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Marie Luise von Halem spricht zum Haushaltseinzelplan 5 - Bildung Jugend und Sport

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- Es gilt das gesprochene Wort ! -

Anrede

die OECD bemängelt seit Jahren, die Bildungsausgaben in Deutschland seien rückläufig. Im letzten Berichtszeitraum 2007 lagen die Ausgaben bei 4,7 % des Bruttoinlandsproduktes, der OECD-Schnitt hingegen bei 5,7 %. Island investiert 7,8 % des BIP in Bildung, die USA 7,6 und Dänemark 7,1. Nur die Slowakei, Tschechien und Italien stehen noch schlechter da als wir. Kein Ruhmesblatt für die Industrienation, die große Nation der Dichter und Denker, denn was wir heute säen, werden wir morgen ernten.

Dass Bildungsausgaben für die Volkswirtschaften echte Renditeprojekte sind, ist eine Binsenweisheit. Nachzulesen nicht nur bei einer Vielzahl wissenschaftlicher Untersuchungen, sondern auch bei Matthias Platzecks 'Zukunft braucht Herkunft'. Neben dem volkswirtschaftlichen Anspruch gibt es auch den individuellen, den ethisch-sozialen: Wer besser ausgebildet ist, lebt zufriedener, gesünder und länger. Natürlich muss es unser politisches Ziel sein, diese Chancen gerechter zu verteilen. Es mag sein, dass wir auch in Brandenburg im Hinblick auf soziale Gerechtigkeit im Bildungswesen ein kleines bisschen besser geworden sind, aber nur marginal. Gut sind wir noch lange nicht, weder im nationalen noch im internationalen Vergleich.

Und wie steht Brandenburg da, was säen wir heute?

Bei uns verlässt von zehn Jugendlichen einer die Schule ohne Abschluss. In Ländervergleichen steht Brandenburg kontinuierlich auf den letzten Plätzen. Man könnte meinen, die berühmte rote Laterne habe eine Sinnverwandtschaft mit Rot-Rot.

Exemplarisch für den Umgang mit den Defiziten im Bildungssystem sei hier nochmal der Englisch-Unterricht angeführt. Ich erinnere: Ländervergleich Juni 2010, Leseverständnis Platz 15, Hörverständnis Platz 16. Das Ministerium kündigt zunächst mehr Tests an, obwohl wir alle wissen, dass kein Schwein durch's Wiegen fetter wird. Dann gibt es Planungen, die Lehrerinnen und Lehrer fortzubilden, für ca. 1.000 Personen wird dringender Bedarf attestiert. Nach einjähriger Planungsphase absolvieren im Sommer 2011 121 Lehrkräfte einen zweiwöchigen Kurs. Der für die letzten Herbstferien vorgesehene nächste Kurs entfiel dann mangels Anmeldungen. Da braucht man doch weder Prophet noch Mathegenie zu sein, um zu sehen: So wird das nie was. Wenn ich dann im Ausschuss von Seiten des Ministerium höre, Fortbildungsetats würden wegen mangelnder Nachfrage gesenkt, dann kann das Versagen doch kaum offensichtlicher sein. Vielleicht sollte man mal über Anreize nachdenken? Über Weiterbildungsverpflichtungen, die auch eingefordert werden, in Kombination mit besseren Freistellungen für Lehrkräfte?

Wer guten Unterricht anbieten will, jungen Menschen Lust auf die Themen dieser Welt machen will, die oder der darf selbst den Anschluss nicht verpassen. Dazu gehört die fachliche Fortbildung genauso wie die fachdidaktische. Dazu gehört es, den einzelnen Personen Anreiz und Selbstverständnis zu schaffen, Neuerungen nicht als Bedrohung, sondern als Chance zu begreifen. Und genauso gehört es dazu, sich im Team unterschiedlicher Professionen auseinander zu setzen, welche Weiterentwicklung für die eigene Schule oder die eigene Klasse hilfreich ist und wie diese Entwicklung gefördert und begleitet wird. Nur so geht die Saat auch auf. Dafür die nötigen Ressourcen, Raum und Zeit, bereit zu stellen, ist auch dieses Jahr das Kernanliegen unserer bündnisgrünen Änderungsanträge.

