Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kollegen und Kolleginnen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Bisher hat sich die Landesregierung geweigert, einen Winterabschiebestopp für Angehörige diskriminierter Minderheiten sowie gegen Abschiebungen in Kälte und Lebensgefahr zu verfügen. Als Begründung wurde angeführt, dies sei nicht nötig. Man halte sich an das geltende Aufenthaltsrecht; danach seien Abschiebungen bei konkreter Gefahr für Leib, Leben und Freiheit verboten. Diese konkrete Gefahr schließe auch extreme Witterungsbedingungen in den Heimatländern ein.
Wir hingegen erfahren beispielsweise von dem Fall einer Roma-Familie, deren Abschiebung am Flughafen Tegel nur noch in letzter Minute verhindert werden konnte. Die Mutter ist krank und als besonders schutzbedürftig einzustufen. Die Kinder gehen seit zwei Jahren in Deutschland in die Schule. Die Familie ist gut integriert. In Serbien erwartet sie als Angehörige einer diskriminierten Minderheit ein Leben ohne Unterkunft und ohne Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung - und dies im tiefsten Winter. Ich frage mich, ob hier eine Einzelfallprüfung nach dem Aufenthaltsgesetz, die konkrete Gefahren und Witterungsbedingungen berücksichtigt, stattgefunden hat.
Das Beispiel zeigt, dass nur mit einem generellen Winterabschiebestopp, den wir Bündnisgrüne, ähnlich wie auch Vertreter von Flüchtlingsverbänden, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, schon seit langem fordern, solche Fälle vermieden werden können. Angehörige von Minderheiten wie Roma, Ashkali, Ägypter oder Goranen sind in ihren Herkunftsländern einer umfassenden gesellschaftlichen Diskriminierung sowie physischer Misshandlungen von staatlicher und nichtstaatlicher Seite ausgesetzt.
Sie müssen in illegalen Barackensiedlungen leben, wo sie keinen Zugang zu Bildung, medizinischen Diensten, Wasser- und Abwasserversorgung haben. Zudem gibt es für sie kaum Möglichkeiten, sich durch Arbeit selbst zu ernähren. Die Registrierung als Arbeitsuchende wird ihnen verwehrt.
Die gesundheitliche Situation, insbesondere von Frauen, Kindern und alten Menschen, ist als besonders besorgniserregend einzustufen. Dies hängt auch damit zusammen, dass Angehörige von Minderheiten nicht die erforderlichen Papiere haben, die ihnen den Zugang zu medizinischen Dienstleistungen ermöglichen.
Die Wohnbedingungen sind katastrophal. Roma-Siedlungen sind weder an das örtliche Stromnetz, die Wasserversorgung noch an das Abwassernetz angeschlossen. Die Wohneinheiten bestehen aus Holzbaracken, die durch die Witterungsverhältnisse zum Teil schwer beschädigt sind. In den Wintermonaten verschärfen sich die Lebensbedingungen schutzbedürftiger Menschen daher dramatisch. Außerdem hat die Flutkatastrophe im Westbalkan diese Situation weiter zugespitzt. Viele der provisorischen Siedlungen sind insbesondere von der Zerstörung durch Hochwasser und Erdrutsche betroffen.
Meine Damen und Herren! Zum fehlenden Zugang zu einer funktionierenden Infrastruktur kommt hinzu, dass Angehörige von Minderheiten in den betroffenen Regionen massiver rassistischer Gewalt ausgesetzt sind. Von privater Seite sind Roma, Ägypter und Ashkali häufig Opfer rassistischer Übergriffe und Einschüchterungsversuche. Aber auch von staatlicher Seite wird gegen diese rassistische und rechtsextreme Gewalt nur unzureichend vorgegangen. Vielmehr sind Staaten selbst Urheber von Menschenrechtsverletzungen, indem sie Roma-Siedlungen zwangsräumen lassen und Personen, die ihre Unterkunft verlassen müssen, keinen angemessenen alternativen Wohnraum anbieten.
Gerade in diesem Zusammenhang sollte sich Deutschland seiner historischen Verantwortung für Roma bewusst sein und Menschen, die anderenorts rechtsextremer Gewalt ausgesetzt sind, in Deutschland eine Chance geben. Wir haben darüber sehr ernsthaft anlässlich der Verfassungsänderung zur Antirassismusklausel diskutiert, wie Sie sich sehr gut erinnern werden.
