Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im 20. Jahr der friedlichen Revolution ist ein sensibler Umgang mit der Zeitgeschichte unverändert notwendig. In einem Jahr, in dem die Verdienste einer protestierenden Bevölkerung gewürdigt werden, ist der gründliche demokratische Diskurs über das Unrechtssystem Staatssicherheit mehr als angezeigt.
Das sind wir den Opfern, aber auch unseren Kindern und Enkeln schuldig. Auch im 20. Jahr des Mauerfalls müssen wir konstatieren, dass die Geschichte dieser Diktatur des Proletariats auf deutschem Boden noch längst nicht aufgearbeitet ist. Die aktuellen Diskussionen zeigen, dass der Schatten der Stasi, ein zentrales Macht- und Herrschaftselement der DDR, bis in unsere Gegenwart fällt. Wir wissen, dass Kooperation mit der Stasi für politisch Aktive im Gesellschaftssystem der DDR die Regel und nicht die Ausnahme war. Dass früheres staatstragendes Funktionieren und späteres Lavieren nicht auf Brandenburg beschränkt und kein Privileg früherer SED-Mitglieder ist, zeigen die Diskussionen der letzten Monate um die Stasifragebögen und früheren Funktionen des Ministerpräsidenten von Sachsen.
Wir müssen aber die notwendige Trennschärfe wahren. Wir sind nicht der Auffassung, dass es nur graduelle Unterschiede zwischen dem Wirken in der SED, in einer Blockpartei oder anderswo gibt, wenn dieses Anderswo eine Tätigkeit für das MfS war.
In Brandenburg gibt es einige Spezifika im Umgang mit ehemaligen Mitarbeitern des MfS bei der Neubegründung unserer Demokratie nach 1989, aus denen auch ein spezieller Auftrag an uns hervorgeht. Nicht von ungefähr legte die heutige Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes Marianne Birthler ihr Ministeramt in der damaligen Ampel-Koalition aus Protest gegen den Umgang des Ministerpräsidenten Manfred Stolpe mit dem Thema "Staatssicherheit" fast auf den Tag genau vor 17 Jahren nieder. Unvergessen ist, wie hierzulande vor jeder Neuausgabe des "SPIEGEL" und damit verbundener neuer Enthüllungen gezittert wurde. Fast im 14-Tage-Rhythmus mussten dem Gedächtnis des damaligen Ministerpräsidenten längst entfallene Erinnerungen entrissen werden. Zugegeben wurde immer nur das, was schon hieb- und stichfest in den Medien dokumentiert war. Kein Wunder, dass nicht nur außerhalb des Landes der Eindruck bis in die heutigen Tage fortwirkt, dass man hierzulande nicht gar zu genau auf frühere Tätigkeiten im Dienste der Staatssicherheit sehen wollte. Die aufgeflammte Diskussion um die großzügige Übernahme ehemaliger neben- und hauptamtlicher
Stasi-Zuträger in die neugeschaffene Polizei des Landes ist eine Spätfolge der damals geübten Praxis. Von daher wird das Thema Stasi mit einer Überprüfung der Landtagsabgeordneten nicht abgeschlossen sein.
(Schulze [SPD]: Das ist falsch, was Sie sagen!)
Als weiterer Schritt muss die wissenschaftliche und politische Aufarbeitung des Übernahmeverfahrens von Mitarbeitern der Stasi für den gesamten öffentlichen Dienst, einschließlich der Kommunen, im Land stehen. Hierzu werden wir in den nächsten Monaten die Einrichtung einer Enquetekommission vorschlagen.
(Platzeck [SPD]: Das sind die Probleme dieses Landes!)
Lassen Sie mich an dieser Stelle deutlich sagen: Wir teilen dezidiert nicht die Auffassung, dass es bereits einen Verrat an der friedlichen Revolution von 1989 bedeutet, wenn die SPD sich einen anderen Koalitionspartner sucht. Wir halten nichts davon, die Linke aus dem Spektrum der demokratischen Parteien auszugrenzen. Es geht uns bei unserer Forderung nach Überprüfung der Abgeordneten definitiv nicht um die Stigmatisierung einer einzigen Partei, sondern um die Ansprüche, die wir als Abgeordnete an uns selbst stellen.
Wir wissen, dass es unterschiedliche Grade der Zusammenarbeit mit der Stasi gab und nicht jeder IM Schaden für andere hervorgerufen hat. Insofern kann es auch gar nicht darum gehen, alle damaligen IMs über einen Kamm zu scheren. Wer sich schuldig gemacht hat, ist aufgefordert, seinen Beitrag zur Aufklärung und zur Versöhnung zu leisten. Verlangen kann man aber, dass eine Tätigkeit für das MfS öffentlich gemacht wird, um eine öffentliche Auseinandersetzung über das Wirken der betreffenden Landtagsabgeordneten und deren ureigenen Umgang mit ihrer persönlichen Biografie nach 1989 zu ermöglichen. Ich räume ein: Viele von uns gruselt es, neben einem Landtagsabgeordneten zu sitzen, der 12 Jahre Schließer in einem Stasi-Gefängnis war. Die öffentliche Auseinandersetzung um seinen Lebenslauf können und wollen wir ihm nicht ersparen. Im Gegensatz zu Sachsen oder Thüringen sehen wir aber keine Rechtfertigung dafür, dass eine Parlamentsmehrheit frei gewählten Abgeordneten das Mandat entziehen kann. Wenn im Rahmen einer Überprüfung bislang unbekannte Tatbestände bekannt werden, so ist es Aufgabe der betroffenen Fraktionen und Parteien, daraus Konsequenzen zu ziehen.
Nach unserem Gesetzentwurf soll der Landtagspräsident ermächtigt werden, die notwendigen Auskünfte bei der Stasiunterlagenbehörde einzuholen. Dies geht nur auf Grundlage eines Gesetzes, für das wir hiermit einen Entwurf vorgelegt haben. Der Ansatz einer freiwilligen Überprüfung, wie von der CDU vorgeschlagen, kann unseres Erachtens nur ein allererster Schritt sein. Unser Gesetzentwurf ist ein erster Vorschlag, der in den weiteren parlamentarischen Beratungen weiterqualifiziert werden kann. In diesem Sinne bitte ich um Zustimmung zur Überweisung dieses Antrags an den Ausschuss. Ich sage aber auch:
Wir begrüßen ausdrücklich, dass trotz aller Bedenken zur konkreten Wortwahl die SPD und die Linke sich ebenfalls für eine Überprüfung aussprechen, und unterstützen diesen Antrag auch. - Herzlichen Dank.