- Es gilt das gesprochene Wort! -
In der Bertelsmann-Studie zu Kinderarmut vom Februar diesen Jahres wurden erstmals die Armutsquoten für die Altersgruppe der unter Dreijährigen aufgezeigt, basierend auf der amtlichen Statistik von 2009. Danach hat Brandenburg – trotz deutlicher Verbesserung – die dritthöchste Armutsquote unter den Flächenländern. Höhere Armutsquoten haben Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sowie die Stadtstaaten Berlin und Bremen. In Brandenburg gibt es große regionale Unterschiede: Im Landkreis Potsdam-Mittelmark wuchsen laut Studie 15,1 Prozent der unter Dreijährigen in Armut auf, im Landkreis Uckermark waren es 40,5 Prozent. In Potsdam betrug die Armutsquote laut Studie 22,5 Prozent, in Frankfurt (Oder) lag sie bei 42,1 Prozent.
Was hat das mit dem vorliegenden Antrag zu tun? Folgendes: Um einer Benachteiligung bei den Bildungschancen entgegenzuwirken, die so stark mit der sozialen Herkunft korrelieren, brauchen wir besonders dringend eine Verbesserung der frühkindlichen Förderung. Nur so sorgen wir für echte Chancengerechtigkeit und durchbrechen die Armutsspirale.
Wir erkennen an, dass die Landesregierung zu Anfang der Legislaturperiode mit der Verbesserung des Kita-Betreuungsschlüssels einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht hat. Aber diese Großtat hat uns im Ländervergleich von Platz 16 nur auf Platz 16 katapultiert.
Mehrfach haben wir als Oppositionsparteien den Vorstoß gemacht, die Rahmenbedingungen in den Kindestagesstätten weiter zu verbessern. Obwohl alle Bildungsforscher sich einig sind, dass die entscheidenden Weichen für die Bildungsbiografien von Kindern in den ersten Jahren gelegt werden, gleicht dieses Anliegen einem Ritt gegen Windmühlen: Die Landesregierung lässt nicht erkennen, dass sie weitere Verbesserungen plant. Wir reiten trotzdem weiter.
Holger Rupprecht hatte sich noch vorgenommen, die Zahl der Jugendlichen, die die Schule ohne einen Abschluss verlassen, zu halbieren. Von diesem Ziel trennt uns noch viel. Martina Münch hat sich jetzt zumindest vorgenommen, die Kitas zu Bildungsstätten weiter zu entwickeln.
Dabei nimmt die Sprachförderung in den ersten Jahren einen besonderen Rang ein. Brandenburg ist das einzige Land, das sein Landesprogramm zur Sprachförderung evaluiert hat. Bravo! Dass dabei herauskommt, dass das Landesprogramm der kompensatorischen Sprachförderung - also der nachträglichen Förderung der Kinder, bei denen Förderbedarf festgestellt wurde, immerhin knapp 20 % - wenig zweckdienlich ist, kann uns ja eigentlich nur weiter bringen. Aber dass die Untersuchung offensichtlich mit so spärlichen Mitteln versehen wurde, dass die Antwort auf das 'Warum?' ausbleiben musste, ist schon sehr trist. Die WissenschaftlerInnen konnten neben den Kindern nur das theoretische Konzept überprüfen. Ob es von den Erzieherinnen auch adäquat umgesetzt werden konnte, muss offen bleiben. Zumindest scheint festzustehen, dass die alltagsintegrierte Sprachförderung gegenüber der kompensatorischen große Vorteile hat.
Es wird auch nahe gelegt, mit der Sprachförderung sehr viel früher zu beginnen: Nicht erst die Kinder ein Jahr vor der Einschulung zu testen und ggf. zu fördern, sondern sehr viel früher. Klar wird dabei aber auch: Das Konzept steht und fällt dem Betreuungsschlüssel, denn wenn die Erzieherinnen zu wenig Zeit haben, mit den einzelnen Kindern zu reden bzw. den einzelnen Kindern zuzuhören, dann nützen die besten Konzepte wenig. Dass 'alltagsintegrierte Sprachförderung' genau das bedeutet - Zeit, reden, zuhören – das wird immer deutlicher. Jetzt verteilt das Ministerium - zugegebenermaßen! - wunderbare Broschüren mit CD's und Textbeispielen an die Kindertagesstätten. Das reicht nicht! Wir als Landtagsabgeordnete können das gut beurteilen: Wenn wir all das Material, das uns von wohlmeinenden Absendern zugeschickt wird, wirklich läsen und verinnerlichten, wären wir unschlagbar. Sind wir aber nicht. Die Tatsache, eine Broschüre in die Hand gedrückt zu bekommen, hat noch nichts damit zu tun, deren Inhalt a) zu begreifen und b) in mein tägliches Tun zu übersetzen.
Die Idee der Beratung der Fachkräfte durch die 28 SprachberaterInnen basiert auf der Grundannahme, dass bei den Beratenen ein Beratungsbedarf besteht. Der Paritätische Landesverband Brandenburg kritisiert diese Annahme: „Die geplante Methode einer externen Beratung scheint sehr dazu geeignet, bei den so 'Beglückten' Widerstände zu erzeugen, da sie weder auf die tägliche Überlastungssituation Rücksicht nimmt bzw. Antworten bietet, noch als Teil der trägerinternen Personalentwicklung angelegt ist"*. Das Ministerium kann diese kritischen Aussagen zu Beratung „fachlich nur schwer nachvollziehen". Da prallen offensichtlich unterschiedliche Perspektiven aufeinander – was aber nicht heißt, dass sie nicht ihre Berechtigung hätten!
Don Quijote gibt sich nach seinen wenig erfolgreichen Abenteuern den Beinamen 'Ritter von der traurigen Gestalt'. So weit wollen wir als Opposition natürlich mit dem Vergleich zu dem spanischen Helden des 17. Jahrhunderts nicht gehen. Aber dass Frau Münch sich jetzt (MOZ) dafür ausspricht, der Personalschlüssel müsse sich bis 2030 verbessern, passt wieder gut in die Groteske des späten Mittelalters. 2030, d.h. bis in 18 Jahren! Vielleicht kann man das auch Science Fiction nennen. Wenn auch mehr Fiction als Science.
* Stellungnahme des Paritätischen Landesverband Brandenburg e.V. zum Konzept Weiterentwicklung Sprachförderung, Unterstützung der Sprachförderung durch SprachberaterInnen. 10.2.2012, S.1