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Rede im Landtag: Direkte Demokratie und Ehrenamt in Pandemiezeiten

Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren!

Wir reden heute laut Titel der Aktuellen Stunde über Ehrenamt und Demokratie in der Pandemie. Da das Ehrenamt bei der Einbringung durch Herrn Vida doch eher zu kurz kam, möchte ich damit anfangen.

Jeder dritte Brandenburger, jede dritte Brandenburgerin engagiert sich ehrenamtlich - wir haben es schon gehört -, und dieses Engagement bildet ein wichtiges Fundament unserer Gesellschaft. Es ist klar, dass eine Pandemie, die alle Lebensbereiche betrifft, massive Auswirkungen auch auf das Ehrenamt hat. Das ist nicht schön; denn es betrifft viele Bereiche, die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt essenziell sind. Nach dem, was bisher vorsichtig abschätzbar ist, hat sich die Zahl der Engagiertenvermutlich nicht verringert, aber die ehrenamtliche Arbeit ist natürlich in vielen Bereichen sehr viel schwieriger geworden.

Ein Beispiel für die Probleme konnte ich direkt erleben, als ich Ende letzten Jahres einen Tag bei der Potsdamer Tafel aushelfen durfte. Nicht nur wird die Arbeit mit Maske schwieriger, sondern es fallen auch wichtige Teile der Arbeit weg, weil der direkte Kontakt mit den Kundinnen und Kunden schwieriger wird, und das betrifft auch viele Unterstützungsangebote, die weit über das Ausgeben von Nahrungsmitteln hinausgehen. Wirklich bilanziert werden kann aber wohl erst im Nachhinein, was Corona in den verschiedenen Bereichen der ehrenamtlichen Arbeit angerichtet hat.

Die Landesregierung hat bereits an vielen Stellen unterstützt - Herr Noack hat das bereits ausgeführt -, und es ist wichtig, dass die Politik die Auswirkungen weiter in den Blick nimmt. Das werden wir als Koalition tun. Wir werden versuchen, alles Mögliche zu tun, damit die Schäden nach Corona nicht allzu groß sind.

Schwieriger stellt sich die Situation aber leider bei einer bestimmten Form des Engagements dar, nämlich bei der Durchführung von Volksbegehren. Wir von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatten schon immer ein besonderes Verhältnis zu Bürgerbewegungen.

Wir haben die direkte Demokratie immer als wichtige Ergänzung der parlamentarischen Demokratie gesehen und werden sie in Brandenburg weiterhin unterstützen und verteidigen, und zwar nicht, weil uns jede Volksinitiative inhaltlich besonders gut passt, sondern weil es - gerade in Zeiten einer zunehmenden Entfremdung von der Politik in vielen Bereichen - wichtig ist, dieses Instrument der direkten politischen Einflussnahme der Bürgerinnen und Bürger zu haben.

Ist die direkte Demokratie von Corona betroffen? Ja, selbstverständlich.

Fast alle Orte, an denen sich im Normalfall Menschen versammeln, also genau die Orte, an denen die Initiativen Chancen haben, mögliche Unterstützerinnen und Unterstützer anzusprechen, fallen während einer Coronawelle weg. Genau deshalb haben wir im Landtag die Fristverlängerung für Volksinitiativen beschlossen. Aus demselben Grund haben wir auch für die Dauer der Pandemie bei Bürgermeisterwahlen die Anzahl der nötigen Unterschriften für unabhängige Kandidatinnen und Kandidaten gesenkt; denn wo immer es geht, soll vermieden werden, dass aufgrund von Corona demokratische Verfahren Einschränkungen erfahren.

Was in Bezug auf Volksbegehren nun anders ist, ist einfach erklärt: Die Fristen und die Unterschriftenzahlen stehen in der Landesverfassung. Wir können nicht, wie in den anderen Bereichen, einfach an den Stellschrauben drehen.

Was ist nun der Vorschlag der Freien Wähler? - Eine Idee war es, die freie Sammlung von Unterschriften für Volksbegehren zu erlauben. Ich habe bereits mehrfach ausgeführt, dass wir - ich persönlich und auch meine Fraktion - uns stark für die freie Sammlung einsetzen. Aber ausgerechnet als Ausgleich für die durch die Pandemie entstehenden Nachteile ist das nun wirklich kein geeignetes Instrument. Das Problem ist doch, dass Kontakte schwerer zustande kommen, und ob man danach noch eine Briefeintragung machen muss oder nicht, ändert nichts daran.

