- Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
Liebe Kolleg*innen,
Werte Gäste,
vor zehn Jahren wurde die Istanbul-Konvention gegen Gewalt an Frauen von den 46 Mitgliedsstaaten des Europarats unterzeichnet. 34 Länder haben sie inzwischen ratifiziert, darunter auch Deutschland, 2018 ist sie bei uns in Kraft getreten. Damit ist die Istanbul-Konvention völkerrechtlich verbindlich.
Traurigerweise ist es gerade die Türkei, deren Hauptstadt Ort ihres Entstehens war, die in diesem Jahr als erste ihren Austritt erklärt hat. Präsident Erdogan vollzog ihn per Dekret, er führte als Grund an, das Abkommen würde zu erhöhten Scheidungsraten führen und die Einheit der Familie gefährden. Dabei stellt die Istanbul-Konvention klar, dass Kultur, Tradition, Religion und „Ehre“ niemals Gewalt an Frauen rechtfertigt.
Ebenfalls in diesem Jahr legte die polnische Regierung dem Parlament einen Gesetzesentwurf vor, der einen Austritt vorsieht. Der endgültige Austritt wurde allerdings noch nicht vollzogen. Die Argumentation hier: die Konvention sei ein Versuch der LGBTIQ*, der Gesellschaft ihre Vorstellungen aufzuzwingen. Bemerkenswert, da es in der Kommission nicht einmal um dieses Thema geht.
Der EU-Außenbeauftragte, der US-Präsident und viele andere Politiker*innen und NGOs verurteilten diese Entscheidungen. Sowohl in der Türkei als auch in Polen gab und gibt es Proteste gegen die Austritte.
Umso wichtiger ist es, nun erst recht ein starkes Signal zu setzen auch in Richtung unserer europäischen Nachbar*innen: Ja, wir nehmen die Istanbul-Konvention ernst und setzen sie um, wir wollen Gewalt an Frauen aktiv bekämpfen.
Dies haben wir auch im Brandenburger Koaltionsvertrag verankert.
Doch wie ist eigentlich die Lage hier bei uns in Brandenburg?
Das Frauenministerium hat dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben, das erstmals einen fundierten Überblick gibt. Leider sind Straftaten in Form von sexualisierten Übergriffen in Brandenburg von 2013 bis 2019 um 50% gestiegen. Auch die Fälle körperlicher Gewalt haben sich erhöht. Allein im Jahr 2020 sind in Brandenburg 3 Frauen von ihren (Ex-)Partnern getötet worden. Die Enge, Frust und Wut, die die Corona-Pandemie teilweise mit sich brachte, hat auch zu mehr häuslicher Gewalt geführt. Und dazu dass Frauen Schutzangebote schlechter nutzen konnten.
In Deutschland stirbt durchschnittlich jeden dritten Tag eine Frau auf diese Weise. Und jede dritte Frau erlebt mindestens einmal in ihrem Leben einen sexualisierten Übergriff.
Der häufigste Grund für das Schutzsuchen im Frauenhaus ist jedoch psychische Gewalt. Sie wird gefolgt von physischer und sexualisierter Gewalt, sozialer und ökonomischer Gewalt, Stalking und schließlich der Gewalt gegen Kinder. Opfer und Täter aus allen gesellschaftlichen Schichten und Altersgruppen. Im ländlichen Raum ist es oft schwerer, sich der gewaltausübenden Person zu entziehen und es gibt weniger Schutzangebote.
Das Gutachten rechnet auch erstmals vor: Im Durchschnitt konnte in Brandenburg jeder zweiten Zuflucht suchenden Frau kein Schutz angeboten werden.
Das hängt natürlich eng zusammen mit der Zahl an verfügbaren Frauenhausplätzen aber auch am verfügbaren Personal. Gleichwohl sehen wir hier eine schrittweise Verbesserung: Gab es 2019 noch 286 Plätze in Brandenburger Frauenhäusern, so waren es in 2020 bereits 302.
Dabei genügt übrigens nicht der Blick auf den Auslastungsgrad. Solange die Frauenhäuser nicht zu 100% ausgelastet sind, sind wir doch auf der sicheren Seite, könnte man meinen? Dem ist aber nicht so. Zieht eine Frau mit einem Kind in ein Familienzimmer ein, in dem auch 2 oder 3 Kinder untergebracht werden könnten, haben wir keine 100% Auslastung – aber eben trotzdem kein verfügbares Zimmer.
In Zukunft werden die Gründe für Abweisungen nun detailliert erfasst.
Auch Barrierefreiheit ist hier ein Thema. Denn nur jede dritte Schutzeinrichtung war mit Stand 2017 ganz oder teilweise barrierefrei. Hier hilft das Investitionsprogramm des Bundes, was wir auch in Brandenburg umsetzen. Und aus den PMO-Mitteln kann zudem das Frauenhaus Dahme-Spreewald modernisiert werden, barrierefreier und kindgerechter gestaltet werden.
