- Es gilt das gesprochene Wort!
[Anrede]
„Mut haben, zu träumen, Mut haben, anders zu sein, und Mut haben, anzufangen und zu handeln.“ Das war das Motto der diesjährigen Europäischen Kulturhauptstadt Leeuwarden, die wir im Juni mit dem Kulturausschuss besucht haben. Leeuwarden ist die Hauptstadt der Provinz Friesland, einer innerhalb der Niederlande eher strukturschwachen Region, agrarisch geprägt, mit wenigen Unternehmen, einer strukturellen Arbeitslosigkeit, unterdurchschnittlichem BIP, mit einer Minderheitensprache namens Westfriesisch, großem Reichtum an Binnengewässern und Tourismus als wichtigem Wirtschaftszweig, obwohl die Region nicht zu denen gehört, durch die alle Welt sowieso ständig durchfährt.
Leeuwarden hat sich innerhalb der Niederlande beim Wettbewerb um den Kulturhauptstadttitel gegen bekanntere Städte wie z.B. Den Haag und Utrecht durchgesetzt, mit viel kreativem Eigensinn und dem inhaltlichen Schwerpunkt auf „Zusammenarbeit“ und „Gemeinschaft“.
Man hat erstmal 1.000 Menschen befragt, was Ihnen wichtig ist. Viele fühlten sich allein gelassen mit ihren sozialen Problemen, jetzt waren sie aufgefordert, groß zu träumen. Workshops wurden angeboten zur Entwicklung von Konzepten. Alle Projekte der Kulturhauptstadt sind aus einer Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft, Künstler*innen und Behörden heraus entstanden. 30.000 Menschen haben mitgewirkt, viele Freiwillige, Dörfer haben ihre Geschichte erzählt. Im Ergebnis hat sich die Zusammenarbeit zwischen der Stadt Leeuwarden und der umliegenden Region erheblich verbessert.
Geld wurde vor allem für die Vorbereitung und das Netzwerk aufgewendet. Zudem hat die Provinz ihre Förderpolitik geändert. Mindestens 6 Personen konnten gemeinsam bis zu 25.000 € beantragen, ohne dass eine Organisationseinheit wie bspw. eine Stiftung oder ein Verein beteiligt sein musste. In den Workshops war oft nicht Geld das Thema, sondern es ging um Anerkennung, das Netzwerk und das Marketing.
Einer der leitenden Köpfe aus dem Organisationsteam sagte uns, vor 10 Jahren wäre niemand stolz auf Leeuwarden gewesen. Jetzt fühle sich Leeuwarden wie eine neue Stadt an. Die Menschen seien stolz und optimistisch.
Das durch die Zivilgesellschaft organisierte Programm, 300-400 Veranstaltungen, hatte positive Effekte für die lokalen Gemeinschaften: Es wurde klar, dass jede und jeder eine Verantwortung für die eigene Umgebung hat.
Das kulturelle Programm geht natürlich vorüber. Was bleibt, ist die positive Erfahrung von einer Investition in Kultur, das durch die gemeinschaftlichen Aktionen entstandene Zusammengehörigkeitsgefühl und als materielle Objekte die elf friesischen Fontänen, aufgestellt in den 11 Städten Frieslands, alle von unterschiedlichen internationalen Künstlern entworfen, aber alle nach einem partizipativen Prozess innerhalb der jeweiligen Stadt.
Und noch ein Wort zum Geld: Das Gesamtbudget betrug etwa 70 Mio. Davon entfielen 1,5 Mio auf die EU, 20 Millionen kamen aus der Provinz, je ca. 6 Mio. von der Stadt Leeuwarden und dem niederländischen Staat, der Rest wurde durch Fonds und Spenden aufgebracht.
Zum Abschluss unserer Reise waren wir eingeladen beim stellvertretenden Bürgermeister und Kulturdezernent. Er erzählte, vor zehn Jahren habe es in Leeuwarden noch den „Leeuwarden Blues“ gegeben. Das Gefühl in der Stadt habe sich aber verändert. Die Einwohner hätten nun das Gefühl, in einer schönen Stadt mit freundlichen Menschen zu leben.
Wir haben ja alle schon diverse Ausschussreisen hinter uns. Manchmal sehen wir interessante Einzelaspekte in anderen Systemen, die wir mitnehmen können zu uns. Seltener ist es, dass das ganze System einen so begeistert, dass man am liebsten alles hier implementieren würde. Mir ist es z.B. so gegangen bei der Besichtigung des finnischen Bildungssystems. Aber da ist so Vieles anders, angefangen beim Grundkonsens darüber, welchen gesellschaftlichen Wert Bildung hat und wieviel Ressourcen deshalb investiert werden. Das lässt sich nicht so einfach hierher zaubern, leider. Aber bei dieser Ausschussfahrt war das anders: Was die Region Friesland aus ihrem Selbstverständnis gemacht hat, war rundum faszinierend und wir können das hier auch! Die erste Idee dazu hatte Henryk Wichmann, während unseres letzten Programmpunktes, dem Gespräch mit dem Kulturdezernenten. Begeistert hat uns das Alle.
Jetzt haben wir hier aber ja zwei Anträge. Dass das so ist, ist weniger eine Folge des kohärenten Inhalts als vielmehr unserer Bereitschaft, angesichts der strammen Tagesordnung unsere eigene Eitelkeit wenigstens ein bisschen zurück zu schrauben.
Die Anträge sind unabhängig voneinander entstanden. Was sie eint, ist der Wunsch, die Kulturpolitik in diesem Land breiter und wirksamer aufzustellen. Was sie leider auch eint, ist das Damoklesschwert der Diskontinuität – ich hätte mir gewünscht, das Konzept der Landesregierung schon im ersten Quartal 2019 zu bekommen, um in dieser Legislaturperiode noch Spielräume zu haben. Das war leider mit der SPD nicht zu machen.
Was die Anträge unterscheidet, ist, dass der Kulturort-Antrag in den Ausschuss überwiesen werden soll, um dort die Rahmenbedingungen des geplanten Ausschreibungsverfahrens zu klären.
Was sie auch unterscheidet, ist die vollkommen unterschiedliche Annäherung an das Entstehen von kulturellen Aktivitäten. Das Konzept zur Unterstützung der regionalen kulturellen Ankerpunkte wird von der Landesregierung erstellt. Sie soll bestimmen, welches diese Ankerpunkte sind und wie sie vernetzt und gefördert werden. Ähnlich wie bei dem Kulturland-Konzept, welches von Landesebene vorgegeben dann auch einzelnen Akteuren die Möglichkeit eröffnet, sich innerhalb des vorgegebenen Rahmens einzubringen. Beides ist gut und richtig.
Der Kulturort-Antrag aber will etwas Anderes: Er will Kultur von unten entstehen lassen. Das dazu nötige Startkapital soll vor allem dafür aufgewendet werden, das Vernetzungs- und Selbstaktivierungspotential des ausgewählten Ortes zu unterstützen. Die Botschaft soll nicht lauten, „Die Landesregierung fördert uns“, sondern: „Wir selbst haben uns etwas Spannendes ausgedacht“! Das hat uns noch gefehlt in Brandenburg.