Im Ausschuss ....

haben wir auch dieses Jahr beantragt, ca 12 Mio aus den Personalverstärkungsmitteln tatsächlich dafür einzusetzen, das Personal zu verstärken. Jeweils ca 5 Mio würden wir investieren wollen, um die Vertretungsreserve zu erhöhen und die Schulpools etwas großzügiger auszustatten. Krankenstände würden abgefedert, es müsste nicht gleich der Teilungs- und Förderunterricht daran glauben. Für die Umsetzung schulinterner pädagogischer Konzepte gäbe es mehr Freiräume. Zudem wollten wir jeweils ca eine Mio mehr in Schulpsychologen investieren sowie in Schul- und Modellversuche. Alles Anliegen, die die rot-rote Koalition schon mehrfach abgelehnt hat (wenn sie auch teilweise identisch im oppositionszeitlichen Antragstableau der Linken enthalten gewesen waren!). In diesem Zusammenhang ist mir wichtig zu betonen, dass der Schwerpunkt unserer Änderungsanträge bei einer besseren Ausstattung der staatlichen Schulen lag. Dort sind die größten Baustellen.

Was wir weiter tragen in diese Plenardebatte ....

ist der Antrag auf Einrichtung eines schulinternen Fortbildungsetats, 500.000 E, weil wir es für sinnvoll halten, dass einzelne Schulen in einen eigenen Fortbildungsprozess einsteigen, sich selbst überlegen, wie Defizite überwunden werden können und im Kollegium gemeinsame Schritte gehen. Dafür gibt der von der Landesregierung vorgelegte Haushaltsplan keinen ausreichenden Bewegungsspielraum.

An dieser Stelle sei erwähnt, dass der durch die Änderungsanträge der Koalition um 1 Mio aufgestockte allgemeine Fortbildungsetat ein großer Gewinn ist. Gedacht ist er in erster Linie zur Umsetzung von Inklusion, d.h. es geht um kompetenzorientierten, binnendifferenzierten Unterricht und den Umgang mit Unterschiedlichkeit. Englischkurse sind da wohl nicht implizit. Trotzdem darf davon ausgegangen werden, dass eine solche Ausweitung von Fortbildung Früchte trägt. Dennoch bleibt die Frage, wann die vielen PädagogInnen diese Fortbildung absolvieren sollen? Werden sie frei gestellt oder müssen sie ihre Freizeit dafür opfern? Hier muss dringend eine befriedigende Lösung für beide Seiten gefunden werden.

Außerdem beantragen wir weiterhin die Aufstockung des Landesjugendplanes um 1 Mio Euro. Wir wollen nicht, dass 'abgehängt' das Motto für die Jugend in Brandenburg wird. Die Fördersätze für Jugendbildungsmaßnahmen haben sich seit 2002 nicht geändert. In der außerschulischen Jugendarbeit, bei Stadt- und Kreisjugendringen werden hervorragende Angebote gemacht, die für viele Jugendliche die einzige Möglichkeit sind, sich jenseits der schulischen Strukturen und ohne Leistungsdruck auszuprobieren. Hier können Jugendliche Verantwortung übernehmen und praktisch erfahren, was ihr Engagement bewirken kann. Gerade durch diese Arbeit wird vermittelt, dass Engagement für die Gesellschaft, demokratische Strukturen und der Einsatz für eine Sache wertvoll und erfüllend sein kann. So stärken wir Demokratie und ermuntern Jugendliche, selbstbewusste und kritische BürgerInnen zu werden. Für eine Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre sind diese Strukturen gleichzeitig eine gute Grundlage.

Wir beantragen zudem, den Schulsozialfonds um 1 Mio aufzustocken. Es ist zwar richtig, dass durch das Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung weniger Mittel benötigt werden, dennoch sehen wir in diesem Instrument sinnvollere Hilfsmöglichkeiten für sozial schwächere Familien als durch das Schüler-BaföG. Wir lehnen das Schüler-BaföG ab und wollen lieber den Schulsozialfonds für alle Klassenstufen.

Der heftigste Diskussionspunkt der letzten Monate ist die Kürzung bei den Schulen in freier Trägerschaft. Es gibt viel zu kritisieren am Brandenburger Bildungssystem, die schlechte Ausfinanzierung, die Strategie- und Konzeptlosigkeit, die mangelnde Kommunikation mit den Akteuren. Man wundert sich, dass z.B. die GEW und auch der Landeselternrat so lange zahm die mageren Häppchen aus der Hand der SPD (und die hat ja die Hosen an in der Bildungspolitik) gefuttert haben. Ohne groß aufzumucken, offensichtlich leicht verdaulich. Was dagegen die Vertreterinnen und Vertreter der Schulen in freier Trägerschaft auf die Beine gestellt haben, ist großartig! Mit der Demonstration Ende September haben sie die anderen mitgerissen und langsam wird deutlich, dass es nicht nur um die Schulen in freier Trägerschaft geht. Aber es geht auch um sie. Manchmal hat man sogar den Eindruck, die Landesregierung könne die Kürzungen bei den Schulen in freier Trägerschaft vielleicht sogar deshalb eingefädelt haben, damit die Diskussion von der allgemeinen Bildungsmisere abgelenkt wird.