Aus Landesmitteln werden wir die Schaffung von 50 zusätzlichen Plätzen in Frauenhäusern im Land Brandenburg gemeinsam mit dem Bund finanzieren und haben dafür die Kofinanzierung im Haushalt eingestellt. Weitergeführt wird auch der jährliche Zuschuss des Landes an alle Brandenburger Frauenhäuser in Höhe von gut 2 Mio Euro. Hier wird es in Zukunft darauf ankommen, die Finanzierung in den Kreisen einheitlich zu gestalten und zu verstetigen, damit die Frauenhausmitarbeiterinnen nicht jährlich Anträge stellen müssen. Damit verlieren sie wertvolle Arbeitszeit und die Finanzen geraten zur wiederkehrenden Zitterpartie. Ich halte es für richtig, sich das Finanzierungsmodell aus Schleswig Holstein genauer anzuschauen, in dem die Frauenhausfinanzierung in den kommunalen Finanzausgleich integriert wurde.
Aber die Frauenhäuser sind nur ein Baustein zum Schutz gegen Gewalt. Es ist wichtig, dass hier alle Beteiligten eng zusammenarbeiten: Polizei und Justiz, soziale Träger und Beratungsstellen, Krankenhäuser, Psycholog*innen, Dolmetscher*innen und Kinderbetreuungsangebote. Und auch alle beteiligten Ministerien. Deswegen beauftragen wir die Landesregierung mit unserem Antrag eine koordinierte politische Gesamtstrategie zur Umsetzung der Istanbul-Konvention im Land Brandenburg zu erarbeiten und dazu bis 2023 einen Maßnahmenplan vorzulegen. Damit entwickeln wir den bisherigen Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen weiter und werten ihn deutlich auf.
Außerdem kommt es darauf an, genaue Daten zur Verfügung zu haben – wo müssen Frauen abgewiesen werden, wo werden Plätze benötigt, wo Familienzimmer, wo barrierefreie Räume. Wie ist der Beratungsbedarf vor Ort und wie klappt die Zusammenarbeit aller Beteiligten? Dies erreichen wir am besten mit einem Datenmonitoring und einer landesweiten Koordinierung, wie sie die Istanbul-Konvention in §7 vorsieht. Mit den Ergebnissen, wie das aussehen könnte, werden wir uns dann im Ausschuss beschäftigten.
Aber nicht nur die Prävention und die Unterstützung der Betroffenen sind Ziele der Konvention, sondern auch eine effektivere Strafverfolgung.
Wir wollen Polizei und Justiz noch besser sensibilisieren, worauf Beamt*innen achten müssen, wenn sie Gewalt gegen Frauen begegnen. Wichtig ist hier die enge Zusammenarbeit der Polizei mit Schutz- und Beratungsstellen, aber auch die klare Benennung und Erfassung von entsprechenden Straftaten. Daher haben wir im Antrag Frauen in der Corona-Pandemie im Frühjahr beschlossen, dass Femizide in Zukunft separat ausgewiesen werden müssen.
Auch die gute Zusammenarbeit vieler Frauenhäuser mit den Migrationssozialarbeiterinnenvor Ort kann fortgeführt werden dank unseres Änderungsantrags zum Haushalt, diese zu verstetigen. Ein wichtiger nächster Schritt muss es sein, personelle Kapazitäten für die Kinderbetreuung in Frauenhäusern sicherzustellen und qualifizierte Mitarbeiterinnen sachgerecht zu bezahlen. Denn es wird immer schwieriger Fachkräfte für dies anspruchsvolle Aufgabe zu finden. Nacht- und Wochenendschichten, ständige Abrufbarkeit, die Konfrontation mit Gewalt und nicht selten Anfeindungen von Tätern gehören zum Alltag dieser Kolleginnen. Außerdem sollten wir perspektivisch Frauenhäuser und Beratungsstellen trennen. Natürliche erfolgt immer auch Beratung durch die Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser. Aber ihnen bleibt oft nicht die Zeit, auch Frauen zu beraten, die zwar keinen Platz im Haus benötigen, dennoch aber die Beratung. Zudem sollen Frauenhäuser ja Schutzräume sein und nicht als Beratungsstellen für die Öffentlichkeit zugänglich sein.
Sehr geehrte Kolleg*innen, 51% der Einwohner*innen Brandenburgs sind Frauen. Sie stehen durch die Istanbul-Konvention unter einem besonderen Schutz. Es gilt, Frauen ein gewaltfreies und sicheres Leben zu ermöglichen, in allen Landesteilen und in allen Lebenssituationen.
Lassen Sie uns darauf gemeinsam hinarbeiten, hier im Landtag und vor Ort in unseren Regionen. Ich bitte Sie um Zustimmung.