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Marie Luise von Halem spricht zum Fortschrittsbericht über die Zusammenarbeit zwischen Brandenburg und Berlin und über die Zusammenlegung von Behörden

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- Es gilt das gesprochene Wort ! -

Anrede,

Euphemismus ist ein rhetorisches Stilmittel, mit dem Dinge – wörtlich aus dem Griechischen übersetzt – 'gut gesprochen' werden, also beschönigt. Den vorliegenden Bericht über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg einen „Fortschrittsbericht" zu nennen, kann man mit Fug und Recht als Euphemismus bezeichnen. Denn was hier vorliegt, ist in Wirklichkeit ein Rückschrittsbericht, ein Dokument planloser Trippelschritte und kleinmütiger Hasenfüßigkeit.

Hieß es zu Beginn dieser Legislaturperiode noch, mit anhaltend guter Kooperation würde die Fusion eines Tages wie eine reife Frucht vom Baum fallen, scheint sich die Landesregierung jetzt von jeder Fusionsperspektive verabschiedet zu haben. Jetzt heißt es nur noch lapidar: „Eine Zusammenführung beider Länder innerhalb der nächsten Jahre ist nicht zu erwarten." Und das, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, insbesondere der SPD, ist schlichtweg Ergebnis Ihrer Politik. Sie haben das so gewollt. Wer immer nur davon redet, ein Projekt sei schwierig und man müsse die Bedenken der Bevölkerung ernst nehmen, aber nie auch nur eine Silbe über die Vorteile verliert, der braucht sich nicht zu wundern.

Und die Zusammenarbeit läuft mitnichten rund:

Wirtschaft: Seit Juni letzten Jahres, sage und schreibe zwei Jahrzehnte nach der Einheit, errichten, vermarkten und managen Berlin und Brandenburg fünf Cluster zusammen. Ist das der Beginn einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik? - Mitnichten. Die Clusterstrategie steckt noch nicht einmal in den Kinderschuhen. Von einem Cluster Tourismus z.B. fehlt jegliche Spur. Obwohl Tourismus doch das Paradebeispiel eines gelungenen Gebens und Nehmens ist.

Wenn noch nicht einmal in diesem Themenfeld ein gemeinsamer Auftritt gelingt, wie sollen dann Standort- oder Förderpolitik zusammen vorangetrieben werden? Hier ist jeder sich selbst der nächste, was sich u.a. in der regelmäßigen und ungenierten Förderung von Unternehmensumzügen von Berlin nach Brandenburg zeigt. - Kein Wunder, dass die Industrie- und Handelskammern weiter sind.

Energiepolitik: Auch hier fährt jedes Bundesland eine eigene Strategie. Wir haben ein Angebot gemacht. Auf Grundlage unserer Studie könnten die beiden Bundesländer mit der Energiewende Ernst machen.

Bildung: Selbst bei so grundlegenden Dingen wie einer gemeinsamen Lehrerbedarfsplanung oder Kooperation bei der Lehrerausbildung (Stichwort: KunstlehrerInnen, SonderpädagogInnen) kocht jeder sein eigenes Süppchen und wirbt sich gegenseitig die Leute ab. Eine abgestimmte Planung des Angebotes von Hochschulen, die teilweise nicht weiter voneinander entfernt sind als die einzelnen Gebäude anderer Hochschulen in großen Städten: gibt es nur in Ausnahmefällen.

Infrastruktur und Verkehr: Straßen enden im Nirgendwo und ein Flughafen wird innerhalb dichter Siedlungsgebiete errichtet. Doch der Archetyp widerstreitender Interessen Berlins und Brandenburgs ist und bleibt der ÖPNV. Berlin will städtische Lösungen und Brandenburg schnelle Verbindungen zwischen Land und Stadt. Das Ergebnis: Regionalbahnen enden in Lichtenberg oder Spandau, S-Bahnen werden bis nach Falkensee geplant. Eine gemeinsame Landesnahverkehrsplanung ist so fern wie die nächste Reise zum Mond.

Auch bei den Verhandlungen über die Regionalisierungsmittel werden Berlin und Brandenburg voraussichtlich nicht an einem Strang ziehen.

Gesundheitswirtschaft: In Brandenburg fehlen Ärztinnen und Ärzte. Die Praxisanteile der Ausbildung in Brandenburg machen zu können, war ein Mittel, junge MedizinerInnen an das Land zu binden. Leider gescheitert.

Justiz: Gemeinsame Gerichte gibt es zwar, aber die gemeinsame Sicherungsverwahrung funktioniert schon nicht und das Thema Neubau JVA Heidering versus freie Brandenburger Haftplätze lässt mich weiterhin am gesunden Menschenverstand zweifeln. Aber egal, es gibt ja auch keinen gemeinsamen Landesrechnungshof.

Fazit: Wer bei der Zusammenarbeit Transparenz & demokratische Kontrolle will, muss sich für ein gemeinsames Bundesland einsetzen. Fortschritt, der im internationalen Kontext auch wahrnehmbar ist (also nicht nur aus dem Binnenblick heraus definiert wird), den wird es nur gemeinsam geben in den nächsten Jahrzehnten. Nur gemeinsam setzen wir ein Zeichen gegen rückwärtsgewandte Kleinstaaterei und Regionalegoismen. Und gegen Hasenfüßigkeit und allzu durchsichtigen Euphemismus.