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Ursula Nonnemacher spricht zum Entwurf des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Der demografische Wandel und die sich ändernde Bevölkerungsstruktur im Land beschäftigen nicht nur unsere staatliche Ebene, sondern auch viele Organisationen in Brandenburg.

Ich war in den letzten Monaten viel im Land unterwegs, insb. um mit der Basis meiner Partei über diese Probleme zu diskutieren. Vor welchen Herausforderungen stehen wir, wenn z.B. der Anteil junger Menschen unter 15 Jahren bis 2030 gegenüber 2010 um weitere 25,5% im Landesdurchschnitt abnimmt und die Anzahl der über 65jährigen um 50% wächst? Welche Folgen hat es, wenn zahlreiche Gemeinden damit zu rechnen haben, dass ihre Einwohnerzahl um bis zu einem Drittel in nur 20 Jahren sinken wird, während nur wenige Städte und Gemeinden im Umland von Berlin mit Wachstumsraten im zweistelligen Prozentbereich rechnen können? Wie schaffen wir es vor diesem Hintergrund im ganzen Land gleichwertige Lebensverhältnisse zu erhalten, wenn wir erwarten können, dass sich nach dem Auslaufen des Solidarpakts die finanzielle Ausstattung unseres Landes sicherlich nicht verbessern wird, sondern wir mit weniger Transfermitteln vom Bund und aus dem Länderfinanzausgleich rechnen müssen?

Diese konkreten Fragen stellen sich nicht nur Abgeordnete, LandrätInnen und BürgermeisterInnen, sondern viele Institutionen, Vereine und Verbände.

Die Folgen dieses Wandels spüren die Menschen schon jetzt in ihrem konkreten Lebensumfeld und sie gestalten ihn mit – nicht in dem sie jammern und mehr Geld vom Land fordern, sondern indem sie die Strukturen ihrer Organisationen an die Lebensrealitäten anpassen.

Bei meiner Tour haben wir dann unter anderem auch über Fußball gesprochen, denn auch am Sport geht der demografische Wandel nicht vorbei. Zum ersten Juli letzten Jahres hat der brandenburgische Fußballverband nach intensiven Diskussionen eine Verbands- und Spielklassenreform in Kraft gesetzt. Es waren aufgrund der demografischen Entwicklung nämlich schlicht und ergreifend nicht mehr genügend Mannschaften vorhanden, um einen regulären Spielbetrieb aufrecht zu erhalten. Aus vorher 17 Fußballkreisen wurden nur noch 8. Das Ergebnis war offensichtlich kein Zusammenbruch des Fußballs in Brandenburg, sondern im Gegenteil. Beobachter bezeichnen die Umstrukturierung als Erfolg. Sebastian Morgner schrieb in der MAZ vom 29.6.2015: „Die Fusion hat sich gelohnt. Man lernt neue Spieler und Trainer kennen. Neue Sportplätze, neue Schiedsrichter. Das Niveau der Liga wurde gehörig durcheinander gewirbelt. Oft ging die Formkurve dabei nach oben.“

Auch in der evangelischen Kirche gab es in den letzten Jahren zahlreiche Neustrukturierungen von Kirchengemeinden und Kirchenkreisen, die im Wesentlichen Fusionen waren.

Ich glaube, die BürgerInnen sind oftmals schon in ihrer Erkenntnis viel weiter, als wir es glauben wollen. Die BrandenburgerInnen sind bereit, althergebrachte Strukturen immer wieder darauf zu überprüfen, ob sie noch zeitgemäß und sinnvoll sind. Sie sind bereit, Reformen nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern auch mitzugestalten, wenn die Richtung stimmt. Das Motto „Ich will so bleiben, wie ich bin“ taugt als Reklame für Diätmargarine; für die Reform taugt es nicht!

Diese nüchterne Sicht auf die Realitäten hat uns in der letzten Legislaturperiode auch die meiste Zeit fraktionsübergreifend in der Enquetekommission „Kommunal- und Landesverwaltung – bürgernah, effektiv und zukunftsfest – Brandenburg 2020“ verbunden. Es ist deshalb kein Wunder, dass sich viele Empfehlungen des Abschlussberichts auch in dem Leitbildentwurf der Landesregierung für die Verwaltungsstrukturreform 2019 wiederfinden.