Der generelle Winterabschiebestopp, den wir fordern, soll aber nicht nur Minderheiten vor einer Abschiebung schützen. In vielen Ländern kann derzeit aufgrund der winterlichen Verhältnisse nicht gewährleistet werden, dass die Betroffenen dort ein Leben in Sicherheit und Würde erwartet. Aus diesem Grund hat die Landesregierung in Schleswig-Holstein einen generellen Winterabschiebestopp für die Staaten Afghanistan, Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Irak, Iran, Kosovo, Mazedonien, Russische Föderation, Serbien, Türkei, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Pakistan und die Ukraine erlassen. Nur schwere Straftäter sollen vom Abschiebestopp ausgenommen werden.
Thüringen beschloss unmittelbar nach Regierungsantritt einen generellen Abschiebestopp nach dem Vorbild Schleswig-Holsteins. Die rot-rote Landesregierung in Brandenburg sollte sich aus humanitären Gründen diesem Ansinnen anschließen und ab sofort einen Winterabschiebestopp erlassen.
(Beifall B90/GRÜNE)
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen! Ihr Entschließungsantrag bestätigt eigentlich nur unsere Kritik. Sie behaupten, die Ausländerbehörden würden Aufenthaltsrecht beachten und jeden Einzelfall ausreichend prüfen. Dies ist aber nicht immer die Realität.
Sie sagen, Sie möchten die Rückkehrberatung und die freiwillige Ausreise intensivieren. Von Flüchtlingsorganisationen hören wir jedoch von Fällen, in denen Menschen unter Androhung einer Abschiebung zu einer freiwilligen Ausreise gedrängt werden. Das alles hat nichts mit Freiwilligkeit zu tun.
Der Entschließungsantrag zeigt uns außerdem, dass Sie es sich lieber kompliziert machen und sich hinter Worthülsen verstecken, indem Sie die Landesregierung dazu auffordern, „entsprechende Regelungen und Vorschriften mit entsprechenden Vorgaben zur Organisation und Durchführung des Rückführungs- und Rücküberstellungsvollzugs (Abschiebung) zu erlassen sowie sich auf Bundes- und europäischer Ebene für eine Verbesserung der Lebensbedingungen von Minderheiten (…) einzusetzen.“
Letzteres ist sicherlich richtig, aber man kann doch auch einfach einem klaren Antrag auf Winterabschiebestopp zustimmen, ohne sich gleich ins Intergalaktische zu flüchten. - Vielen Dank.
(Beifall B90/GRÜNE sowie der fraktionslosen Abgeordneten Schulze und Vida)
Das Wort erhält erneut die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. als Antragsstellerin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zuerst einmal bei den Kollegen der Fraktionen von SPD, DIE LINKE und CDU und auch bei Herrn Innenminister Schröter für die mit großem Ernst geführte Debatte angesichts eines doch humanitären Problems bedanken. Dass wir hier so einvernehmlich darüber reden können, auch wenn wir unterschiedliche Positionen haben, ist eine gute Botschaft.
(Beifall B90/GRÜNE, DIE LINKE sowie vereinzelt SPD)
Uns - und mir speziell - war klar, dass das, was Frau Johlige für die Linksfraktion ausgeführt hat, hier zum Thema gemacht worden ist: die Rolle von Herrn Kretschmann, auch die Rolle von einigen rot-grünen Bundesländern. Ich möchte ganz klar sagen: Unsere Fraktion hat schon in der Flüchtlingsdebatte im Dezember keinen Zweifel daran gelassen, dass wir mit dem Konzept des sicheren Herkunftsstaats im Balkan - der Ausweisung von Bosnien-Herzegowina, Serbien und Mazedonien als sichere Herkunftsländer - ausgesprochen kritisch umgehen und das als sehr schmerzlich empfinden. Wir sehen auch durchaus die Rolle von Baden-Württemberg - das will ich überhaupt nicht beschönigen -, aber das ist für uns kein Grund, dass wir hier im Land Brandenburg dieses Problem nicht thematisieren werden, auch wenn wir wissen, dass wir uns damit Kritik oder auch Häme oder Ähnlichem aussetzen. Wir haben immerhin zwei Bundesländer, die diesen alternativen Weg beschreiten.
Herr Kollege Lakenmacher hat zitiert, dass es nach Gesetzeslage möglich ist, für längstens sechs Monate Abschiebungen auszusetzen. Von diesem Ermessensspielraum kann man als Landesregierung Gebrauch machen. Das ist das, was ich in verschiedenen Fällen unserer rot-roten Koalition schon öfter gesagt habe und hier immer wieder sage: Man kann in bestimmten Fällen auf die Bundeslage verweisen, man kann auch auf die Lage im europäischen Recht verweisen. Man kann aber auch solche Spielräume gerade hier in Brandenburg ausnutzen, und darauf wollten wir hinweisen. - Vielen Dank.
(Beifall B90/GRÜNE)