Warum jedenfalls diese Landesregierung zu einem solchen Schlag gegen die Schulen in freier Trägerschaft ausholt, habe ich nie verstanden. Aus Sicht von uns Bündnisgrünen sprechen mehrere Gründe dagegen, die wichtigsten will ich hier nennen:

1. Freie Schulen tragen zur Vielfalt pädagogischer Konzepte bei und bereichern die Schullandschaft.

2. Die Einsparargumente sind billigste Attrappe. A) kostet es die öffentliche Hand mehr Geld, wenn Kinder im staatlichen Schulsystem sind – wenn diese Mehrkosten auch nicht auf das Land entfielen, sondern auf die Kommunen. Alle gegenteiligen Behauptungen sind undurchsichtig, wobei die beharrliche Weigerung des Landes, die Vollkosten berechnen zu lassen, wie eine zusätzliche Bestätigung der Absurdität des Sparargumentes wirkt. Und B) hieß es ja anfangs, alle müssten sparen, so auch die freien Schulen. De facto wird jetzt die Personalreserve geschröpft und die freien Schulen. Das ist schlichtweg ungerecht.

3. Das Engagement, das von Eltern, Lehrkräften und OrganisatorInnen der freien Schulen an den Tag gelegt wird, inklusive der damit oft verbundenen finanziellen Verpflichtungen beim Aufbau der Schulen, sucht seinesgleichen. Eine solche Beteiligung am Gemeinwesen gehört aus unserer Sicht mit zu dem Wertvollsten, was ein Land haben kann. Wir sollten es hegen und pflegen, anstatt es mit den Füßen zu treten!

Das größte Defizit im Bildungswesen finden wir wohl weniger in den freien Schulen. Auch ich bin der Meinung, dass die wichtigste Herausforderung die Kinder sind, deren Eltern nicht für die Schulsituation ihrer Kinder auf die Straße gehen. Das sind die Bildungsverlierer, denen unsere größte Sorge gelten muss. Hier werden Kinder ihrer Zukunftschancen beraubt und volkswirtschaftliches Potential verschleudert. Und wer in den letzten Monaten hat hinhören wollen, dem müsste klar sein, dass entgegen der landläufigen Meinung, Schulen in freier Trägerschaft seien etwas für Besserverdienende, diese Schulen – insbesondere die konfessionell gebundenen – oft einen ausgesprochen sozialen Anspruch haben und umsetzen. Auch damit dieser noch mehr Wirksamkeit entfalten kann, sollten die Schulen nicht stranguliert, sondern unterstützt und gefördert werden.

Das von Finanzminister Markov geäußerte Argument, das größte Augenmerk müsse den staatlichen Schulen gelten, ist ja nicht völlig falsch. Bloß dadurch, dass wir den Schulen in freier Trägerschaft etwas wegnehmen, machen wir die Schulen in staatlicher Trägerschaft ja noch keinen Deut besser.

Nach diesen Monaten der Debatte um die freien Schulen bleibt für mich ein großes Fragezeichen. Das Einsparargument ist in meinen Augen verpufft, oder zumindest in der Größenordnung irrelevant. Was bleibt, ist eine kaum wieder gutzumachender Affront gegenüber Zigtausenden engagierten Bürgern, Ärger bei den großen Kirchen, Verunsicherung bei den Kommunen. Warum, meine Damen und Herren aus den Koalitionsfraktionen, warum tun Sie sich das eigentlich an? Und nicht nur sich, sondern auch diesem Land. Die paar Millionen, die sie sparen wollen und die die Kritiker für Fehlkalkulation halten, können doch nicht der Grund dafür sein, sich diesen Unmut ins bzw. vor das Haus zu holen? Worum geht es eigentlich? Natürlich sehe ich das hässliche, dumme Argument wieder vor mir: Die Quote sei erfüllt, jetzt dürfe Schluss sein mit den freien Schulen. Geht es am Ende doch nur um einfältigen schnöden Etatismus?

Ich habe jedenfalls bis heute nicht verstanden, warum das sein musste. Und warum all die anderen Punkte deshalb von der Tagesordnung kippen mussten.

