Zum Inhalt springen

Hinweis: Diese Website wird nicht mehr aktualisiert und dient als Archiv. Weitere Informationen →

Marie Luise von Halem spricht zur Aktuellen Stunde auf Antrag auf AfD-Fraktion „Kulturelle Identität im Land Brandenburg stärken“

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Natürlich rede auch ich gern über Kultur, aber dieser Antrag ist doch verwunderlich. Nicht nur, dass er jeden Bezug auf eine mögliche Aktualität vermissen lässt - man fragt sich schon, welcher Welpenbonus eigentlich dazu geführt hat, dass der überhaupt zugelassen wurde -,

(Heiterkeit bei B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

sondern dieser Antrag macht auch deutlich, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der AfD, dass Sie auch nicht so genau wissen, wovon Sie eigentlich reden: Weiß nicht woher, weiß nicht wohin, mich wundert, dass ich trotzdem bin.

(Beifall sowie Heiterkeit B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)

In Ihrem Antrag reden Sie in einem Atemzug von nationaler Identität und Ihrem Wunsch nach Stärkung kultureller Identität in Brandenburg. Sind denn nationale Identität und kulturelle Identität in Brandenburg ein und dasselbe? Was verstehen Sie worunter? Wenn Sie sie stärken wollen, welcher Instrumente wollen Sie sich dabei bedienen? Da zaubern Sie heute, fünf Minuten vor Beginn der Tagesordnung, einen Entschließungsantrag hervor, der geklaut ist. Das ist der Antrag von der CDU-Fraktion und uns aus dem letzten Sommer.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD, DIE LINKE und CDU)

Das ist Ihre kulturelle und damit auch politische Identität, Ihre Kultur, dass Sie das einfach abkupfern? Was ist denn das eigentlich für einen Alternative? Diese Alternative brauchen wir nicht!

(Beifall DIE LINKE und CDU)

Aber gut, diese Nebelstocherei mit geklautem Ziel und diffusem Ausgangspunkt gibt die Freiheit, dieses Vakuum mit eigenen Gedanken zu füllen. Schon der Begriff der Identität macht deutlich, dass er für sich genommen eine leere Worthülse ist und nur durch Abgrenzung mit anderen Identitäten überhaupt greifbar gemacht werden kann. Je nachdem, wer neben mir steht, bin ich Mensch, Weiße, Frau, Erdenbewohnerin, Europäerin, Brandenburgerin, Fahrradfahrerin, Linkshänderin, Christin, Geisteswissenschaftlerin usw. Das sind alles Bestandteile meiner Identität. Wir sind eben alle auf unterschiedliche Weise verschieden.

Was könnte denn die kulturelle Identität der Nation in Brandenburg sein? Dazu vier Blitzlichter. Erstens: Als Julius Ceasar vor 2 000 Jahren in seinem berühmten Germanen-Exkurs schreibt, Jagd und Krieg seien die wichtigsten Tätigkeiten der Germanen, hat Griechenland schon mehrere Jahrhunderte elaborierter Demokratie-Theorien hinter sich. Was davon prägt unsere Kultur heute? Zweitens: Das Themenjahr von Kulturland Brandenburg im Jahr 2005 war 1 000 Jahre Christentum in Brandenburg. Albrecht der Bär, der spätere Markgraf von Brandenburg, war einer der wichtigsten Protagonisten der Christianisierung der Elbslaven im 12. Jahrhundert - friedlich war das nicht. Infolge dessen kam es geradezu zu einer Kolonialisierung des Slavenlandes durch deutsche Siedler. Identitäten verändern sich. Drittens: Sorben und Wenden, die ab dem 6. Jahrhundert nach Brandenburg eingewandert sind, erwarten heute Unterstützung bei dem Erhalt ihrer kulturellen Identität. Die gehört ohne Frage zur kollektiven Identität Brandenburgs,

(Beifall B90/GRÜNE und DIE LINKE)

aber sie definiert sich durch die Abgrenzung von der Mehrheit. Viertens: Die schönsten Gebäude Potsdams sind in Anlehnung an Vorbilder aus Italien, Holland, Frankreich, Ägypten, Russland und China entstanden. Wessen kulturelle Identität kommt da eigentlich zum Ausdruck? Zumindest wird deutlich, dass Brandenburgs kulturelle Identität viel zu umfangreich für fünf Minuten ist.

Kulturelle Identität schöpft immer aus der Vergangenheit. Gesellschaften bedienen sich bestimmter Ursprungsmythen zur Schaffung von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit. Religionen tun das übrigens genauso, und schon dieses Beispiel zeigt, dass verschiedene kulturelle Identitäten sich nicht nur immer überlappen, sondern dass sie – übrigens genau wie das ökologische Gleichgewicht – nichts Statisches sind. Sie unterlagen und unterliegen ständigen Neudefinierungen, individuell und kollektiv. Neue und heterogene Wanderungsbewegungen, genauso wie globale wirtschaftliche Entwicklungen, bringen uns Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt, und unsere kulturelle Identität wird sich weiterentwickeln.

Kulturelle Identität einer Gruppe ist immer nur in Kontrastierung zu anderen Gruppen wahrnehmbar. Ich kann die eigene kulturelle Identität bzw. bestimmte Aspekte derselben nutzen, um mich gegenüber anderen abzugrenzen und Machtansprüche daraus abzuleiten. Oder ich kann sensibel damit umgehen und mir dessen bewusst sein, dass die Vielzahl der kollektiven Identitäten eine kulturelle Weiterentwicklung bedeutet und immer bedeutet hat.

Vizepräsident Dombrowski: Frau Kollegin, Sie haben tatsächlich nur fünf Minuten.

Frau von Halem (B90/GRÜNE)

Ich will nur noch diesen Satz beenden.

Ich kann mir dessen bewusst sein, dass der Begriff der kulturellen Identität nicht dazu taugt, Prognosen über das Verhalten kulturell definierter Kollektive zu machen, und dass - drittens und schließlich – das Maß der Identitäten und der Umgang derselben miteinander selbst ein Beleg für Zivilität und Kultur sind.

(Beifall B90/GRÜNE, SPD, DIE LINKE sowie CDU)

[Auszug aus dem Protokoll der 10. Sitzung des Brandenburger Landtags]

>> Zu unserem Antrag Kulturelles Erbe „Brandenburgs schützen“ aus der 5. Wahlperiode als pdf-Datei