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Marie Luise von Halem spricht zu unserem Antrag mit den Regierungsfraktionen „SeiteneinsteigerInnen als LehrerInnen dauerhaft halten und qualifizieren“

>> Antrag „Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger als Lehrerinnen und Lehrer dauerhaft halten und qualifizieren“

- Es gilt das gesprochene Wort!

[Anrede]

„In manchen Fällen ist ein Unterrichtsausfall wohl doch eine ehrlichere Lösung, als den Fachunterricht so zu erteilen, wie das hier passiert. Wenn die Quereinsteigerregelung so ausgelegt wird, dass es kaum eine fachliche und keinerlei pädagogische Voraussetzung mehr gibt, um an einer staatlichen Schule unterrichten zu dürfen, dann unterminiert das in letzter Konsequenz die Berechtigung der Schulpflicht überhaupt. Denn diese kann ja nur dadurch gerechtfertigt werden, dass hier professionelles Personal in die Mannigfaltigkeit der Welt einführt. Wenn nahezu beliebig ist, wer hier zum Unterrichten herangezogen wird, sägt die Institution Schule an ihren eigenen Grundlagen.“ So schrieb mir unlängst ein betroffener Vater.

Martin Luther soll 1524 die Aufgabe der Obrigkeit so beschrieben haben, es sei "des weltlichen Regiments Werk und Ehre, daß es aus wilden Tieren Menschen macht und Menschen erhält, daß sie nicht wilde Tiere werden." (http://www.berliner-zeitung.de/17092076). Von da bis zur Einführung der allgemeinen Schulpflicht lag noch ein weiter Weg, geleitet vom staatlichen Anspruch, vom Recht der Kinder auf Bildung und dem Wunsch nach Stärkung des Gemeinwohls.

Natürlich ist Schulpflicht auch Freiheitsberaubung, wenn auch aufgrund eines breiten gesellschaftlichen Konsenses. Im Zusammenhang mit der Forderung nach häuslicher Beschulung haben das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schulpflicht mehrfach gestärkt. Mit guten Gründen, wie ich finde. Aber es ist durchaus möglich, dass angesichts sinkender Unterrichtsqualität das Thema Schulpflicht erneut beim Bundesverfassungsgericht landet.

Was hat das mit Brandenburg zu tun?

Nach der Lehrermodellrechnung des MBJS vom letzten Herbst liegen die Einstellungsbedarfe bis Mitte der 20er Jahre kontinuierlich bei etwa 1.000 Personen – gut das Doppelte der hier in Brandenburg jährlich ausgebildeten Lehrkräfte. Dazu kommt, dass auch in vielen anderen Bundesländern die Einstellungsbedarfe erheblich höher sind als die Zahl der jeweils Ausgebildeten. Für Brandenburg gilt, dass die Bedarfe dann aber in der zweiten Hälfte der 20er-Jahre in Folge des demografischen Echos deutlich sinken werden.

Laut einer PM des MBJS (1.9.2016) wurden zum Schuljahr 2016/17, also dem jetzt laufenden, 225 Seiteneinsteiger*innen befristet eingestellt, von denen etwa die Hälfte über einen Hochschulabschluss verfügt und damit theoretisch nach entsprechender Qualifizierung eine Lehramtsbefähigung erwerben kann. Der Anteil der Seiteneinsteiger*innen an den Neueinstellungen ist mit einem knappen Fünftel jetzt schon hoch und wir müssen uns darauf einstellen, dass das für die nächsten zehn Jahre nicht besser wird.

Vor Ort scheint die Situation teilweise noch erheblich angespannter zu sein. So wird das Schulamt Neuruppin zitiert (in der MAZ am 8.2.2017), im Landkreis OHV sei jede zehnte Lehrkraft Seiteneinsteiger*in.

