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Marie Luise von Halem spricht zum Antrag „Studienabbrecher als Fachkräfte gewinnen!“

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- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Wenn ich eine Bergtour plane, sollte ich vielleicht nicht damit beginnen, mir zu überlegen, was ich mache, wenn ich auf dem ersten Gipfel stehe. Ob ich dann weiter wandere, mich nach neuen Gipfeln umsehe, wieder ins Tal zurückkehre, oder mich vielleicht auf der Gipfelhütte als Kellnerin oder Zimmermädchen verdinge. Nein – ich sollte damit anfangen, mir zu überlegen, welche Route ich denn wähle, ob ich die richtige Ausrüstung für den Weg habe und warum ich diesen oder jenen Berg besteigen will. Ein bisschen so kommt mir dieser Antrag der FDP vor: Hier wird der zweite Schritt vor dem ersten gegangen.

Richtig ist, dass die Zahl der Studienabbrecher_innen – ja, insbesondere in den MINT-Fächern – erschreckend hoch ist. Das ist eine finanzielle Belastung und oft – durchaus nicht immer! - für die Studierenden eine frustrierende Erfahrung.

Deshalb muss der erste Schritt sein, den Übergang von Schule zum Beruf besser zu begleiten. Was können wir denn machen, damit junge Leute die richtige Wahl treffen und erst gar nicht in die Situation kommen, ihr Studium abzubrechen?

Dazu gehört erstmal eine Vorbereitung schon während der Schulzeit und dann qualitativ gute und zeitgemäß vermittelte Informationen über Studiengänge.

Im Studium selbst müssen die Studienbedingungen verbessert und die Kontakte zu den Studierenden intensiviert werden. Das betrifft vor allem die Frage der Betreuungsrelation zwischen Lehrenden und Studierenden. In Brandenburg tummeln sich etwa 50.000 Studierende auf etwa 30.000 ausfinanzierten Studienplätzen. Für eine qualitativ bessere Betreuung der Brandenburger Studierenden – mein Ceterum Censeo! - benötigen wir eine deutlich bessere Grundfinanzierung der Hochschulen.

Mit dem neu entworfenen Hochschulgesetz stehen die Hochschulen zudem vor zusätzlichen Aufgaben, die helfen sollen, einen Studienabbruch zu vermeiden, deren Finanzierung aber noch viele offene Fragen aufwirft, wie die Anhörung zum Hochschulgesetz in der letzten Woche gezeigt hat. Was ist mit der Studienbegleitung, die wir wegen des erweiterten Hochschulzugangs brauchen? Was mit der obligatorischen Studienberatung bzw. Studienverlaufsvereinbarung? Wo sind die Personalressourcen dafür?

Wenn dennoch Menschen ihr Studium abbrechen wollen, ja, dann brauchen sie bessere Beratung. Da liegt der Antrag richtig. Die Gründe für einen Studienabbruch sind vielfältig: Zwangsexmatrikulation, fehlendes Interesse am Studienfach, fachliche Schwierigkeiten im Studium, fachliche oder persönliche Unsicherheit, falsche Studiengangwahl.

Wünschenswert wäre ein individualisierter, mehrstufiger Beratungsprozess für potenzielle Studienabbrecher_innen, mit dem Ziel, jedem und jeder einen qualifizierten Abschluss zu ermöglichen, sei es in einem Hochschulstudium oder in einem beruflichen Ausbildungsgang.

Da enthält der Antrag mehrere gute Punkte: Eine Studienverlaufsstatistik kann natürlich ein Ansatzpunkt sein, löst aber per se noch kein Problem.

Die IHK, andere Hochschulen, die Agentur für Arbeit und Unternehmen in die Beratung und das Aufzeigen alternativer Karrierewege einzubeziehen, wie es beispielsweise im Projekt der FH Brandenburg „Weitersehen – Weiterbilden – Weiterkommen“ praktiziert wurde, ist richtig.

Auch der 2011 ins Leben gerufene „Runde Tisch Studienabbruch“ der Agentur für Arbeit in Potsdam ist ein sinnvoller Ansatz. Natürlich kann eine Evaluation seiner Arbeit als Leitfaden für vergleichbare Projekte dienen.

Im Sinne der Durchlässigkeit in beide Richtungen, sowohl aus der Berufsbildung in die Hochschule, als auch aus der Hochschule in die Berufsbildung, unterstützen wir auch das Anliegen, die Entwicklung von Modellen zur Anerkennung von Studienleistungen in der dualen Berufsausbildung sowie zur Anrechnung der Ergebnisse der Berufsausbildung bei der Rückkehr in die akademische Ausbildung auszuweiten.

Alles gut und richtig. Nur den ersten Schritt bei der Planung der Bergtour, die richtige Route, der passende Gipfel, die richtige Ausrüstung und vielleicht auch das entsprechende Fitnesstraining vor dem Start – das sollten wir nicht aus den Augen verlieren!