- Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, Liebe Kolleg*innen, liebe Gäste,
die Frage, wie Wahlen organisiert werden gehört zu den essenziellsten, die ein Parlament behandeln kann. Denn nichts bedroht eine Demokratie so grundsätzlich, wie eine Untergrabung des Vertrauens, dass die Zusammensetzung der Volksvertretung fair zustande kommt. Was passieren kann, wenn Populisten es schaffen, gegen die Wahlhandlung und deren Ergebnis selbst zu agitieren, mussten wir leider in den letzten Jahren in mehreren demokratischen Ländern beobachten. Deswegen ist eine Änderung der Wahlgesetzgebung nie einfach ein normaler Vorgang sondern muss von einem Parlament mit ganz besonderer Ernsthaftigkeit und Gründlichkeit angegangen werden.
Worum also geht es in dem vorliegenden Gesetzesentwurf? Zunächst einmal beschäftigt er sich nicht mit der grundsätzlichen Zusammensetzung unseres Parlaments oder der Kommunalvertretungen. Stattdessen werden eine ganze Reihe von Änderungen im Wahlprozess vorgeschlagen, viele davon redaktionell, einige aber auch mit sehr konkreten Auswirkungen.
Zunächst einmal freue ich mich sehr, dass wir nach unserer Landesverfassung nun auch das Wahlrecht so formulieren, dass es möglichst alle Menschen anspricht, also insbesondere auch die Existenz von Frauen erkennbar wird. Gerade angesichts eines Tiefstandes des Frauenanteils hier im Landtag, wie auch der Schwierigkeiten, angesichts von häufigen Anfeindungen und familienunfreundlichen Zeiten Frauen für die Kommunalpolitik zu gewinnen, steht es uns glaube ich gut zu Gesicht, dass zumindest die Gesetze, die die Grundlage für Wahlen im Land bilden, nun Frauen und Männer gleichermaßen angesprochen und sichtbar werden.
Ein anderes im Gesetzentwurf enthaltenes Thema ist uns Bündnisgrünen ebenfalls sehr wichtig: die Verbesserung des Schutzes für Kandidierende auf Direktmandate.
Bisher galt die Regel, dass die Wohnanschrift von Kandidierenden auf dem Wahlzettel abgedruckt wird. An sich auch naheliegend, ist es doch schließlich für Wähler*innen wichtig zu wissen, ob die Person, die sie vertreten soll zum Beispiel überhaupt im Wahlkreis wohnt. Allerdings mussten wir in den vergangenen Jahren eine Verrohung von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen erleben, die Angst machen muss.
Wir mussten miterleben, wie vor Privathäusern von Amtsträger*innen aggressive Demonstrationen stattfanden, wie Bedrohungen von Amts- und Mandatsträger*innen gerade auf kommunaler Ebene zunahmen und es teils sogar zu tätlichen Angriffen kam. Angesichts dieser Lage ist es meiner Meinung nach überfällig, dass wir zum Schutz derjenigen, die sich vor Ort für die Demokratie engagieren von der bisherigen Praxis Abstand nehmen und stattdessen nur noch den Wohnort ohne konkrete Adresse abdrucken.
Ein weiterer wichtiger Fokus dieses Gesetzentwurfs ist ebenfalls den Erfahrungen der letzten Jahre geschuldet, nämlich konkret der Erkenntnis, dass wir bisher mangelhaft darauf vorbereitet waren, auch während einer Notlage die Demokratie am Laufen zu halten. Hierfür werden nun Verfahrensweisen vorgeschlagen, wie im Falle einer Notlagenerklärung durch den Landtag die Aufstellung von Kandidierenden auch unter widrigen Bedingungen ermöglicht wird.
Für Einzelbewerber*innen wird in diesen Fällen die Anzahl an Unterstützungsunterschriften herabgesetzt, wie wir es schon während der Corona-Maßnahmen temporär getan haben um die zusätzlichen Hürden die entstanden, auszugleichen.
Für Parteien hingegen werden verschiedene Modi ermöglicht, in digitalen Parteitagen oder schriftlichen Verfahren die Bewerbungen und Wahlen vorzunehmen. Das erkennt an, dass es in einer Notlage essenziell ist auch die Parteiinterne Demokratie aufrecht zu erhalten, denn ohne diese würde ein wichtiger Pfeiler unseres demokratischen Systems wegfallen. Gleichzeitig werden wir gerade bei digitalen Verfahren im Ausschuss aber auch darüber reden müssen, ob damit in Zeiten, in denen Hackerangriffe zum Mittel internationaler Konflikte geworden sind, neue Angriffsmöglichkeiten auf unsere Demokratie eröffnet werden.
Dazu passt übrigens, dass ich - für mich einigermaßen überraschend – bei der Beschäftigung mit diesem Gesetzentwurf festgestellt habe, dass im bisherigen Landeswahlgesetz noch immer der Einsatz von Stimmenzählgeräten vorgesehen ist. Angesichts des Urteils von 2009 des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz von Wahlmaschinen und der Erfahrungen aus den USA und Brasilien, wo Wahlcomputer im Zentrum der vorgeschobenen Gründe für demokratiefeindliche Ausschreitungen standen, sollten wir im Zuge der Befassung mit diesem Gesetz eventuell auch darüber noch einmal nachdenken.
Denn die genannten Vorgänge zeigten, dass unabhängig davon, ob irgendwelche tatsächlichen Anhaltspunkte für Manipulationen oder Fehler vorliegen, im Nachgang einer Wahl mit Wahlcomputern die einfache Behauptung einer Manipulation ausreicht um die Demokratie in Gefahr zu bringen. Denn der Beweis, dass ein Computer das tut, was er soll, ist selbst für Experten fast unmöglich zu erbringen, für durchschnittliche Bürger*innen jedenfalls im Gegensatz zu einer Papierauszählung in keinem Fall nachvollziehbar.
Ein letztes Thema möchte ich an dieser Stelle noch ansprechen: Viel zu viele Wahlen von Landrätinnen oder Landräten enden damit, dass das erforderliche Quorum für die Direktwahl nicht erreicht wird und dann der Kreistag entscheidet. Das ist höchst unbefriedigend und ich möchte gerne alle einladen, dass wir uns im Rahmen der Beratungen im Innenausschuss darüber austauschen, wie man das in Zukunft ändern kann.
Das einfachste wäre es, das Quorum zu senken, um die Situation zu verändern. Aber das hieße eben auch, dass die Repräsentanz der Wahl erheblich leidet.
Da in aller Regel bei Stichwahlen eine um 10% geringere Wahlbeteiligung vorherrscht, wäre eine aus meiner Sicht interessante Überlegung, sich mit Wahlverfahren beschäftigen, die eine integrierte Stichwahl bereits im ersten Wahlgang ermöglichen. Das ist mit Sicherheit nichts, was man „mal eben so“ macht, sondern müsste sehr sorgfältig diskutiert und vorbereitet werden, aber ich glaube, es wäre den Versuch wert, sich zumindest damit zu beschäftigen. Heute dazu nur so viel: Mit der Einrichtung von Auszählungswahlvorständen schafft der Regierungsentwurf schon eine der Voraussetzungen dafür, dass eine integrierte Stichwahl möglich wäre.
Damit komme ich für heute zum Schluss und freue mich auf die Debatte im Ausschuss über noch viele weitere Details im Gesetzentwurf, zum Beispiel auch zu verschiedenen Regelungen im Volksabstimmungsgesetz.
Vielen Dank.