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Marie Luise von Halem spricht zum Antrag der Fraktionen CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Brandenburger Oberschulen stärken“

>> Antrag „Brandenburger Oberschulen stärken“ (pdf-Datei)

Eigentlich kann man jetzt gar nicht sagen: „Danke schön, Herr Präsident!“, denn es wäre schöner, sie würde aufgeteilt. Aber trotzdem: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Gäste! Ich habe ein paar anschauliche Bilder im Zusammenhang mit Chancengerechtigkeit und Chancengleichheit mitgebracht.

(Die Abgeordnete hält Bilder hoch)

Stellen Sie sich vor: Drei Kinder, unterschiedlich groß, stehen an der Bande bei einem Fußballspiel - oder was auch immer das ist - und wollen herüberschauen. Das eine ist so groß, dass es herüberschauen kann; das nächste ist kleiner und schafft es nicht;

(Zuruf der Abgeordneten Müller [SPD])

das dritte ist noch kleiner und schafft es auch nicht. Will man Chancengleichheit ermöglichen, gibt man jedem Kind je einen Karton, auf dem es stehen kann. Das heißt, das erste kann noch mehr herüberschauen - es ist dann viel größer, als nötig ist -, das zweite schafft es auch, aber das dritte immer noch nicht. - So wollen wir Bildung nicht gestalten. Chancengerechtigkeit ist der Begriff, der sowohl beim Thema Inklusion als auch bei dem Thema, über das wir heute reden - das ist letztendlich das Gleiche -, handlungsleitend ist.

(Zuruf des Abgeordneten Homeyer [CDU] - Heiterkeit der Abgeordneten Muhß [SPD])

Chancengerechtigkeit ist handlungsleitend und bedeutet, ich gebe dem Kleinsten zwei Kartons, damit er über die Bande schauen kann. Der Größte braucht den Karton nicht; er kann ohnehin schon herüberschauen. Das heißt, der Einsatz ist der gleiche - es sind immer drei Kartons -, und trotzdem ist das, was wir tun, gerechter.

(Vereinzelt Beifall DIE LINKE sowie der Abgeordneten Nonnemacher [B90/GRÜNE] - Zuruf der Abgeordneten Mächtig [DIE LINKE])

Jetzt kommen wir zum Thema. Anlass sind die IQB-Vergleiche gewesen - und ja, natürlich wissen wir, dass IQB-Vergleiche bewerten, was die Kinder zwei bis drei Jahre später beherrschen sollten, dass sie aktuelle Kompetenzstände widerspiegeln und den Schulen als Handlungsanleitung dienen sollen - das wissen wir alles.

(Frau Dannenberg [DIE LINKE]: Richtig!)

Trotzdem: Es geht ja nicht darum, dass die Kinder noch so weit davon entfernt sind, was sie zwei Jahre später können sollten, sondern es geht darum, dass bei diesen Kompetenzständen ein gigantischer Unterschied zwischen den Oberschulen, Gesamtschulen und Gymnasien zutage tritt. Das ist das Besorgniserregende.

Schaut man sich einmal die letzten drei Testjahre im Mittel an, dann stellt man fest, dass in all den unterschiedlichen Fächern nur 1,7 % der Kinder an den Gymnasien die niedrigste Kompetenzstufe erreicht haben, an den Gesamtschulen sind es 20 % und an den Oberschulen 32 %. 32 % gegenüber 1,7 % am Gymnasium! Ich finde, das sollte uns Anlass zum Nachdenken geben.

Von den Kindern, die diagnostizierte LES-Förderbedarfe haben, besuchen 3 % das Gymnasium, 14 % die Gesamtschule und 83 % die Oberschule. - Kathrin Dannenberg möchte eine Frage stellen.

Vizepräsident Dombrowski: Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Frau von Halem (B90/GRÜNE):

Ja, bitte sehr!

Frau Dannenberg (DIE LINKE): Frau von Halem, woraus resultiert denn Ihrer Meinung nach dieser Unterschied zwischen den Oberschulen, den Gesamtschulen und den Gymnasien?

Frau von Halem (B90/GRÜNE):

Darauf komme ich in meiner Rede noch zu sprechen.

Frau Dannenberg (DIE LINKE): Na, hervorragend!

Frau von Halem (B90/GRÜNE):

Aus der Heterogenität der Kinder. Aber ich komme noch darauf.

Frau Dannenberg (DIE LINKE): Aus der Heterogenität der Kinder?

Frau von Halem (B90/GRÜNE):

Von 100 Kindern, die LES-Förderbedarfe haben und an weiterführende Schulen gehen, besuchen 83 die Oberschule und 3 das Gymnasium. Ich finde, das verdeutlicht die schwierige Situation sehr gut. Bei den Flüchtlingskindern verhält es sich so, dass im Juni 109 der sogenannten Einzugliedernden am Gymnasium, 190 an der Gesamtschule und 1 906 an der Oberschule waren.

