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Marie Luise von Halem spricht zum Antrag der Fraktionen SPD und DIE LINKE „500 Jahre Reformation – 500 Jahre Wort und Wirkung“

- Es gilt das gesprochene Wort!

[Anrede]

Ich war schon etwas erstaunt über Ihren Antrag, und dann noch dazu die Priorisierung! Ist das wirklich Ihr Gestaltungsanspruch, über eine Feststellung des Landtages zur Geschichte, und sei sie noch so dünn, Politik zu machen?

Ja, es ist richtig, das Themenjahr von Kulturland Brandenburg greift in gewohnt guter und vielfältiger Weise das große Jubiläum der Reformation auf. Es ist auch gut, dass der 36. Evangelische Kirchentag teilweise in Brandenburg stattfindet und ja – wir sollten die Anstrengungen für dieses Jubiläum nachhaltig wirken lassen. All diesen Feststellungen kann man nur zustimmen. Aber was gibt es hier politisch zu beschließen?

Selbst innerhalb der Evangelischen Kirche und Theologie gibt es erhebliche Differenzen über die Bedeutung der Reformation und der Figur Martin Luthers.

Martin Luther war kein Politiker. Er wollte, dass die Menschen ohne den Filter des Klerus das Wort Gottes selber lesen und verstehen können. Er wollte die Individualisierung des Glaubens. Er wollte keine Spaltung der Kirche, sondern eine Veränderung im System. Er wollte die Religion auch nicht von der Politik befreien, sondern diente sich und seine Idee den Herrschenden an. Er war durch und durch ein Mann seiner Zeit: chauvinistisch und antisemitisch.

Und war die Reformation wirklich eine Bewegung für Glaubens-, gar Meinungsfreiheit? Axel Gotthard verneint dies in einem Aufsatz für Bundeszentrale für politische Bildung genauso wie Luise Schorn-Schütte im Februar dieses Jahres in der ZEIT. Beide führen diese Deutung auf die Geschichtsschreibung des Kulturprotestantismus des 19. Jahrhunderts zurück. Luther ging es nie um echte Meinungsfreiheit, sondern um die Freiheit, selber die Bibel lesen und verstehen zu können. Die Meinung musste aber im Rahmen des Gelesenen bleiben und im Rahmen dessen, was der Fürst vorgab. Auch ging es nie um Glaubensfreiheit. Selber lesen ja, aber eine freie Entscheidung, Religion zu wechseln oder nicht religiös zu sein – darum ging es nie.

Auf der Suche nach dem Gehalt des Antrages fand ich einen interessanten Satz: „Vieles lässt sich aus der Reformationsgeschichte auch für die Bewältigung heutiger gesellschaftlicher Herausforderungen und Konflikte ableiten.“ Der Satz macht neugierig: Was lässt sich ableiten? Zur Bewältigung welcher Herausforderungen und Konflikte?

Darauf gibt es zwar keine Antwort, aber vielleicht ist es die Aufforderung, sie im Jubiläumsjahr zu suchen. Überhaupt könnte einem so manches zu diskutieren einfallen, was der Antrag unerwähnt lässt: Sollten wir vielleicht mal über Glaube und Religion reden, in diesem gottlosen Bundesland, in dem nur knapp 20% aller Menschen einer christlichen Kirche angehören? (Das greift ja hier auch der EA der CDU auf – zu dem wir uns enthalten werden, weil die Kritik an dem fehlenden Landeskonzept natürlich ein bisschen spät kommt!) Und inwieweit hat Luther – auch wenn es ihm nie um echte Meinungsfreiheit ging – letztlich trotzdem indirekt zu Individualität und Meinungsfreiheit, zur Entwicklung der Menschenrechte, wie wir sie aus unserer modernen Demokratie kennen, doch einen Beitrag geleistet? Und gibt es Parallelen zwischen dem damaligen Verlust des Alleinvertretungsanspruchs der katholischen Kirche und dem heutigen Verlust des Alleinvertretungsanspruches der christlichen Kirchen? – Um nur ein paar Fragen zu nennen.

Unser Bild von der Reformation wird differenziert bleiben und politische Geschichtsschreibung ist ja auch nicht Aufgabe des Landtages.

Die großartige Arbeit von Kulturland erkennen wir an und freuen uns auf die vielen Menschen, die während des Kirchentages auch nach Brandenburg kommen. Und auch wir werden den Aufruf des Antrages, „das Reformationsjubiläum als eine Chance zur Auseinandersetzung mit den Wurzeln unserer Gesellschaft, unserer Werte und unserer Überzeugungen“ sicher gerne nutzen.