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Marie Luise von Halem spricht zum Antrag der AfD-Fraktion „Erhalt und Ausbau der Förderschulen“

- Es gilt das gesprochene Wort!

[Anrede]

Inklusion ist das Megaprojekt im Bildungswesen, das größte und wichtigste und auch das sozialste Projekt, und wird das auch über Jahrzehnte sein. Zum Glück! Inklusion überspannt als überwölbende Grundausrichtung so viele kleinteilige Details, über die wir diskutieren: sei es die Forderung nach Schulsozialarbeitern an jeder Schule, die Diskussion über den neuen Rahmenlehrplan, die Beschulung von Flüchtlingskindern, Unterrichtsausfall und vieles mehr. Inklusion ist das Bestreben, die Schule an den unterschiedlichen Bedürfnissen von unterschiedlichen Kindern Kindern auszurichten und nicht umgekehrt Kinder in verschiedene Schul-Schubladen zu pressen. Das ist zutiefst demokratisch und sozial, und wir BündnisGrüne werden davon kein My abweichen!

Trotzdem sind ja manche Kritikpunkte im AfD-Antrag durchaus angebracht. Sie fordern, Inklusion solle nur dort angeboten werden, wo ausreichend Sonderpädagogen und kleine Klassen das Gelingen gewährleisten. Ich sage Ihnen: Umgekehrt wird ein Schuh daraus! Wir müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen, für alle Kinder! Die Landesregierung muss sich vorwerfen lassen, über Jahre hinweg, als es die Sonderpädagogen und die Lehrkräfte noch gab, nicht genügend Menschen eingestellt zu haben. Wir haben es der Landesregierung vorgerechnet, andere haben es vorgerechnet. Sehenden Auges hat sich die Landesregierung darüber hinweg gesetzt. Überall werden die Sonderpädagogen für den Vertretungsunterricht eingesetzt, seit Jahren! Und jetzt gibt es Schulterzucken und die lapidare Äußerung, die Leute wüchsen ja nicht auf Bäumen, wo man sie einfach abpflücken könne. Die Landesregierung hat es gewusst, das ist das Versagen! Genauso ist sie mit den Empfehlungen des wissenschaftlichen Beirates Inklusion umgegangen: Seit zwei Jahren modert er in der Schublade, nichts hat die Landesregierung daraus gemacht! Wie viel Vertrauen ist verspielt worden!

Wenn Sie von der AfD jetzt allerdings als Begründung für Ihren Antrag anführen, Schüler mit besonderen Förderbedarfen lernten weniger hinzu als andere Schüler, dann ist das beileibe kein Argument für Förderschulen! Das liegt zum Teil eben an den besonderen Förderbedarfen. Würden sie gleich viel lernen, dann hätten sie doch keinen Förderbedarf! Dass solche Kinder, wenn sie in einer Regelschule integriert sind, bessere Lernergebnisse haben als an Förderschulen, das ist durch andere Untersuchungen hinlänglich bewiesen. (Und der PinG-Bericht hätte sich zu diesem Unterschied auch gar nicht äußern können, weil der Vergleich Beschulung Förderschule versus Regelschule in der Untersuchung gar nicht angelegt war!)

Dass das Selbstwertgefühl der Schülerinnen und Schüler leidet, ist tatsächlich bedenklich. Dafür sind wohl einerseits präpubertäre Gruppenfindungsprozesse verantwortlich, es liegt aber andererseits auch daran, wie es die Lehrkräfte verstehen, solche Empfindungen aufzufangen. Es macht einmal mehr deutlich, wie wichtig Fortbildungen und situationsspezifisches Coaching ist!

Ja, einzelne Förderschulen werden wir sicher noch lange haben. Sie aber alle zu erhalten und als System sogar auszubauen, ist wohl die reaktionärste Forderung, die man an das Bildungssystem stellen kann. Dass es übrigens den Zielen der UN-Behindertenrechtskonvention widerspricht, die auch Deutschland 2009 unterzeichnet hat, sei hier nur noch der Vollständigkeit halber erwähnt.

Und, liebe Kolleg*innen der CDU, das gilt auch für Sie – wenn ich Ihnen auch damit zustimme, dass der Weg in ein inklusives Schulsystem ein langer Prozess sein wird: Die Förderschulen festzuschreiben, bringt uns nicht weiter.

Nein, wir sind alle aufgefordert, für ein inklusives Schulsystem mit guten Rahmenbedingungen zu sorgen, für ein Schulsystem, das alle Kinder wohnortnah und individuell optimal fördert und nicht ausgrenzt! Von der Landesregierung erwarte ich nach Jahren des Nichtstuns deutliche Schritte im nächsten Haushaltsentwurf.