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Marie Luise von Halem spricht zur Großen Anfrage der CDU-Fraktion „Zum gesellschaftlichen Beitrag von Kirchen und Religionsgemeinschaften“

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- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Nach Kant 1784 ist die Aufklärung „... der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude [wage es verständig zu sein]! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“

Damit erhob der Mensch den Anspruch, seine Lebensbedingungen selbst zu gestalten. Auch der Staat gründet dann nicht mehr in der göttlichen Anordnung. Folglich fällt der Kirche als Verkünderin des Willens Gottes auch nicht mehr die Rolle zu, dem Staat Zwecke und Ziele zu verordnen. In der Aufklärung konnte der Laizismus entstehen, die Forderung nach der Trennung von Staat und Kirche. Diese Trennung schützt den Staat vor dem Zugriff der Kirchen, sie schützt aber auch die Kirchen vor staatlicher Beeinflussung. Sie kann – wie das im laizistischen Vorzeigeland Frankreich zu sehen ist – durchaus einen Rahmen schaffen, innerhalb dessen die Kirchen große gesellschaftliche Wirkung entfalten können. Das wichtigste an der Trennung von Kirche und Staat ist aber, dass es von ihrem Ausmaß abhängt, inwieweit es möglich ist, in einem Staat mit vielen und vielleicht streitigen Religionen ein Klima gegenseitiger Toleranz und Achtung zu schaffen. Das ist eine der größten zivilisatorischen Errungenschaften in Europa – wenn auch die laizistischen Staaten sich heute mitnichten in Europa bündeln. Deutschland gehört nicht dazu.

Nicht zuletzt wegen des aufgrund von Zuwanderung und Kirchenaustritten ständig größer werdenden Einflusses anderer Kirchen als der christlichen führen wir hier immer öfter wichtige Diskussionen über das Verhältnis von Staat und Kirche. Zugespitzt nenne ich die Kopftuchdebatte (wenn auch für Brandenburg eher theoretisch als praktisch relevant) oder auch die Frage, ob theologische Ausbildungen welcher Glaubensrichtung auch immer überhaupt einen Platz an deutschen Universitäten haben sollten.

Diese Grundsatzdebatten sind der Nährboden für die Inhalte der vorliegenden großen Anfrage. Ob Bildungsfragen, Schule und Kita, kulturelle Angebote, denkmalgeschützte Gebäude, soziale und wohlfahrtstätige Leistungen: Immer berühren wir hier Bereiche, bei denen wir uns fragen müssen, inwieweit hier die Kirche Aufgaben übernimmt, die man auch als staatliche ansehen mag, welche Vor- und welche Nachteile die von uns gewählte Verteilung hat. Oft kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, sie finde zufällig statt, aufgrund kleinteiliger und manchmal kurzsichtiger Haushaltsdebatten, ohne Struktur und ohne Strategie.

Nehmen wir Kita und Schule: Die Zahl der Kinder in kirchlichen Kitas ist von 2006 bis 2013 um gut 60 % gestiegen. Die Zahl der Schülerinnen und Schüler an Schulen in kirchlicher Trägerschaft in etwas kürzerem Zeitraum (2007-2012) um über 40 % (GA S. 9 und 14). Wir können uns glücklich schätzen, dass die Kirchen dieses Engagement einbringen. Und – das möchte ich als Bildungspolitikerin an dieser Stelle auch sagen: Das soziale Engagement der Kirchen hierbei kann gar nicht überbewertet werden. Es kann gar nicht oft genug gesagt werden, dass der soziale Anspruch der kirchlichen Bildungsträger diametral das oft zu hörende Vorurteil widerlegt, Schulen in nicht-staatlicher Trägerschaft seien nur etwas für Besserverdienende. Wir kritisieren unvermindert wie am ersten Tag die Kürzungen bei den freien Schulen, die das Land ja vorgenommen hat, um die politische Botschaft der Knebelung auszusenden und die staatlichen Schulen aufzuwerten. Das war falsch, kurzsichtig und unsozial. Zur Aufwertung hätte das Land mal lieber die eigenen Schulen besser ausstatten sollen!

Was passiert im kulturellen Bereich? Wenn ich lese: „In vielen Orten ist die Kirche der einzig verbliebene kulturelle Träger. In Gegenden mit dramatischen demografischen Entwicklungen ist es manchmal nur noch die Kirche, der sich Anwohner im Sinne einer kulturellen Heimat verbunden fühlen. Hier ist der Kirchraum der letzte öffentliche Raum.“ (S. 19) – dann läuft mir ein Schauer über den Rücken – einerseits der Ehrfurcht vor den Verbleibseln der tausendjährigen Geschichte des Christentums und andererseits des Ärgers über das Unvermögen auch dieses Landes, Verbundenheit im Sinne kultureller Heimat zu ermöglichen.

Auch bei den sozialen und wohlfahrtstätigen Leistungen, bei Seelsorge, Integration und Einsatz gegen Rechtsextremismus wollen wir uns gar nicht ausmalen, wie unser Land aussähe, gäbe es das kirchliche Engagement nicht. Wenn ich aber andererseits höre, dass muslimische MigrantInnen sich mancherorts darüber ereifern, dass dieses vermeintlich so aufgeklärte Land Flüchtlingsberatung nur von kirchlichen Trägern anbietet und das als Akt aktiver Missionierung empfinden, dann sollten wir darüber nicht lächeln. Das ist kein gutes Einstiegssignal in unser Land. Wären wir Flüchtlinge in einem muslimischen Land, würden wir genauso empfinden. Flüchtlingsberatung muss immer auch von staatlicher Seite angeboten werden. Alles andere halte ich für falsch.

So wichtig das Engagement der Kirchen in unserem Land ist und so es grundsätzlich zu begrüßen ist, als integraler Bestandteil unseres Landes und auch unserer Kultur, so gibt es doch Bereiche, aus denen der Staat sich nicht so stark zurück ziehen sollte, wie er das heute tut. Der aufklärerische Gedanke, Staat und Kirche zu trennen, um das gegenseitige Beziehungsgeflecht aufzulösen und Voraussetzung für die friedliche Koexistenz verschiedener Religionen in einem Staat zu schaffen, ist – ähnlich wie die Demokratie selbst – keine unverrückbare Norm. Beides müssen wir immer wieder neu diskutieren und neu definieren.