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Marie Luise von Halem spricht zum Antrag der CDU „Handschrift richtig lernen“

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich war ungefähr zehn Jahre alt, als ich mir Sütterlin beigebracht habe. Und zwar nicht nur deshalb, um die Briefe meiner Großmutter besser lesen zu können, sondern auch, weil ich es einfach eine wunderschöne Schrift fand. Aber Sütterlin weint heute auch keiner mehr nach. Ich fände es aber schade, wenn niemand mehr Schreibschrift schreiben würde, mit all der Unterschiedlichkeit und Individualität, die damit zum Ausdruck kommt. Gerade die Schreibschrift - in der Schweiz wird sie liebevoll Schnürlischrift genannt - würde ich schon sehr vermissen. Ich bekomme auch gerne und ich schreibe manchmal richtige, echte Briefe.

Aber gleichzeitig wollen wir so viel von den Kindern. Die Ansprüche an die Bildung im Umgang mit der digitalisierten Welt und den Medien, die wir heute haben, sind sehr groß. Das ist in der Diskussion auch immer wieder deutlich geworden. Es gab vor zwei oder drei Jahren eine sehr breit angelegte internationale Untersuchung, eine ICE-Studie über die Computerfähigkeiten von Kindern, und ich erinnere mich noch sehr gut an die leitende Professorin, die bei einer Vorstellung dieser Studie gesagt hat: Wir sind so schlecht in Deutschland, wir vergeuden das Potenzial einer ganzen Generation. - Das war die Bewertung der Ergebnisse für Deutschland in Relation zu den Ergebnissen anderer OECD-Länder.

Ich finde, das ist wirklich eine schwierige Frage: Was machen wir mit der Schreibschrift? Es gibt mittlerweile Schulen, die empfehlen, völlig auf das Erlernen der Schreibschrift zu verzichten. In NRW wirbt der Grundschulverband seit Jahren dafür, den Kindern nur noch die an Druckschrift erinnernde Grundschrift beizubringen und sie nicht mehr mit der Schreibschrift zu quälen. Die große PISA-Schwester Finnland will auf die Schreibschrift ohnehin völlig verzichten.

(Beifall der Abgeordneten Große [DIE LINKE])

Das flüssige Tippen auf der Tastatur sei eine viel bedeutsamere Kompetenz, soll die Bildungsministerin Harmanen argumentiert haben.

(Zuruf von der CDU: Wie heißt die?)

- Harmanen.

(Wichmann [CDU]: Voll daneben! - Zuruf von der CDU: Wie schreibt man das?)

- Harmanen. Das können wir gern nachher genauer besprechen.

Andere führen an, die Schreibschrift sei ein so wichtiges Training für das menschliche Gehirn, dass wir darauf nicht verzichten dürfen - auch das haben wir hier schon gehört. Gleichzeitig wissen wir aber, dass es sowohl für die Kita als auch für die Schule umfangreiche Materialien und Handreichungen gibt, wie pädagogisches Personal damit umgehen soll. Wir können uns vielleicht fragen, ob nicht ein verbesserter Kita-Personalschlüssel auch ein Beitrag dazu wäre, dass Kinder in dieser Hinsicht besser gefördert würden, denn dann gäbe es auch mehr Zeit dafür.

Sind beim Schreiben mit der Hand mehr Hirnaktivitäten messbar? Können Schülerinnen und Schüler mit Verbundschrift Texte besser erfassen? Trainiert die Schreibschrift die Synapsen im Gehirn tatsächlich besser als die Druckschrift? Seit Finnland im vorletzten Jahr verkündet hat, die Schreibschrift völlig zu streichen, streiten sich die Geister darüber. Sie merken schon: Ich weiß es auch nicht.

Ich denke aber, dass es nicht unsere Aufgabe ist, hier im Parlament darüber eine Entscheidung zu fällen. Das ist eine Aufgabe für die Bildungsforschung. Und die Tatsache, dass die Wissenschaft dieses Thema so umstritten diskutiert, sollte uns eine Warnung davor sein, uns jetzt in die Entscheidungsfindung einzumischen.

Jetzt mag man mir entgegenhalten: Aber gerade habt ihr euch doch dafür ausgesprochen, die Notengebung in der 1. und 2. Klasse zu streichen. – Gordon Hoffmann nickt - ich weiß, sonst hätte ich die Frage bekommen, das hatte ich schon geahnt. Aber ich denke, mit der Notengebung ist das etwas anderes. Denn in Sachen Notengebung gibt es eine jahre-, wenn nicht jahrzehntelange Diskussion unter Fachleuten. Die gibt es beim Thema Handschrift nicht. Deshalb denke ich: Wir sollten nicht vorschnell Modellprojekte fordern oder hier im Parlament Entscheidungen treffen.

Der Antrag der AfD erfolgt nach dem Muster: Tritt ein Defizit an den Tach, ford´re ich schnell ein neues Fach. - Das ist aus meiner Sicht das billigste Reaktionsmuster, das es im Bildungswesen überhaupt gibt, zumal Sie nicht sagen, was stattdessen gestrichen werden sollte. Dieser Vorschlag wäre schon deshalb zu verwerfen, weil er so billig ist,

(Zuruf von der AfD: Unterrichtsausfall könnte gestrichen werden!)

wenn es dieses Fach nicht auch schon gäbe. Meine Kollegin Kathrin Dannenberg hat es gesagt: Das Fach Schreiben gibt es, das heißt bei uns: Deutsch.

(Lachen bei der AfD)

Das heißt, wir werden uns dem Antrag der CDU nicht anschließen. Ich würde aber gern im Bildungsausschuss darüber diskutieren. Ich würde auch gern Fachleute dazu hören, wie sie denn die Situation gerade in Brandenburg bewerten, nachdem wir erfahren haben, dass die Studie, auf die Sie sich in Ihrem Antrag berufen, für Brandenburg nicht repräsentativ ist. Lassen Sie uns im Bildungsausschuss darüber reden, bevor wir ein solches Modellprojekt implementieren.

Von Simona Koß würde ich gern erfahren, was denn „Hopse spielen“ ist. Da habe ich wohl etwas verpasst.

(Beifall B90/GRÜNE - Zurufe - Allgemeine Unruhe)