- Es gilt das gesprochene Wort !
Anrede!
Von Mark Twain ist folgendes Zitat überliefert: „Es ist schon ein großer Trost bei Wahlen, dass von mehreren Kandidaten immer nur einer gewählt werden kann.“
Das gilt aber nicht für Brandenburg, da wird gar keiner gewählt.
Die Fakten sind bekannt: am 14. April 2013 scheiterte im Landkreis Teltow Fläming in der Stichwahl erneut eine Direktwahl der Landräte. Die siegreiche Bewerberin erhielt zwar zwei Drittel der abgegebenen Stimmen, verfehlte das Zustimmungsquorum von 15% der Wahlberechtigten aber denkbar knapp um 541 Stimmen. Damit fällt zum sechsten Mal nach Einführung der Direktwahl 2010 die Wahl an den Kreistag zurück. Außer in Teltow-Fläming scheiterte die Wahl im Barnim, in Elbe-Elster, in Ostprignitz-Ruppin, in Spree-Neiße und in der Uckermark am Quorum. Nur im Kreis Oberspreewald-Lausitz wurde am 24.1.2010 Siegurd Heinze (parteilos, für die CDU) in der Stichwahl direkt gewählt.
Die Wahlbeteiligung lag bei der Wahl in Teltow Fläming mit 30,1% bzw 22,7% in der Stichwahl im gleichen Bereich wie bei den Landratswahlen Anfang 2010. Damals wurden maximal 37,6% beim 1. Wahlgang in der Uckermark und minimal 20,5% bei der Stichwahl im Barnim verzeichnet. Dass die Wahlbeteiligung bei Stichwahlen nochmals deutlich geringer ausfällt, ist eine weitverbreitete Beobachtung. Dass aber Wahlen „scheitern“ können und an den Kreistag zurückfallen, ist ein spezifisch brandenburgisches Phänomen. In anderen Bundesländern reicht die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn man so will ein Quorum von 50%. Brandenburg hat als doppelte Absicherung ein zusätzliches Zustimmungsquorum eingebaut, welches sonst nur aus der Volksgesetzgebung oder bei der Abstimmung über Bürgerentscheide auf kommunaler Ebene üblich ist.
Die Direktwahl der Landräte wurde in Deutschland flächendeckend seit Beginn der neunziger Jahre eingeführt mit Ausnahme von Bayern, wo sie seit Jahrzehnten verankert ist und Baden-Württemberg, wo sie die grün –rote Landesregierung 2014 auf der Agenda hat. Brandenburg hat sich erst spät zur Direktwahl durchgerungen, 2007 wurde sie in die neue Kommunalverfassung aufgenommmen und zum 1.1.2010 in Kraft gesetzt. Um die Legitimation der Gewählten zu erhöhen, wurde das im Kommunalwahlsystem einmalige Zustimmungsquorum eingebaut. Dessen Implementierung verdanken wir vorwiegend der sich gegen die Direktwahl massiv sträubenden SPD. Sie stand aber auch unter dem Eindruck, dass Schleswig-Holstein 1998 die Direktwahl unter Verweis auf niedrige Wahlbeteiligungen wieder abgeschafft hatte.
Die Verbindung von Quorum und niedriger Wahlbeteiligung hat eine Direktwahl in Brandenburg also fast regelhaft verhindert. Dem Souverän wird das Wahlrecht entzogen, die KreisbürgerInnen werden „bestraft“, wenn sie von ihrem Wahlrecht keinen Gebrauch machen. Dies wirft zahlreiche Fragen auf, insbesondere da wir in unserem Staatswesen keinerlei Wahlpflicht verankert haben. Das Wahlrecht fällt an die Kreistage zurück, die auch nicht unbedingt auf üppige Wahlbeteiligung verweisen können. Außerdem ist eine Konkurrenz um die Wahlfunktion in der politischen Landschaft Deutschlands absolut ungewöhnlich; ein Vorrecht einer Vertretung auf die Wahl der Verwaltungsspitze lässt sich nicht begründen. Richtig fragwürdig wird es, wenn der Landrat wie 2010 im Barnim per Los gewählt wird, weil in zwei Wahlgängen im Kreistag keine absolute Mehrheit zustande gekommen ist. Im Fall von Teltow-Fläming muss zusätzlich bemängelt werden, dass die Zusammensetzung des Kreistages auf der Kommunalwahl von 2008 beruht und den Verschiebungen im Wählerwillen durch die Korruptionsvorfälle in jüngerer Zeit nicht Rechnung trägt. Die durch die Skandale in ihrer Hochburg schwer angeschlagene SPD profitiert davon, dass sie fünf Jahre zuvor stärkste Fraktion geworden ist und ein Kreistag, der bald zur Neuwahl ansteht, entscheidet über die Verwaltungsspitze für die nächsten acht Jahre. Da von mehr Legitimität zu sprechen grenzt schon an Zynismus!
Natürlich sind niedrige Wahlbeteiligungen demokratietheoretisch nicht schön, sie sind aber auch kein Drama! Verfassungsrechtlich ist eine niedrige Wahlbeteiligung für die Wahl von Bewerbern irrelevant, solange das Mehrheitsprinzip eingehalten wird. Die notwendige Legitimation der Gewählten ist schon allein dadurch gewahrt, dass alle Wahlberechtigten sich an allgemeinen und freien Wahlen beteiligen können.