Mir sind keine Untersuchungen über die Lehrerfolge von Seiteneinsteiger*innen bekannt. Aber wir wissen sehr genau, dass fachfremd vertretener Unterricht ganz besonders zu Lasten der schlechteren Schülerinnen und Schüler geht. Diejenigen, die Hilfe ganz besonders nötig hätten, leiden überproportional darunter, wenn die Vertretungslehrkraft keine Lehrbefähigung für das unterrichtete Fach hat. Diese Untersuchungen gehen aber davon aus, dass die Vertretungskräfte ordentliche Lehrpersonen sind und die pädagogischen Grundqualifikationen genauso haben wie die didaktischen Befähigungen für eben die Fächer, für die sie eigentlich ausgebildet sind. Daraus lässt sich ableiten, was es insbesondere für die soziale Integration bedeutet, wenn der neue Lehrer oder die neue Lehrerin keinerlei pädagogische oder fachdidaktische Qualifikation mitbringt. Es ist eine Binsenweisheit, dass es nicht reicht, den Unterrichtsstoff selbst zu kennen, um eine gute Lehrerin zu sein! Aber die Misere reicht ja noch weiter: Angenommen, ein Gartenbauingenieur ist befristet eingestellt, um Biologieuntericht zu erteilen. Dann hat er vielleicht ein bisschen Ahnung von Biologie, aber noch nicht von Pädagogik oder Fachdidaktik. Da er aber einmal eingestellt ist, wird er selbstverständlich auch zum Vertretungsunterricht herangezogen. Und dann ist nicht auszuschließen, dass er noch bei weiteren Fächern landet, von denen er dann nicht einmal inhaltlich Ahnung hat, geschweige denn fachdidaktisch. (Nachzulesen in der MAZ, ebda.)

Und wenn der Schnitt im Landkreis OHV bei 10% Seiteneinsteiger*innen liegt, dann braucht es auch nicht viel Phantasie, sich auszumalen, dass die Situation in den Berlin-fernen Regionen angespannter ist als in Stadtnähe.

Und das angesichts der vielen großen Herausforderungen in unserem Bildungssystem: Wir wollen Inklusion, jahrgangsübergreifendes Lernen, einen neuen Rahmenlehrplan, Integration Geflüchteter und so manches mehr.

Also - was tun?

Würden wir die Lehrerbildungskapazitäten jetzt deutlich aufstocken, dann dauerte es a) fünf Jahre, bis die Absolvent*innen ins Referendariat kommen und noch einmal ein Jahr bis sie fertige Lehrkräfte sind und b) hätten wir keinerlei Garantie, dass die auch in Brandenburg blieben.

Eigentlich sind die Seiteneinsteiger*innen ein Segen für unser Land! Da haben wir endlich Menschen, die in ihrem Leben auch schon etwas anderes gesehen haben als nur Bildungseinrichtungen von innen. Sie haben in der Regel ihren Lebensmittelpunkt schon hier, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass sie nach ihrer Weiterqualifizierung das Bundesland verlassen, ist relativ gering. Und sie bereichern die Schulen um die Pädagogenjahrgänge, die das Ministerium damals wegen des Überhangs nicht eingestellt hat.

Ja, es gibt auch jetzt schon Qualifizierungswege für Seiteneinsteiger*innen. Aber sie werden den Anforderungen in keiner Weise gerecht. Es sind zu wenige, sie bedienen die unterschiedlichen fachspezifischen Erfordernisse genauso wenig wie die eines Flächenlandes. Wer Familie hat und berufstätig ist, kann nicht wochenlange Kurse in Potsdam belegen. Deshalb wollen wir die Beratung und die Angebote deutlich ausweiten, ein breiteres Fächerspektrum anbieten und möglichst dezentrale Weiterqualifizierung.

Aber abgesehen von dem besseren Angebot hat unser Antrag noch einen anderen Aspekt: Wir wollen auch Mindeststandards für die befristete Einstellung von Seiteneinsteiger*innen. Wer unsere Kinder unterrichtet, der oder die braucht – unabhängig von den Fachkenntnissen - ein Mindestmaß an pädagogischer Qualifizierung, das möglichst vor Beginn des Schuldienstes erworben werden sollte!

Die Tatsache, dass im Vorfeld dieser Beratung hier sowohl die CDU ihre Unterstützung signalisiert hat als auch die Koalition sich unserem Anliegen angeschlossen, lässt ja einen gewissen Reifegrad bei dem Thema vermuten. Lassen Sie uns die Ernte gründlich und schnell machen, denn auf die Früchte warten Viele.

Unser Antrag wurde angenommen.