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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dem Thema, zu dem ich jetzt ausführe, habe ich ein wenig den Eindruck, dass ich zu erläutern beginnen muss, warum wir schon wieder über dieses Thema reden, denn es ist schon so oft diskutiert worden. Jedoch habe auch ich mittlerweile gelernt, was das Diskontinuitätsprinzip bedeutet.
Also warum? Erstens gibt es formale Gründe. Dazu zwei Zitate: Artikel 12 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention, 1992 in Kraft getreten, besagt: „Die Vertragsstaaten sichern dem Kind, das fähig ist, sich eine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und berücksichtigen die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife.“
In Art. 24 Abs. 1 und 2 der Charta der Europäischen Union heißt es: „Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt.“
Wenn Sie unseren Antrag gelesen haben, kommen Ihnen die Formulierungen vielleicht bekannt vor. Über diese formalen Gründe hinaus, die ich soeben vorgelesen habe, gibt es eine Vielzahl politischer Gründe, derentwegen wir heute den Antrag auf Änderung der Kommunalverfassung stellen.
Der erste Grund: Natürlich wollen wir Kommunen nicht geißeln, sondern eine Anregung und einen Anstoß für Diskussionen auf kommunaler Ebene geben. Wir wollen einen Impuls dafür geben, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Kommunen besser zu diskutieren und umfangreicher zu verankern. Wir wollen verbindliche Strukturen schaffen, und wir wollen Verantwortungsübernahme.
Gleichzeitig ist uns auch klar, dass wir damit einen Schritt gegen Politikverdrossenheit gehen können, indem wir Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben und sie anregen, demokratische Prozesse früh zu erlernen. Da sind natürlich die Familie, die Kita und die Schule gefragt, aber eben auch die Kommune. Es geht nicht darum, Kindern demokratische Prozesse theoretisch darzulegen, sondern es geht darum, ihnen die Möglichkeit zu geben, demokratische Prozesse lebensweltbezogen einzuüben.
Sie wissen, in Schleswig-Holstein gibt es diesen Passus in der Kommunalverfassung schon. Dort ist in der Kommunalverfassung festgeschrieben, dass Kommunen Kinder und Jugendliche an den sie betreffenden Angelegenheiten beteiligen müssen. Das ist übrigens vor wenigen Tagen auch in Baden-Württemberg so beschlossen worden.
Die Erfahrung in Schleswig-Holstein zeigt, dass die Diskussion erst einmal auch ein Aufwand ist, dass aber die Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen in kommunale Planungsprozesse so viel Geld spart, dass es letztendlich eine lohnende Angelegenheit ist, auch im monetären Sinne. Dafür gibt es viele Beispiele. Sie werden vielleicht auch das eine oder andere, wenn Sie an Ihre Kommunen denken, im Kopf haben, wo für Kinder und Jugendliche geplante Dinge von diesen nachher gar nicht angenommen werden, wo dann letztendlich Gelder für Planung und Umsetzung falsch investiert worden sind. Das kennen wir alle, die Skaterbahn, die nachher keiner will, weil sie nicht so geplant worden ist, wie Kinder und Jugendliche das wollten. Das ist natürlich nur ein Standardbeispiel, es gäbe noch viele andere.
Wichtig ist dabei vor allem, dass man Kinder und Jugendliche selbst machen lässt und dass die Parlamente nicht überlegen, wie sie es für die Kinder und Jugendlichen einrichten können, dass sie eingebunden werden, sondern dass man Kinder und Jugendliche daran arbeiten lässt, wie diese Einbindung stattfinden soll. Die Erfahrung mit den vielen wunderbaren Beispielen, die es in Brandenburg gibt, hat auch gezeigt, dass eine intensive Begleitung bei diesen Prozessen notwendig ist. Der Landesfonds Demokratie und Wahlen, der im Zusammenhang mit der Herabsenkung des Wahlalters auf 16 Jahre eingerichtet worden ist, hat sich wirklich als hervorragendes Mittel dafür herausgestellt, diese Prozesse in den Kommunen zu befördern.
Es gibt - das habe ich schon gesagt - wunderbare Beispiele von Kinder- und Jugendbeteiligung. Aber es gibt eben auch andere Beispiele. Das ist für mich auch ein ganz wichtiger Grund, weshalb ich heute noch einmal hier stehe. Viele von Ihnen - Frau Augustin, Sie auch - waren mehrfach bei Diskussionen mit Kindern und Jugendlichen dabei. Auf diesen Diskussionen wird uns auch immer wieder gesagt: Wir haben es in unserer Kommune versucht, und uns wurde gesagt: Geht wieder nach Hause!, oder: Dann kommt doch mal in die Ausschüsse! – Das ist natürlich nicht das, was Kinder und Jugendliche reizt, sondern es muss andere Wege geben. Deshalb sind wir der Meinung: Mit dieser normativen Vorgabe, mit der Änderung der Kommunalverfassung an dieser Stelle, können wir dafür sorgen, dass sich in Kommunen das Bewusstsein verändert und die Offenheit größer wird, Kinder und Jugendliche einzubinden. Deshalb brauchen wir diese Änderung der Kommunalverfassung. Aus unserer Sicht reicht eine solche Formulierung, wie die CDU sie vorschlägt, eben nicht, sondern wir wollen das tatsächlich gerne in dem von uns vorgelegten Umfang haben.
