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Marie Luise von Halem spricht zum Antrag der BVB/FREIE WÄHLER Gruppe „Solidarität mit Jan Böhmermann – Bekenntnis zu Kunst-, Rede- und Meinungsfreiheit“

- Es gilt das gesprochene Wort!

[Anrede]

„Der Hofnarr“ titelt die ZEIT (14.4.2016) einen Artikel über die Auseinandersetzung um Böhmermanns gereimte Satire – „Gedicht“ mag man das ja kaum nennen, auch wenn es sich reimt. Und wie auch schon bei den Hofnarren im Mittelalter ist es auch heute Böhmermanns Verdienst, Grenzen auszutesten, mit roten Linien zu spielen.

Es passiert nicht oft, aber hier waren wir uns in unserer übersichtlichen Fraktion nicht einig – außer in dem Wunsch nach Abschaffung dieses juristischen Fossils, des § 103 StGB. Den entsprechenden Antrag hat unsere Bundestagsfraktion vor zwei Wochen bereits eingereicht.

Der vorliegende Antrag spricht erstens der Bundesregierung eine Missbilligung dafür aus, die Strafverfolgungsermächtigung erteilt zu haben. Ja, das kann man mit gutem Grund, zumal die Kanzlerin, die hier das entscheidende Votum hatte, diesen Majestätsbeleidigungsparagraphen selbst für unzeitgemäß hält. Warum eigentlich haben wir Gesetze, über deren Anwendung die Politik entscheiden muss? Was ist das denn? Gehört es nicht zum Grundsatz der Gewaltenteilung, dass die Justiz ihre Entscheidungen, und zwar alle ihre Entscheidungen!, unabhängig von der Politik trifft?

Hier hätte die Staatsanwaltschaft in jedem Fall ermitteln können, ohne Regierungsermächtigung eben nur nach § 185 StGB – mit dem alleinigen Unterschied des maximalen Strafmaßes.

Man kann aber auch die Meinung vertreten, es sei richtig, der Justiz unter Anwendung der gesamten geltenden Rechtslage (also dann auch inklusive des § 103) die Entscheidungen zu überlassen, schließlich ist sie mit ihrer Auslegung von Kunst-, Rede- und Meinungsfreiheit in den letzten Jahren eher großzügiger gewesen als andere.

Dann allerdings – wenn man keine politische Wertung darin sehen will - könnte man sich auch fragen, warum Merkel sich vor ihrer Entscheidung tagelang beraten hat lassen – und nicht einfach ohne Zögern sofort die Ermächtigung erteilt hat?

Der zweite Aspekt des Antrages ist die Solidarisierung mit Böhmermann. Aber was ist eigentlich Solidarisierung?

Ich kann mich mit jemandem solidarisieren, weil ich sein konkretes Tun für richtig halte. - Das fällt mir schwer! Solidarität mit den Inhalten dieses Gereimes - die ZEIT nennt es „rhetorischen Sondermüll“ – Nein! Selbst wenn viele Exzesse erlaubt sind, muss ich sie nicht gutheißen.

(Übrigens: Auch hier im Landtag gilt ein Kodex für unsere Wortwahl, festgeschrieben im Kommentar zur Geschäftsordnung des Bundestages: Mir gebührt ein Ordnungsruf, wenn ich z.B. einen von Ihnen „einstudierter Pharisäer“ nennen würde, „ausgemachter Strolch“ oder „armseliger Zwischenrufer“, Ihnen „Lümmeleien“, „Schaumschlägerei“ oder gar „Schmutztraktätchenproduktion“ vorwerfen würde! – All das würde ich natürlich nie sagen, aber selbst wenn ich das täte, wäre die Beleidigungsintensität doch noch Lichtjahre von dem entfernt, was sich Böhmernann geleistet hat!

Meine Solidarität kann sich aber auch auf das Ziel richten, in unserer demokratisch verfassten Gesellschaft immer wieder deutlich zu machen, wie wichtig Kunst- Meinungs- und Redefreiheit sind, es zu begrüßen, wenn anhand eines konkreten Falles immer wieder bestätigt wird, dass wir es richtig finden, Grenzüberschreitungen zu erlauben, auch wenn wir sie vielleicht persönlich nicht als angemessen empfinden. Solidarität in diesem Sinne: Ja, unbedingt!

Dass es für die juristische Beurteilung von Böhmermanns Satire eine wichtige Rolle spielen sollte, wie der Angegriffene, Erdogan, es selbst mit der Meinungsfreiheit in seinem Land hält, finde ich übrigens nicht. Das hieße nämlich im Umkehrschluss, dass Unschuldslämmer von verbalen Angriffen ausgenommen sein müssten und sich der Grad der Meinungsfreiheit am Adressaten messen lassen müsste!

Politisch gesehen ist die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei sehr wohl ein Thema. Die Tatsache, dass die Bundeskanzlerin erpressbar scheint, auch!

Insofern: Vielen Dank für den Antrag, er schärft die Debatte. Gut, dass wir darüber reden!