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Marie Luise von Halem spricht zum Antrag der CDU-Fraktion „Lehrstuhl für brandenburgisch-preußische Landesgeschichte erhalten“

- Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft" - Das hat Humboldt gesagt. Ja! Aber der Blick in die Geschichte zeigt, dass leider auch eine Zukunft hat, wer nicht aus der Geschichte lernt. Umgekehrt steht dort nicht, dass die Vergangenheit zu kennen die alleinige Grundlage dafür wäre, Zukunft gut gestalten zu können.

(Beifall der Abgeordneten Frau Lieske [SPD] und Frau Große [DIE LINKE])

Wenn wir über diesen Lehrstuhl reden, dann ist das klar - meine Vorrednerin hat es wunderschön formuliert - eine Frage von Hochschulautonomie. Was die Hochschule in Brandenburg anbietet, umfasst historische Epochen und Regionen. Wir haben eine neue W2-Professur mit dem Namen „Allgemeine Geschichte der Neuzeit:` Der Wegfall des Lehrstuhls steht seit Anfang der Jahrtausendwende fest. Wenn das so wichtig ist, warum fällt es Ihnen erst jetzt auf?

Auch wir sind nicht der Meinung, dass die Politik in die Ausrichtung einzelner Institute eingreifen soll. Etwas anderes schlagen Sie in Ihrem Antrag nicht vor. Wenn Sie von finanziellen Anreizen reden, bedeutet das genau das: konkret in die Ausrichtung von Instituten einzugreifen. Das haben wir schon ein paar Mal gemacht, aber an Punkten, wo wir etwas Zusätzliches wollten: zum Beispiel bei der Ausbildung zu Inklusion und bei den Jüdischen Studien. Das ist aus meiner Sicht etwas anderes, weil es nicht darum ging, das Fachgebiet einer Hochschule umfassend zu strukturieren und entsprechende Lehrstühle anzubieten. In beiden Fällen ging es darum, einen zusätzlichen Fachbereich zu implementieren. Aus unserer Sicht spricht schon allein die Wahrung der Hochschulautonomie dafür, den Antrag abzulehnen.

Aber warum bräuchten wir eigentlich solch einen Lehrstuhl? Wir haben andere Lehrstühle und - zum Beispiel mit dem ZZF - hervorragende außeruniversitäre For-schungseinrichtungen. Herr Prof. Sabrow stand hier und Sie alle haben ihm gelauscht. Das hat er wunderbar gemacht; es war für uns interessant. Keiner wird sagen, wir hätten ein Defizit in Sachen Landesgeschichte. Wir haben die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und andere Einrichtungen, die das Erbe der Vergangenheit erschließen und sich gleichzeitig gesellschaftlichen Zukunftsfragen widmen.

Lehren aus der Vergangenheit, Identität und auch Grundlagen für die Zukunft vermitteln sich nicht ausschließlich aus der wissenschaftlichen Forschung, sondern auch aus dem, was wir anders erfassen können: aus Kunst, Denkmalen, Gedenkstätten. Auch da gibt es riesigen Investitionsbedarf. Die Hinrichtungsstätte in Brandenburg-Görden wartet seit langem auf eine würdige Gestalt. An das Kriegsgefangenenlager in Zehrensdorf bei Wünsdorf, wo während des ersten Weltkrieges vielleicht bis zu 30 000 Muslime, Hindus und andere Kriegsgefangene saßen, erinnert heute fast gar nichts mehr. Eine Moschee gab es dort übrigens auch. Das Kaiserreich wollte Kriegsgefangene aus Kolonialstaaten dazu aufrufen, gegen andere Kolonialmächte einen Dschihad zu führen.

In Kummersdorf modert das zentrale militärhistorische Forschungsgelände Deutschlands. An anderen Stellen gibt es historische Gebäude, Kunstwerke, Bodenschätze. Unzählige Kirchen rotten in diesem Bundesland vor sich hin. Auch sie haben etwas mit Landesgeschichte zu tun. Auch um das zu ändern, bräuchten wir Investitionen.

Man kann mir entgegnen, dass wir erstens nicht alles erhalten können, was einmal war. Zweitens finde ich es bei der Frage von Identität und Landesgeschichte auch wichtig, sich zu vergegenwärtigen: Wenn wir Migrantinnen und Migranten in unsere Gesellschaft integrieren, ihnen auf Augenhöhe begegnen und eine gemeinsame neue Identität schaffen wollen, dann müssen wir uns nicht nur überlegen, wo wir, sondern auch, wo diese herkommen.

(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)

Auch ihre Geschichte müssen wir uns anhören. Wir müssen wissen, was Palmyra für die Syrer bedeutet. Um Zukunft richtig gestalten zu können, gehört das Wissen um die Vergangenheit dazu - aber noch mehr. Willy Brandt hat gesagt: „Die Zukunft wird nicht gemeistert von denen, die am Vergangenen kleben"

Zurück zum Lehrstuhl: Nice to have. - Ja, das wäre schön. Aber die Entscheidung sollten wir der Universität überlassen und dafür keine Extralandesgelder fordern. Der Universität wünsche ich ein glückliches Händchen bei der Auswahl ihrer Lehrstühle und uns einen breiten Blick bei der Gestaltung der Zukunft.
(Vereinzelt Beifall SPD und DIE LINKE)