Ich bin auch etwas enttäuscht über diese Verschiebungstaktik von der SPD, den Koalitionsfraktionen, weil Sie einerseits all das, was wir wollen, auch anerkennen, und gleichzeitig sagen, im Grunde sei der juristische Rahmen, in dem wir uns bewegen, sowieso so gelegt, dass Kinder und Jugendliche diese Rechte haben. Trotzdem wollen Sie diesen einen Schritt jetzt nicht gehen, sondern Sie wollen die Änderung noch einmal hinauszögern und erst bei der nächsten Änderung der Kommunalverfassung noch einmal darauf hinwirken, wollen die Landesregierung auffordern, sich Wege zu überlegen. Aber es ist genug diskutiert worden. Wir wissen genau, welche Möglichkeiten es gibt. Deshalb beantragen wir genau diese Änderung heute noch einmal. Ich bin gespannt, was Sie entgegnen.
(Beifall B90/GRÜNE und BVB/FREIE WÄHLER Gruppe)
Zweiter Redebeitrag
Ich habe in der Tat noch einige Punkte: Herr Königer, ich fand es erstaunlich zu hören, wie Sie auf die Familie pochen und gleichzeitig bei den Flüchtlingen den Familiennachzug begrenzen wollen. Da ist Ihnen offensichtlich die Unterscheidung nicht so wichtig; das ist aber bei Ihnen offensichtlich nichts Neues.
Zu Ihnen, Frau Augustin: Sie sagen, Sie möchten nicht dokumentieren. Der Unterschied zwischen Ihrer Formulierung und unserer ist nur, dass es bei unserer heißt: „Hierzu hat die Gemeinde geeignete Verfahren zu entwickeln, durchzuführen und zu dokumentieren“, während Sie gern darin stehen hätten: „Für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen sind geeignete Verfahren zu entwickeln.“ Sie streichen also nicht nur das Wort „dokumentieren“, sondern auch das Wort „durchführen“. Ich weiß nicht, ob Ihnen das aufgefallen ist. Beim Dokumentieren sind wir doch auch hier alle vertraut mit dem Usus von Protokollen: Man kann Wortprotokolle schreiben oder man kann Beschlussprotokolle schreiben. Wir wissen alle, dass der Begriff der Dokumentation auslegungsfähig ist. Machen Sie doch dann bei unserem Antrag mit und lassen Sie es nicht an solch einer Kleinigkeit scheitern! Dass Sie die Umsetzung von diesen Verfahren nicht streichen wollen, ist ja wohl eher ein Zufallstreffer; das können Sie ja nicht im Ernst meinen.
(Zuruf des Abgeordneten Dr. Redmann [CDU])
Frau Gerrit Große, vielen Dank für das schöne Beispiel der Kita aus Schleswig- Holstein. Ich glaube, das macht noch einmal die Grundfrage deutlich.
Herr Günther, Sie haben gesagt, gute Beteiligung könne man nur machen, wenn man von ihrer positiven Wirkung überzeugt sei. Das ist natürlich richtig. Nur wenn ich jemanden beteiligen will, werde ich es auch ernsthaft tun. Das aber zu sagen, implementiert ja, dass die Kommunen entscheiden und dass die Kommunen diejenigen sind, um die es geht. Die Kommunen müssen es wollen, und dann werden sie es auch gut machen, sagen Sie. Es geht hier nur um die Kommunen; wie oft war dies hier schon zu hören! Es geht um kostspielige Pflichtaufgaben, die wir nicht zusätzlich implementieren sollten.
Minister Schröter hat gesagt, wir sollten den Kommunen Respekt zollen. Das allein, was ich hier gehört habe, was schon so oft erwähnt wurde, zeigt doch genau, wie wichtig dieses Gesetz ist, weil wir alle in diesen Kategorien denken; davon nehme auch ich mich nicht aus. Herr Schröter sagt, sie sollten doch in die Gemeindevertretung kommen oder sachkundige Bürger werden. Aber das ist doch genau das, worum es geht! Es soll eben nicht so sein, dass wir nur an die Kommune denken. Wer hat denn bei dieser Debatte daran gedacht, was für eine grenzenlose Enttäuschung es für Jugendliche ist, zu sehen, dass in ihrer Kommune Dinge passieren, die sie nicht wollen, und dass sie keine Möglichkeit haben, mitzureden.
Was das für eine grenzenlose Enttäuschung bedeutet und was für ein Schaden daraus entsteht, wenn Jugendliche dies erleben - das ist ja eine Erfahrung in einer sehr prägenden Zeit, die gleichzeitig auch ein Grundverständnis gegenüber dem demokratischen System verfestigen wird -, darüber hat hier niemand geredet. Ich glaube, genau das ist der wichtigste Grund dafür, dass wir diese Gesetzesänderung wirklich brauchen.
(Beifall B90/GRÜNE)
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Der Gesetzentwurf wurde abgelehnt.