Es gilt das gesprochene Wort !
Anrede,
Was uns hier an Anträgen in unterschiedlichen Reifegraden in der letzten Woche vorgelegt wurde, kann eigentlich nur mit dem Begriff 'Wendekreis des Krebses' bezeichnet werden. Sie erinnern sich: zwei Schritte vor, einer zurück und dann eine Wende.
Vorneweg: Wir begrüßen es ausdrücklich, dass Frau Ministerin Münch sich das Inklusionsthema auf die Fahnen geschrieben hat. Wir unterstützen das Ziel eines inklusiven Bildungssystems, das alle Kinder und Jugendlichen – ob mit oder ohne Förderbedarf – ihren Anlagen und Besonderheiten entsprechend fördert. Nur wenn wir schon in Kindheit und Jugend zusammen leben, also in Kita und Schule, erreichen wir volle und wirksame gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und gleichzeitig mehr Bildungsgerechtigkeit für alle. Gemeinsames Aufwachsen und Lernen trägt nicht nur für Kinder mit Förderbedarf Früchte, sondern insbesondere wird die soziale Kompetenz aller Kinder in besonderem Maße gefördert. In diesem Sinne begrüßen wir die schrittweise Schließung bzw. Öffnung der Förderschulen und den Umbau des Bildungssystems hin zu einer Schule, die alle Kinder gleichermaßen fördert.
Die Ankündigung des Schließungsjahres 2019, ohne parallel den Betroffenen den Weg dorthin aufzuzeigen, halten wir allerdings für einen schweren strategischen Fehler. Das ist eine Kommunikationsform, die ähnlichem Muster folgt wie gegenüber den Schulen in freier Trägerschaft: Ich verkünde drohendes Unheil, ohne die Menschen dafür zu wappnen. Der beste Weg, um maximale Verunsicherung zu erreichen. Sehr geehrte Frau Ministerin Münch, vielleicht wäre es hilfreich, Ihrem Referat 'Strategische Kommunikation' mal eine Fortbildung zu gönnen?
Also: Auch wir wollen dringend ein Umsetzungskonzept, aus dem hervorgeht, wie der notwendige Umbau ohne Einschnitte bei der Förderqualität zu bewältigen ist. Alle Betroffenen haben ein Recht darauf zu erfahren, wie die personellen Ressourcen verteilt werden, in welcher Form mit sonderpädagogischer Unterstützung zu rechnen ist, wie die räumlichen Erfordernisse umgesetzt werden, wie die Lehrkräfte mit Weiterbildung unterstützt und alle ausreichend informiert und eingebunden werden.
In diesem Sinne haben wir sowohl den Antrag der CDU auf Durchführung der Aktuellen Stunde begrüßt als auch den Antrag der FDP. Zumindest bis gestern. Der CDU-Antrag forderte eine Diskussion über die richtigen Rahmenbedingungen, wie das Niveau von individueller Förderung für Schüler mit und ohne Förderbedarf gehalten werden kann. Hundertprozentige Zustimmung. Der FDP-Antrag zum alten TOP 16 forderte ein Konzept und benannte die konkret darin aufzunehmenden Punkte. Auch dazu hundertprozentige Zustimmung.
Seit gestern nachmittag aber sieht das alles ganz anders aus, jetzt gucken CDU und FDP plötzlich nicht mehr nach vorne, sondern ziehen zurück und machen den Wendekrebs: Jetzt soll die Ankündigung, die Förderschulen bis 2019 zu schließen, zurückgezogen werden und das geplante Pilotprojekt ausgesetzt werden? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein? Der Effekt wäre doch eine noch viel größere Verunsicherung bei allen Beteiligten und eine kaum zu verantwortende Verzögerung des Gesamtprojektes!
Nein, jetzt brauchen wir stabile Leitplanken und einen klaren Blick nach vorne.
Noch ein kleiner Exkurs: Uns ist klar, dass Inklusion nicht heißen kann, alle Föderschulen in den nächsten Jahren zu schließen. Wir beginnen mit den Förderbedarfen LES, also Lernen, Sprache und emotionale und soziale Entwicklung. Der Weg wird sehr lang. Aber das Fernziel kann nicht heißen, Wahlfreiheit in Stein zu meißeln, zwei Systeme, inklusive Beschulung oder sondierte, parallel zu perfektionieren. Das wäre die teuerste Variante und widerspräche dem Geist des Begriffes 'Inklusion'.
Sehr geehrte Frau Ministerin, jetzt sind Sie gefragt: Gehen Sie mutige Schritte und hüten Sie sich vor den Krebsen!