Seit Beginn der neunziger Jahre wird auf allen föderalen Ebenen ein Absinken der Wahlbeteiligung beobachtet. Dabei mobilisieren Bundestagswahlen mehr als Landtagswahlen und diese mehr als Kommunalwahlen. Die Personalentscheidungen in der Kommune haben in der Regel eine geringere Wahlbeteiligung als Kommunalwahlen allgemein und am Ende der Skala liegen die Europawahlen.
Es gibt dafür viele Erklärungsversuche, die Gründe sind sicher vielschichtig. Neben Krisenszenarien vom Untergang unserer Demokratie und der vielzitierten „Politikverdrossenheit“ wird aber von manchen Forschern auch ins Feld geführt, dass der Rückgang der Wahlbeteiligung als ein Normalisierungsprozess in modernen demokratisch gefestigten Gesellschaften aufgefasst werden kann. Wahlenthaltung ebenso wie Mitgliederschwund bei Parteien und Gewerkschaften heißt nicht automatisch Unzufriedenheit mit dem politischen System, sondern wird als Ausdifferenzierung von Lebenslagen und Lebensstilen bewertet. Niedrige Wahlbeteiligungen sind im übrigen auch bei anderen Wahlen zu beobachten: Jüngst wurde in Kiel die Oberbürgermeisterin mit einer Wahlbeteiligung von 31,9% gewählt, in Frankfurt/Oder lag die Wahlbeteiligung bei 39,1%, in Fürstenwalde gar bei 27,8%.
Wir halten fest: ein Zustimmungquorum ist zur Legitimation von Landratswahlen überflüssig!
Darüber hinaus hat es auch keinerlei mobilisierende Wirkung, das Gegenteil ist der Fall! Bürger, die bei zwei Wahlgängen ihre Stimme abgegeben haben, werden praktisch mit der Annullierung der Wahl bestraft und frustriert. Wahlabstinenz wird indirekt belohnt und kann als taktisches Mittel eingesetzt werden. Auch ein überzeugender Wahlsieg mit Zweidrittelmehrheit wird zur Niederlage, weil die Gewinnerin von einer willkürlichen Marge ausgebremst wird. Ein solches System dient nicht zur Legitimierung, sondern es dient der Besitzstandswahrung vornehmlich der SPD und gehört umgehend abgeschafft. In Brandenburg ist nicht die Direktwahl der Landrätinnen, sondern ein bundesweit einmaliges überflüssiges Quorum gescheitert!
Wir GRÜNEN wollen nicht nur das willkürliche Quorum abschaffen, sondern wir wollen effektive Wahlrechtsveränderungen zur Steigerung der Beteiligung. Während das Zustimmungsquorum definitiv nicht zum Instrumentenkasten zur Steigerung der Wahlbeteiligung gehört, ist die fördernde Wirkung von Zusammenlegung unterschiedlicher Wahlen eindeutig belegt. Da die Koinzidenz von LandrätInnenwahlen und Bundestags- oder Landtagswahlen nur in Ausnahmefällen vorkommen wird, ist eine systematische Synchronisierung der Wahlen von HauptverwaltungsbeamtInnen und kommunalen Vertretungen herzustellen. Diese bilden eine politische Verantwortungsgemeinschaft und sollten gemeinsam und für dieselbe Wahldauer gewählt werden. Der positive Effekt ist in Bayern zu beobachten, wo eine seit Jahrzehnten eingeführte gemeinsame Wahl Beteiligungen von durchschnittlich über 50% generiert. In NRW wurde im März die gemeinsame Wahl für 5 Jahre ab 2020 von rot-grün wieder eingeführt. Die Trennung der Wahlzeiten durch schwarz-gelb wurde dort von dramatisch abnehmenden Wahlbeteiligungen bei einzelnen isolierten BürgermeisterInnen- und LandrätInnenwahlen quittiert und wird retrospektiv auch von der CDU als schwerer Fehler angesehen. In NRW wurde im März auch das umstrittene Zustimmungsquorum für EinzelbewerberInnen abgeschafft und die Stichwahl wieder eingeführt.
Wir GRÜNEN weisen die Forderungen der SPD nach Abschaffung der Direktwahlen für LandrätInnen wie auch 2010 entschieden zurück. Die SPD hat auch keinerlei Legitimitätsprobleme damit, dass bei Landtags- und Bundestagswahlen Direktmandate nur mit äußerst schmalen relativen Mehrheiten vergeben werden. Nein, da kokettiert sie als größte Partei in Brandenburg mit dem Gewinn aller Direktmandate 2013. Dass Frau Wehlan nicht Landrätin werden kann – wir hatten übrigens in Brandenburg noch nie eine Landrätin(!) – das findet sie legitim. Hinter der Forderung nach Abschaffung der Direktwahlen steckt weniger die Sorge um unsere Demokratie als Sorgen um die eigenen Pfründe.
Wir GRÜNEN wollen, dass BürgerInnen, die sich beteiligen – ob bei Wahlen oder in anderen Mitwirkungsprozessen – ernst genommen werden! Wir wollen Demokratie stärken, nicht dem Souverän das Wahlrecht entziehen. Wenn eine Direktwahl immer wieder am Quorum scheitert, dann wollen wir das Quorum und nicht die Direktwahl abschaffen. Zur erwünschten Steigerung der Beteiligung sprechen wir uns für eine Synchronisierung von Bürgermeister- und Landrätinnenwahlen mit Kommunalwahlen bei einer Wahlperiode von 5 Jahren aus.