Obwohl also bei der Analyse der Probleme in unserem Land durchaus Einvernehmen besteht, obwohl die Menschen sich sinnvollen Anpassungen überhaupt nicht verweigern und obwohl andere Länder wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Sachsen ihre Verwaltungsstrukturen längst verändert haben, muss der Auftakt des Reformvorhabens zu Beginn dieser Wahlperiode als missglückt betrachtet werden.

Der Schwung der Enquete 5/2 mit ihren landesweit beachteten Vorschlägen wurde durch die Bundestagswahl 2013 und insbesondere die Landtagswahl 2014 jäh unterbrochen, das Thema als Wahlkampfkiller geräuscharm beerdigt. Umso überrumpelter fühlten sich viele, als nach den Koalitionsverhandlungen auf einmal eine Verwaltungsstrukturreform das große Reformthema der rot-roten Landesregierung war. Und dann auch noch das einzige.

Durch diese Überrumplungsstrategie fühlen sich viele BürgerInnen vor den Kopf gestoßen. Und auch in den eigenen Reihen wurde auf geradezu fahrlässige Art und Weise versäumt Überzeugungsarbeit zu leisten, wie die vielen kommunalen Resolutionen zeigen. Wer die Menschen im Land mitnehmen und überzeugen will, der muss doch die eigenen Anhänger von der Notwendigkeit und Stoßrichtung des Vorhabens überzeugt haben!

Dass die Koalitionsfraktionen den Umfang und die Tragweite der im Leitbildentwurf enthaltenen Vorschläge noch immer nicht richtig einschätzen, hat die Diskussion im Ausschuss für Inneres und Kommunales letzte Woche gezeigt. Wer die Begleitung des Diskussionsprozesses zum Leitbild im zuständigen Fachausschuss auf die Frage der Funktionalreform begrenzen will, wird Schiffbruch erleiden. Wer das Vorhaben allein aus der Funktionalreform begründen will, auch. Die im Land hochkontroversen Themen wie Einkreisung, Kreisneugliederung und zunehmend auch Gemeindegebietsreform dürfen nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Gerade weil die Enquetekommission die Frage der Einkreisung kreisfreier Städte nicht abschließend klären konnte, gehört eine vertiefte und zielgerichtete Prüfung dieser Frage ganz nach oben auf die Tagesordnung des Ausschusses. Das gilt auch für die Teilaspekte „Kriterien für eine Kreisgebietsreform“, „Stärkung der bürgerschaftlichen Mitwirkungs- und Entscheidungsmöglichkeiten auf kommunaler Ebene“ und ganz besonders auch für die finanziellen Folgen und die finanziellen Erfordernisse für die Umsetzung der Verwaltungsstrukturreform. Liebe rot-roten Koalitionäre, wenn Sie diese Reform wirklich ernst nehmen, dann verhindern sie nicht eine Diskussion zu den wirklich wichtigen Fragen. Eine solche Strategie kann nur nach hinten losgehen und wird zu nichts führen. Wer im Sommer 2016 ein endgültiges Leitbild verabschieden will, ohne sich diesen Diskussionen auf allen Ebenen, gestellt zu haben, dem wird die Luft ausgehen!

Anrede

Ein Vorteil dieses Leitbildentwurfs ist sicherlich die Tatsache, dass er sehr schlank geraten ist und versucht wurde, eine verständliche Sprache anzuschlagen. Darin liegt aber nach meinen bisherigen Erfahrungen aus den Diskussionen im Land auch eine Schwachstelle: Die Regierung versucht den Spagat hinzukriegen, einerseits zu beschreiben, dass Brandenburg ein großartiges Land ist, das sich in den letzten 25 Jahre prima entwickelt hat, und andererseits darzustellen, dass aber jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, Strukturreformen durchzuführen. Das kann auf dreieinhalb Seiten nicht nachvollziehbar funktionieren.

Wenn unvermittelt und ohne Erklärung von „Front- und Backoffice-Lösungen“, von einem „Mehrbelastungsausgleich“ oder einem „Standardanpassungszuschusses“i die Rede ist, ist die gewollte Verständlichkeit schnell vorüber. Hier sehe ich einen ersten Änderungsbedarf. Auch die Liste mit den Aufgaben des Landes, die in Zukunft auf die kommunale Ebene übertragen werden soll, ist erklärungsbedürftig. Weder werden die Folgen benannt, noch wird deutlich, welcher personelle und finanzielle Aufwand hinter diesen Aufgaben steht.