Ich muss leider bilanzieren, dass ich im Moment keinen Weg sehe, wie wir die Nachteile für Volksbegehren schnell und unkompliziert ausgleichen können. Eine Online-Eintragung würde hier sicherlich helfen, aber sie ist leider noch nicht ganz so weit.

Ich bin mir jedoch sicher, dass im Innenministerium mit Hochdruck daran gearbeitet wird, diese Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Ich werde mich sehr freuen, wenn wir ein Konzept zur Realisierung vorgelegt bekommen.

Meine Damen und Herren, bis hierher habe ich mich an den Titel der Aktuellen Stunde gehalten; denn ich denke, bürgerschaftliches Engagement verdient es, hier ernsthaft behandelt zu werden. Zum Schluss möchte ich allerdings doch noch ein paar Worte zum eigentlichen Thema der Freien Wähler in dieser Debatte verlieren. Herr Vida, Sie haben natürlich jedes Recht, Ihre Aktuelle Stunde im Landtag zu nutzen, um für Ihr derzeit laufendes Volksbegehren zu werben. Ich persönlich bin der Meinung, dass wir lieber nach der Durchführung inhaltlich darüber reden sollten, aber das ist Ihre Entscheidung.

Was ich aber problematisch finde, ist der Tonfall, mit dem Sie und die anderen Mitglieder Ihrer Fraktion hier über die Schwierigkeiten der Durchführung reden. Wir Bündnisgrünen haben genug Volksbegehren begleitet, um sehr gut zu wissen, zu welchen Frustrationen es kommen kann, und ich kann mir gut vorstellen, um wie vieles größer die Frustrationen jetzt, in der Pandemie, sind. Wir haben im Innenausschuss ausführlich über die Probleme bei einigen Ämtern gesprochen. Diese sind bedauerlich, und es ist absolut richtig, dass sie so schnell wie irgend möglich behoben werden müssen und in keinem Fall dazu führen dürfen, dass sich irgendjemand nicht eintragen kann.

Aber, Herr Vida, dass Sie mit diesem raunenden Unterton anzudeuten versuchen, dass der Staat absichtlich und rechtswidrig versuche, das laufende Volksbegehren zu verhindern, ist unredlich. Ich finde es wirklich bedenklich, wie sehr ich mich bei Ihrer heutigen Rede an Verschwörungstheorien erinnert fühle, die in der letzten Zeit leider grassieren. Nein, Herr Vida, es wird nicht willkürlich entschieden, wer hier eine Verlängerung bekommt und wer nicht.

Wir haben das Gesetz geändert, um Volksinitiativen eine Verlängerung zu ermöglichen, und selbstverständlich galt das für alle Volksinitiativen. Ich habe erläutert, warum das für Volksbegehren nicht so einfach möglich ist. Es ist völlig logisch, dass Volksinitiativen und Volksbegehren unterschiedlich behandelt werden; denn das eine führt bei Ablehnung direkt zu einem Volksentscheid, der gesetzgebende Wirkung haben kann. Das hat nichts damit zu tun, ob uns der Inhalt gefällt oder nicht.

Herr Vida, ich bitte Sie an dieser Stelle wirklich eindringlich: Werben Sie für Ihr Volksbegehren, kritisieren Sie Fehler, wo sie auftreten, und setzen Sie sich weiter für Verbesserungen der direkten Demokratie ein. Aber bitte gehen Sie noch einmal in sich und fragen Sie sich, ob Sie dieses Verschwörungsgeraune hier wirklich so durchziehen möchten. Sie vergiften damit die Debatte, und meiner Meinung nach ist das Thema direkte Demokratie zu wichtig, um durch so ein Vorgehen beschädigt zu werden. -

Vielen Dank.

Weiterführende Informationen

Rede zu: Aktuelle Stunde "Direkte Demokratie und Ehrenamt in Pandemiezeiten" (TOP 1 der 62. Plenarsitzung)