- Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete,
der jetzige Behindertenbeauftragte des Bundes, Jürgen Dusel, berichtete vor einem knappen Jahr (damals noch als Landesbehindertenbeauftragter) im Verkehrsausschuss über das Staatenprüfungsverfahren zur Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen.
In Deutschland wurden Herrn Dusel zufolge 64 Punkte kritisiert, nur drei Punkte wurden positiv bewertet. Das unterstreicht: Was die Rechte Behinderter angeht, hat Deutschland nicht gerade in vielen Bereichen eine internationale Vorbildfunktion.
Die Debatte heute zeigt, dass wir uns eigentlich einig sind. Alle wollen, dass der ÖPNV bis 2022 barrierefrei ist. Und auch wir teilen dieses Anliegen, würden aber gerne, ob dessen Bedeutung, über die Inhalte des Antrags noch einmal mit intensiver Fachleuten beraten. Wir haben deshalb beantragt, den Antrag zu überweisen, um im Verkehrsausschuss eine Anhörung durchführen zu können.
In den letzten Jahren haben wir uns fast ausschließlich mit barrierefreien Fahrzeugen, insbesondere Straßenbahnen, und weniger etwa mit Haltestellen befasst. Gleichwohl besteht dort nicht weniger Handlungsbedarf.
Auch die Brandenburger Mobilitätsstrategie bezieht sich auf, ich zitiere: „Barrierefreie Mobilitätsangebote bei Bussen und Bahnen, bei den Zugängen zu Haltestellen und den Fahrgastinformationen (…)“.
Die Anhörung sollte sich zudem der Definition von Standards widmen, denn diese Frage haben wir bei der Anhörung zur Änderung des ÖPNV-Gesetzes ebenfalls nicht ausführlich genug besprochen. Hier sagen die einen, es ist nicht sinnvoll, auf Länderebene Standards zu definieren, die dann evtl. im Nachbarbundesland schon nicht mehr gelten. Die anderen sagen: irgendjemand muss vorangehen, 2022 ist praktisch schon in Sichtweite.
Keiner kann wollen, dass jeder Aufgabenträger den Begriff der „vollständigen Barrierefreiheit“ mangels Vorgaben jeweils eigenständig auslegt.
Denn das würde dazu führen, dass die Herstellung des gesetzlichen Anspruchs eines mobilitätseingeschränkten Menschen davon abhinge, wie finanzstark z.B. die jeweilige Kommune ist, in der sie oder er lebt.
Ferner sollte das Ziel sein, eine barrierefreie Verknüpfung aller ÖPNV-Leistungen also Mobilitätsketten - auf Landesebene herzustellen und nicht – wie es damals einer der Anzuhörenden beschrieb – „lokale barrierefreie Mobilitätsinseln“ zu schaffen.
Die Erwartungshaltung gegenüber der Landesregierung vonseiten der kommunalen Träger, die „vollständige Barrierefreiheit“ zu definieren, begründet sich im Wesentlichen mit der Verabschiedung des Personenbeförderungsgesetzes im Bundesrat. Diese erfolgte mit den Stimmen der Länder.
Nur geht das Problem ja mit der Definition des Begriffes „vollständige Barrierefreiheit“ schon los. Die von der Landesregierung im neuen ÖPNV-Gesetz gewählte Lösung, die Mittel seien „für Investitionen zur Herstellung der Barrierefreiheit nach § 3 Absatz 3 des Brandenburgischen Behindertengleichstellungsgesetzes zu verwenden“, wurde in der damaligen Anhörung kritisiert. Damit würde, so ein Anzuhörender, nur eine unabgestimmte Vielfalt der Maßnahmen befördert. Diese Lösung sei also eben nicht geeignet, zur Umsetzung einer „vollständigen Barrierefreiheit“ zu führen.
Und beim SPNV? Hier fordert § 2 Absatz 3 der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung die Erreichung einer möglichst weitreichenden Barrierefreiheit bei der Benutzung der Bahnanlagen und Fahrzeuge. Das Land Brandenburg ist hier über eigene Investitionsprogramme – z.B. ÖPNV-Invest – schon recht aktiv. Und wirkt laut Entwurf des Landesnahverkehrsplans bei Ausschreibungen von Verkehrsleistungen darauf hin, dass „die Anforderungen einer barrierefreien Nutzung der Züge für die Kunden berücksichtigt werden“. Dabei geht es unter anderem um Bahnsteighöhen, „Einstiegshilfen“ in den Fahrzeugen werden genannt und VBB Zugbegleiter, die mobilitätseingeschränkten Personen entsprechende „Hilfestellungen“ geben können.
Nach meinem Geschmack kommt das Wort „Hilfe“ etwas zu oft vor, geht man von einer selbstbestimmten Mobilität als Ideal aus.
Behindertenverbände kritisieren im Übrigen seit langem, dass die Bundesländer bislang für jede einzelne Linie festlegen, welchen Anforderungen die Eisenbahnunternehmen genügen müssen. Bei der Ausstattung der Fahrzeuge orientieren sie sich, ebenso wie die Betreiber und Fahrzeughersteller, an unzureichenden europäischen Vorgaben.
Das Thema ist zu komplex für eine 35 Minuten-Diskussion im Plenum. Ich werbe deshalb dafür, dies in einer Anhörung gemeinsam mit den Aufgabenträgern, Verkehrsunternehmen, Verbänden, Beiräten usw. zu vertiefen.
Ansonsten würden wir uns bei dem Antrag enthalten.
Den Antrag von SPD und LINKE lehnen wir ab.
Wenn alles was Ihnen zu diesem Thema einfällt ist:
1. Die Kommunen darin zu unterstützen, dass Barrierefreiheit als Aufgabe als Querschnittsaufgabe verstanden wird,
2. bei Bahnsteighöhen den Status quo zu sichern und
3. Maßnahmen zur Herstellung der Barrierefreiheit als dynamischen Prozess auszugestalten,
ist das keine Lösung des Problems sondern Ausdruck der Hilf- und Planlosigkeit der Koalition bei diesem Thema.
Vielen Dank!