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Rede im Landtag: Einschulungsstichtag

- Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete, sehr geehrte Zuschauende,

Wann ist eigentlich ein Kind schulreif?

Ein Blick über den eigenen Horizont zeigt, dass das international durchaus unterschiedlich gesehen wird. So wissen wir jetzt aus der Erfahrung mit ukrainischen Kindern, dass in der Ukraine Kinder erst im Alter von sieben Jahren eingeschult werden. Das gilt z.B. auch für Länder wie Estland, Finnland oder Schweden.

Schon mit vier Jahren dagegen gehen Kinder in Luxemburg zur Schule, mit fünf Jahren in den Niederlanden, in Polen oder der Schweiz.

Besonders früh beginnt die Schulpflicht in Frankreich: Ab drei Jahren startet die sogenannte „Ecole Maternelle“. Dreijährige lernen zählen, Vierjährige schreiben Buchstaben: 24 Stunden pro Woche werden hier das soziale Miteinander, aber auch die Sprachkompetenz, die Konzentration und die Feinmotorik gefördert.

Interessant finde ich das Beispiel Neuseeland. Dort kommt ein Kind genau dann in die Schule, wenn es fünf Jahre alt wird. Es wird dann feierlich in die Klassengemeinschaft aufgenommen. Das funktioniert aber nur, weil dort Schulen nicht nur Lernorte sind, sondern Lebensorte, mit sehr vielen Projekten und sozialen Aktivitäten, mit sehr viel Selbstorganisation und „Learning bei doing“ ohne Leistungs- und Notendruck.

Der Faktor „Schulreife“ wird also im Ländervergleich sehr unterschiedlich definiert. Und ob ein Kind in der Schule klarkommt, ist individuell sehr verschieden und hängt von sehr vielen Dingen ab, auch von der ganz persönlichen Entwicklung. Nicht zuletzt aber auch ganz entscheidend von der Schule selbst, von der Atmosphäre dort, von der Gestaltung des sozialen Miteinanders und der Lernprozesse.

Viel mehr als über den Einschulungsstichtag sollten wir daher über gute Schulen und guten Unterricht diskutieren. Wir sollten das Programm der Schulen für gemeinsames Lernen zügig wiederaufnehmen und nicht alle Kinder über einen Kamm scheren. Wenn es mehr individuelles Lernen gibt und mehr Flexklassen, in denen Kinder je nach Lernfortschritt und sozialer Entwicklung ein, zwei oder drei Jahre bleiben, spielt der konkrete Einschulungsstichtag eine wesentlich geringere Rolle für den Schulerfolg eines Kindes.

Es ist richtig: Die Koalition hatte sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, den Einschulungsstichtag drei Monate zurückzuverlegen, vom 30. September auf den 30. Juni. Ziel war, dass die Kinder tatsächlich sechs Jahre alt sind, wenn sie in die erste Klasse kommen. Nun hat die Bildungsministerin erklärt, dieses Vorhaben nicht mehr umsetzen zu können. Grund sind im Wesentlichen die Kita-Kapazitäten, die vorgehalten werden müssten, wenn ein Viertel aller Kinder eines Jahrgangs ein Jahr länger in der Kita bleibt.

Eine wichtige Rolle bei der Entscheidung spielten angesichts der Haushaltssituation aber auch die erheblichen Mehrkosten von 15 bis 26 Millionen Euro jährlich.

Die Mittel, die wir jetzt nicht für die Verlegung des Stichtags verausgaben, sollten wir daher vordringlich für das Ziel bereitstellen, die Schul- und Unterrichtsqualität zu verbessern. Vielleicht können wir da von Neuseeland lernen. Dort gilt ein Rahmenlehrplan, der die Selbstorganisation in den Mittelpunkt stellt. Ich möchte Schulen zu Lebens- und Lernorten für alle Kinder machen, mit mehr individueller Förderung, längerem gemeinsamen Lernen und mehr Multiprofessionalität.

Entscheidend für uns Bündnisgrüne in der jetzigen Situation ist, dass die bisherige Praxis beibehalten bleibt, Anträge auf Rückstellungen unbürokratisch zu genehmigen. Etwa die Hälfte der Eltern von Kindern, die zwischen 30. Juni und 30. September Geburtstag haben, stellte in den vergangenen Jahren einen solchen Antrag. Diese wurden fast alle, genauer in etwa in 96 Prozent der Fälle, genehmigt.

Denn dabei muss es unter den gegebenen Bedingungen bleiben: Kein Kind soll gegen den Willen der Eltern mit fünf Jahren in die Schule gehen!

Weiterführende Informationen

Rede zu: Antrag "Koalitionsversprechen einhalten - Neuregelung des Einschulungsstichtags umsetzen" (TOP 5 der 69. Plenarsitzung)