuschung zu erleben, weil die Ergebnisse kaum im späteren Regierungshandeln erkennbar sind. Das muss nicht immer daran liegen, dass kein Wille vorhanden ist. Oft passen die geweckten Erwartungen schlicht nicht zum Zeitpunkt oder Format der Beteiligung.
Und manchmal ist es auch einfach so, dass man im Nachhinein bemerkt, dass es zu einem Thema besser gewesen wäre, vorher eine breite Beteiligung durchzuführen, weil man dadurch aufgeheizte zugespitzte Debatten im Nachhinein hätte abmildern können.
Und genau deshalb ist es erstrebenswert, den Kanon der Beteiligungsformate zu erweitern und die Politik dahin weiterzuentwickeln, dass zu wichtigen Vorgängen automatisch eine Beteiligung angeboten und dabei aktiv betroffene Personengruppen einbezogen werden.
Vorreiter und Vorbild dafür ist innerhalb Deutschlands Baden-Württemberg. Nach den schweren Verwerfungen rund um das Projekt Stuttgart 21 wurde dort seit 2013 systematisch daran gearbeitet, Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen im politischen Prozess zu verankern.
In Brandenburg dauert ein solcher Kulturwandel bekanntermaßen manchmal etwas länger. Aber mit dem Koalitionsvertrag haben wir uns auf den Weg gemacht, um das Thema Bürgerbeteiligung entschieden nach vorne zu bringen. Wir haben eine Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung in der Staatskanzlei eingerichtet. Wir werden eine Beteiligungsplattform aufbauen und erstmals eine umfängliche Beteiligungsstrategie vorlegen.
Ich wünsche mir, dass in dieser Strategie schon möglichst konkret geregelt wird, in welchen Fällen ein Beteiligungsverfahren gestartet wird, z.B. wie in Baden-Württemberg bei jedem Gesetzesentwurf parallel zur Verbändebeteiligung. Ich wünsche mir auch, dass moderne ergänzende Verfahren wie z.B. Bürgerräte darin berücksichtigt werden. Denn gerade Bürgerräte haben sich immer wieder darin bewährt, hitzige gesellschaftliche Debatten zu einem konstruktiven und einvernehmlichen Ergebnis zu führen.
Über den genauen Inhalt der Strategie können wir aber dann diskutieren, wenn sie vorliegt. Bekanntlich sind erste Schritte immer mühsam. Und Brandenburg hat da nun einmal noch einen längeren Weg vor sich.
Das Gute daran, dass andere vorangehen, ist, dass wir uns hier in Brandenburg an den Erfahrungen, die dort gemacht wurden orientieren können. So gibt es inzwischen wissenschaftliche Begleitung und Auswertung von bestehenden Regelungen, die man für ähnliche Vorhaben einbeziehen kann.
Daran arbeiten wir von Bündnis 90 / Die Grünen sehr intensiv. Liebe Kolleg*innen von der Linkspartei, sie wissen selbst, wie dick die Bretter sind, die da zu bohren sind. Aber mit den vereinbarten Projekten aus dem Koalitionsvertrag wird am Ende der Legislatur ein entscheidender Fortschritt zu verzeichnen sein. Den Antrag werden wir heute ablehnen, aber seien Sie versichert, dass es beim Thema Bürgerbeteiligung weitergeht.
Von daher bin ich optimistisch, dass auch in Brandenburg der Kulturwandel kommen wird, dass Transparenz und Beteiligung eine Selbstverständlichkeit im politischen Prozess sind. Daran werden wir weiterarbeiten.
Vielen Dank