Zum Schluss noch das Lieblingsthema Inklusion. Ich freue mich über die Schritte, die Frau Ministerin Münch jetzt geht. Die zusätzlichen Mittel für Fortbildungen sowie die Ressourcen, die in die Errichtung der Pilotschulen investiert werden, sind ausgesprochen begrüßenswert. Die Haushaltsmittel für die maximal 90 Pilotschulen werden in den nächsten Jahren anwachsen. Das Vorhaben bietet die große Chance, exemplarisch den Umbau des Schulsystems anzugehen und damit Vorzeigeprojekte zu schaffen, deren Ausstrahlung andere mitzieht. Diese Saat zu päppeln, die Vorbehalte und Unwägbarkeiten mit aus dem Weg zu räumen, dafür wollen wir Bündnisgrüne gerne in den nächsten Jahren unseren Beitrag leisten. Inklusion, der Weg zu einem Schulsystem, das alle angemessen fördert, in dem nicht die Kinder zur Schule passen müssen, sondern die Schule zu den Kindern, wird wahrscheinlich über viele Jahre die größte Herausforderung für unser Bildungssystem sein – und gleichzeitig die beste Antwort darauf, wie es gelingen kann, die Bildungsschancen gerechter zu verteilen.

Natürlich hätten wir uns mit unseren Anträgen zu Fortbildung und Modellprojekten eine noch bessere Ausstattung gewünscht. Und wir haben ja auch vorgerechnet, wie das umsetzbar ist, ohne neue Schulden aufzunehmen. Aber an der Zusage, kritisch, treibend und konstruktiv dieses Projekt zu begleiten, halten wir fest.

Mal gleich ein bisschen konstruktive Kritik: 1. Wir müssen auch bei den Haushaltsplanungen dafür Sorge tragen, dass das Modell der Pilotschulen kein Exotenprogramm bleibt, sondern auf Ausbreitung auf alle Schulen angelegt ist. 2. halte ich es für einen Fehler, erstmal nur an die Förderschwerpunkte LES zu denken. Das sind immerhin die Förderarten, die es international gar nicht gibt. Und 3. müssen wir frühzeitig kalkulieren, dass konsequente Inklusion bedeutet, dass die Zielmarke kein mehrgliedriges Schulsystem mehr sein kann.

Was bleibt als Fazit?

Bildung soll Priorität haben. Das haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, nicht umgesetzt. Wer Priorität ehrlich meint, muss auch über Posteriorität entscheiden. Davor haben Sie sich gedrückt. Egal, ob Tierkörperbeseitigungsgesetz oder bessere Kooperation mit Berlin zur Vermeidung unsinniger Kosten bei Justizvollzugsanstalten.

Minister Rupprecht wollte noch die Zahl derer halbieren, die die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Jetzt ist bald Halbzeit und nichts gewonnen.

Die Verbesserung des Kita-Betreuungsschlüssels hat uns im Ländervergleich von Platz 16 auf Platz 16 katapultiert. Geht man in die Kitas, sagen die LeiterInnen, so richtig merken würden sie das nicht. Sicher ein Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit, wenn auch unter der Wahrnehmbarkeitsgrenze. Gleiches gilt für das so gelobte Schülerbafög. Es ist zwar noch ein bisschen Zeit bis zur Halbzeitbilanz, aber die Sache mit dem 'Schwerpunkt Bildung' können wir mal getrost vergessen. Und die Zukunftsvisionen? - Mager.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von rot-rot, damit komme ich zuletzt noch zu einem Punkt, der mich besonders ärgert: Auf kommunaler Ebene werden allerorten Resolutionen beschlossen, meistens mit den Stimmen von SPD und Linker, die vom Landtag eine bessere Ausstattung des Bildungswesens fordern. Die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung hat unlängst – auch mit rot-roten Stimmen – ihren Oberbürgermeister aufgefordert, einen Brief an die Landtagsabgeordneten zu schreiben. Das ist doch der Gipfel der Absurdität: Da werde ich vom – NB: SPD! - Oberbürgermeister aufgefordert, mich für bessere Bildungspolitik im Landtag einzusetzen und gefragt, mit welchen Maßnahmen ich das zu tun gedenke! - Meine Damen und Herren von der Landesregierung, wenn sie es schon nicht schaffen, den Ansprüchen Ihrer eigenen Parteien genüge zu tun, dann bitte erklären sie es denen wenigstens, warum das so ist!