Lassen Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen: Das bedeutet, LES-Kinder sind an Oberschulen 28-mal mehr vertreten als an Gymnasien und immerhin 4,6-mal mehr als an Gesamtschulen.

(Frau Dannenberg [DIE LINKE]: Aber warum?)

Von den Einzugliedernden sind 17,5-mal mehr an Oberschulen als an Gymnasien, und zehnmal so viele an Gesamtschulen vertreten. - Das ist ein Grund, warum es die Oberschulen besonders schwer haben.

Beim Ü7-Verfahren wird zum Beispiel auch deutlich, dass die Oberschule die einzige Schulform ist, in der die Erstwünsche signifikant unter der Zahl der Plätze liegen, und es gibt auch nicht überall Gesamtschulen. Das heißt, an vielen Orten ist es so, dass die Kinder, wenn sie nicht aufs Gymnasium kommen, auf die Oberschule gehen.

(Frau Dannenberg [DIE LINKE]: Müssen sie!)

- Das müssen sie, ja.

Ein weiterer Indikator findet sich beim Kunstunterricht. Hier werden 99 % der Lehrerwochenstunden am Gymnasium mit Fachlehrern abgedeckt, an der Oberschule nur 75 %. Auch da liegt etwas im Argen. Und was die Bezahlung der Lehrpersonen angeht: Wir bedauern, dass die GEW das Angebot von Herrn Görke, die Gehälter von Lehrerinnen und Lehrern der Oberstufe mit 17 Millionen Euro aufzustocken, abgelehnt hat, wobei die GEW sagt, es sei in der Verhandlung gar nicht so weit gekommen; sie seien vorher schon gegangen.

(Minister Schröter: Nein, da sind sie rausgegangen!)

Sie sind rausgegangen, sie sind vorher schon gegangen - ja, gut. Letztendlich macht all das deutlich, dass wir im Grunde kein Problem mit den Oberschulen, sondern die Oberschulen ein Problem mit uns haben.

(Beifall B90/GRÜNE - Minister Schröter: Nein, die Oberschulen haben ein Problem mit der GEW!)

- Die GEW ist ja nicht das einzige Problem, es gibt sehr viele andere. Ich denke, was wir hier heute vorschlagen, steht überhaupt nicht im Widerspruch zu dem Konzept „Gemeinsames Lernen“, sondern wir alle wissen, dass das Konzept nicht das ist, was uns der Anspruch an Inklusion - nämlich hier an die Verteilung der Kisten - aufgibt, sondern dass es viel mehr als das ist. Ja, ich weiß auch, dass die Klassengröße nicht ausschlaggebend ist, aber es gibt zum Beispiel Dinge wie Schulpsychologen oder Schulsozialarbeiter. Zu Schulsozialarbeit haben wir einen Antrag in der Haushaltsdebatte vorgelegt - den haben Sie abgelehnt. Es gibt durchaus Dinge, die wichtig wären und die man da noch implementieren könnte. Wir haben auch beantragt, die Heterogenität zu erhöhen und die Attraktivität zu verbessern, indem man eine feste Kooperation mit einem Oberstufenzentrum oder einer Gesamtschule anbietet. Auch das wäre eine Hilfe für die Oberschulen.

Wir wollen hier keine Schulstrukturdebatte führen, sondern es geht um Schulqualität. Was vonseiten der Koalition kam, bezog sich vorrangig auf Schulvisitation, Fortbildungen, das Konzept „Gemeinsames Lernen“ und Schulzentren - das alles hat ja keine besonders unterstützende Wirkung auf die Oberschulen.

(Frau Mächtig [DIE LINKE]: Aber auch! - Frau Dannenberg [DIE LINKE]: Die Poolausstattung!)

- Ein paar Dinge gibt es, ja. Wir sind trotzdem der Meinung, dass die Unterschiede zwischen den Schulformen und die Schwierigkeiten, vor denen die Oberschulen stehen, so signifikant sind, dass es sich tatsächlich lohnen würde, da noch mehr Ressourcen auszuschöpfen.

(Beifall B90/GRÜNE sowie des Abgeordneten Senftleben [CDU])

Jetzt habe ich zwar schon gehört, was die Koalitionsfraktionen gesagt haben, aber ich habe das Glück, dass der Bildungsminister nach mir spricht, und bin sehr gespannt, was er uns gleich erzählen wird. - Danke.

(Beifall B90/GRÜNE sowie vereinzelt CDU)

>> Antrag „Brandenburger Oberschulen stärken“ (pdf-Datei)

Der Antrag wurde abgelehnt.