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Marie Luise von Halem spricht zum Bericht der Landesregierung „1. Brandenburger Landesplan zur Stärkung der niedersorbischen Sprache“

Es gilt das gesprochene Wort.

[Anrede – Sorbenvertreter*innen!]

Letzte Woche, bei einer Kahnfahrt im Spreewald, stellte sich mir erneut die Frage, wo eigentlich auch sorbisch drin ist, wenn sorbisch draufsteht? Die Ortsschilder: ja. Aber darüber hinaus? Höre ich sorbisch? Nein!

Deshalb die Frage an die Landesregierung: Gibt es diesen Landesplan eigentlich auch auf sorbisch? Also nicht nur mit sorbischen Überschriften? - Auf der Webseite des MWFK habe ich ihn nicht gefunden, weder auf deutsch noch auf sorbisch.

Nein? Das macht dann doch deutlich, wie weit wir noch vom Ziel entfernt sind! [Ja? Dann sind wir doch weiter, als ich befürchtet habe.]

Die Geschichte der Sorben ist anderthalb Jahrtausende nachweisbar. Wir tun gut daran, ihnen Respekt zu erweisen. Mitte des 19. Jhdts. wanderten Tausende nach Australien aus, die Sprache verschwand 1957. Nach Texas wanderten Hunderte aus, dort hielt sich die sorbische Sprache bis in die 1920er Jahre. Jetzt gibt es Sorbisch nur noch bei uns.

Unter den Nationalsozialisten wurde 1937 der Gebrauch des Sorbischen in der Öffentlichkeit und alle sorbischen Vereinigungen verboten. In der Nachkriegszeit war das sorbische Siedlungsgebiet starkem Druck von deutschsprachigen Flüchtlingen ausgesetzt, die in manchen ehemals sorbischen Dörfern mehr als 50% ausmachten. Die DDR-Verfassung garantierte zwar die Anerkennung als nationale Minderheit, es wurden Institute geschaffen, der sorbische Schulunterricht eingeführt und Regelungen zur zweisprachigen Beschilderung erlassen. Trotzdem vollzog sich ein Rückzug der sorbischen Sprache als Alltagssprache: Mit der Kollektivierung der Landwirtschaft verschwanden die sorbischen Familienhöfe, auf denen als einzigem Wirtschaftszweig Sorbisch noch Alltagssprache war. Allein von 1962 bis zum Ende der 60er Jahre ging die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die Sorbisch lernten, von knapp 13.000 auf knapp 3.000 zurück. Heute sind es immerhin rund 1.500 Schülerinnen und Schüler.

Die UNESCO zählt Niedersorbisch zu den am stärksten bedrohten europäischen Sprachen. Aber es ist noch nicht zu spät! Im Landesplan heißt es: “Durch Sprachwechselprozesse fiel vor allem die mittlere (heutige Eltern-) Generation in weiten Teilen aus” (S. 4). Deshalb, ja: Es geht um Revitalisierung! Das klar zu benennen, ist ein Pluspunkt des Landesplans!

Wenn wir heute über Bilingualität reden, stehen zwei Themen im Vordergrund: Erstens die Prävalenz der Massensprachen im Zeitalter der Globalisierung. Das ist eine Entwicklung, die umso gefährlicher ist, desto weniger Sprecher*innen eine Sprache hat. Dagegen steht, zweitens, die relativ neue wissenschaftliche Erkenntnis von den Vorteilen bilingualen Aufwachsens. Wie viele Regionalsprachen auf der Welt sind in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt worden, weil Eltern meinten, ihren Kindern einen Vorteil zu verschaffen, wenn sie statt der hergebrachten Regionalsprache nur noch die Massensprache weitergeben! Zum Glück wissen wir mittlerweile, dass Kinder ohne Probleme mit zwei Sprachen groß werden können und davon profitieren! Sie haben ein besseres Gefühl für kulturelle Unterschiede, dafür, wie die Sprache das Denken prägt, sie gewinnen Abstraktionsvermögen.

Das wünsche ich mir auch für die sorbische Sprache: eine echte Bilingualität. Auf dem Weg dahin ist dieser Landesplan ein guter Meilenstein. Viel Gutes ist darin enthalten: die Berücksichtigung niedersorbischer Sprachkenntnisse bei Stellenbesetzungen im öffentlichen Dienst, die Erhöhung niedersorbischer Anteile bei Landespublikationen, die Berücksichtigung sorbisch/wendischer Denkmäler, die Best-Practice-Konferenz, und Vieles mehr. Ausdrücklich begrüße ich auch, dass dieser Landesplan – im Gegensatz zu vielen anderen Vorhaben dieser Landesregierung, wie z.B. der Nachhaltigkeitsstrategie – Messkriterien beinhaltet.

Wir werden noch oft über Sorben und Wenden diskutieren, über die Erweiterung des Siedlungsgebietes und immer wieder über die Ressourcen, die das Land zum Erwerb und der Revitalisierung von Sprache und Kultur bereit stellt. Und sicher wird es immer wieder Streit darüber geben.

Ich freue mich über und auf diese Debatten, denn wir sind von einer echten Zweisprachigkeit noch weit entfernt. Und es ist auch klar: Das Land alleine kann das nicht machen. Um sicher zu stellen, dass auch Sorbisch drin ist, wo Sorbisch drauf steht, brauchen wir noch sehr viel mehr Engagement! (Ggf: Eben auch die selbstverständlich zweisprachige Veröffentlichung eines solchen Landesplans!)

>> Zum Bericht der Landesregierung (pdf-Datei)