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Clemens Rostock spricht zum Antrag "Abschließende Aufarbeitung des Bodenreformunrechts bei Neusiedlererbinnen und -erben"

Herr Vizepräsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich hoffe, Sie hatten ein leichtes Mittagessen, weil jetzt schwere Kost kommt. Jetzt geht es um ein Thema, mit dem sich unter anderem der Bundesgerichtshof, ein Untersuchungsausschuss und auch eine Enquetekommission beschäftigt haben, von dem Plenum hier ganz zu schweigen.

Also, worum geht’s? Nach dem Zweiten Weltkrieg fand in der sowjetischen Besatzungszone eine Bodenreform statt. Deswegen wird auch oft von der Bodenreform-Affäre gesprochen. Damals wurden Großgrundbesitzer, Kriegsverbrecher und Nazis enteignet, und das Land wurde an Neusiedlerinnen und Neusiedler verteilt. Diese neuen Eigentümerinnen und Eigentümer konnten das Land auch vererben.

Dann kamen die Friedliche Revolution und die Wiedervereinigung. Mit dem Einigungsvertrag wurde das in der DDR gültige Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform vom 6. März 1990 zu Bundesrecht. - Klingt alles erst mal ganz einfach, doch dann wurde es kompliziert.

Mit dem Zweiten Vermögensrechtsänderungsgesetz und der damit einhergehenden Änderung der Rechtsgrundlage wurde auf einmal aufgrund von Artikel 233 des Einführungsgesetzes zum BGB - ich hoffe, Sie können noch folgen - die Vererbbarkeit infrage gestellt. Damit einher ging die Möglichkeit für die Bundesländer, Grundstücke von Neusiedlererbinnen und -erben entschädigungslos einzuziehen oder sich bei bereits erfolgten Verkäufen die Verkaufserlöse zu sichern. Dabei wurde ein Kriterium herangezogen, nämlich eine stichtagsbezogene Mitgliedschaft in der LPG. Das war schon ein bisschen seltsam oder willkürlich, denn es entsprach weder dem Charakter des Bodenreformeigentums noch dem Erbrecht der DDR.

Die Bundesländer gingen dabei recht unterschiedlich vor. In Brandenburg ist das ein größeres Thema als woanders, weil in Brandenburg mit Abstand die meisten Aneignungen stattfanden.

Es gibt zwei verschiedene Fallgruppen. Zur ersten Gruppe: In rund 7 500 Fällen griff Brandenburg auf das Recht der gesetz- lichen Vertretung bei unbekannten Erben zurück und ließ sich ins Grundbuch eintragen - und das, ohne berechtigte Erbinnen oder Erben zu ermitteln, also ohne sich wirklich Mühe zu geben, die bisher anonym gebliebenen Erbinnen und Erben zu finden. Diese Praxis hat der Bundesgerichtshof 2007 als sittenwidrig und nichtig bezeichnet.

Die zweite Gruppe umfasst 6 500 Fälle. Hier hatte sich Brandenburg vor dem 02.10.2000 - das ist ein anderer wichtiger Stichtag - den Boden von bekannten Erbinnen und Erben angeeignet.

Was also tun? Direkt nach dem BGH-Urteil gab es den Untersuchungsausschuss, den ich zu Beginn ansprach. Dieser stellte fest, dass es seitens der Regierung Versäumnisse und Fehlentscheidungen gab, deren Folgen noch andauern. - So weit, so bekannt.

Dann gab es die von uns Bündnisgrünen initiierte Enquetekommission zur „Aufarbeitung der Geschichte und Bewältigung von Folgen der SED-Diktatur und des Übergangs in einen demokratischen Rechtsstaat im Land Brandenburg“. Diese sprach die Empfehlung aus, Initiativen zur Rückgängigmachung der Grundstücksaneignung zu ergreifen.

Darauf wiederum folgte die Bundesratsinitiative Nummer 44/18. Diese hatte das Ziel, das vorhin zitierte Einführungsgesetz zum BGB so zu ändern, dass es zu einem Ausgleich der Härten kommen kann. Diese Initiative kommt im Bundesrat nicht so recht voran und liegt dort noch. Allerdings kamen in der Enquetekommission auch Sachverständige zu Wort, die meinten, dass Brandenburg die eingezogenen Flächen auch so zurückgeben könnte. - All das ist eine Rückschau; einen Durchbruch gab es bisher nicht.

Mit dem vorliegenden Antrag erkennen wir erst einmal an, dass noch immer nicht genug getan ist. Das ist, wie ich hoffe, aus den Ausführungen vielleicht deutlich geworden. Wir erkennen an, dass das Nebeneinander dieser beiden Gruppen und die juristisch unterschiedliche Behandlung - die einen, die erst noch zu finden sind, die anonym geblieben sind, die, sobald sie auftauchen, die Grundstücke relativ problemlos zurückerhalten, und die andere Gruppe der bereits vor dem 2. Oktober 2000 bekannten Erbinnen und Erben, deren Anspruch juristisch deutlich schlechter aussieht - zu keiner zufriedenstellenden Situation führt. Und ja, diese Vorgänge haben auch das Vertrauen vieler Betroffener in den Rechtsstaat angeknackst, um es mal so zu sagen.

Um das zu ändern, wird in dem Antrag Folgendes vorgeschlagen. Erstens: Das Land soll sich noch einmal um die Ermittlung der anonym gebliebenen Erbinnen und Erben kümmern. Das muss es auch gar nicht ganz alleine tun. Es gibt professionelle Erbenermittlerinnen und -ermittler. Die brauchen natürlich die dafür nötigen Daten; diese wollen wir ihnen zur Verfügung stellen.

Zweitens: Für die bereits bekannten Erbinnen und Erben ist das Ziel der Bundesratsinitiative weiterzuverfolgen, und zwar unabhängig von deren konkretem Ausgang. Ich weise noch einmal auf die Äußerungen der Sachverständigen in der Enquetekommission hin.

Drittens: Für diese Prozesse soll es eine Ansprechperson geben, die die Prozesse und die Betroffenen begleitet. Bis Ende 2023 soll schließlich ein Bericht vorgelegt werden, der das bis dahin Erreichte zusammenfasst.

Im besten Fall können wir bei den Betroffenen den Glauben in den Rechtsstaat wieder stärken. - Ich bitte um Zustimmung.

Vielen Dank.