Aber auch inhaltlich haben wir einige Kritikpunkte!

Bei der Funktionalreform besteht gerade bei kleinteiligen Aufgaben die Kunst darin, das Gleichgewicht zwischen Fachlichkeit und Dezentralität zu wahren. Das hat das Gutachten von Prof. Bogumil für die Enquetekommission sehr deutlich herausgearbeitet. Die Landesregierung hat in ihrem Leitbildentwurf in der Anlage 2 im wesentlichen alle Vorschläge zur Kommunalisierung der Enquetekommission übernommen und darüber hinaus auch Bereiche hinzugefügt, bei denen die Kommission noch einen vertieften Prüfungsbedarf sah. Eine Erklärung, warum vor diesem Hintergrund die Genehmigung und Überwachung von Anlagen nach der Immissionsschutzverordnung (Nr. 10) oder Genehmigungs- und Überwachungsverfahren im Bereich Wasserwirtschaft und Wasserversorgung sowie Abwasserangelegenheiten (Nr. 11) in den Katalog aufgenommen wurde, gibt die Landesregierung nicht. Gleiches gilt für Straßenverkehrsrechtsangelegenheiten (Nr. 16).

Aus Gründen der Wahrung der Fachlichkeit und wegen der Gefahr der wachsenden Beeinflussbarkeit sollten der Natur- und Umweltschutz sowie der Denkmalschutz und spezialisierte Teile der Sozialverwaltung nicht vollständig auf die Kreise übertragen werden, sondern auch Landesaufgabe bleiben. So, wie es unter anderem der Gutachter Prof. Bogumil empfohlen hat.

Denn gerade dort besteht die Gefahr eines Übergewichts von Wirtschaftsinteressen bei Entscheidungsprozessen gegenüber den schutzwürdigen Belangen. Insb. für den Bereich der Genehmigung von Tierhaltungsanlagen melde ich höchste Bedenken gegen eine Kommunalisierung an.

Im Bereich der Funktionalreform II, also der Übertragung kreislicher Aufgaben auf die Gemeindeebene, fällt auf, dass der Katalog der zu übertragenden Aufgaben deutlich geringer ausfällt, als es die Enquetekommission vorgeschlagen hat. Hier sehe ich Erklärungsbedarf bei der Landesregierung, warum einige Aufgaben nicht auf eine gestärkte Gemeindeebene übergehen sollen (z.B. Örtliche Rechnungsprüfung, Bekämpfung der Schwarzarbeit, Aufgaben der Versicherungsämter, Durchführung Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, Anerkennung und Entzug kleingärtnerischer Gemeinnützigkeit, Ausgabe von Fischereischeinen).

Anrede

Wir unterstützen den Grundsatz der Subsidiarität der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben und waren sehr froh, dass die Enquetekommission bei einer Kommunalisierung von Landesaufgaben den Grundsatz einer echten Kommunalisierung aufgestellt hat, also Aufgaben vorzugsweise als Selbstverwaltungsaufgaben definiert werden sollen. Dies kann die kommunale Ebene und die lokale Demokratie nachhaltig stärken. Die Formulierung im Leitbildentwurf ist restriktiver und lässt meine Befürchtungen wachsen, dass die Landesregierung wohl am liebsten demokratische Beteiligung bei der Erfüllung von Aufgaben vermeiden will und die LändrätInnen und OberbürgermeisterInnen als untere Landesbehörde stärken will, um eine Beteiligung von Kreistagen und Stadtverordnetenversammlungen zu verhindern. Wir Grünen stehen zwar einer Verwaltungsstrukturreform aufgeschlossen gegenüber, das Ergebnis darf aber keine Landräterepublik sein!

Anrede

Meine Fraktion sieht den Bedarf, auf Ebene der Landkreise zu Änderungen zu kommen. Wir halten eine MindesteinwohnerInnenzahl von 150.000 bei einer Flächenobergrenze von 4.500 km² für sinnvoll. Bei den kreisfreien Städten Brandenburg/ Havel, Cottbus und Frankfurt (Oder) sehen wir die größte Herausforderungen darin, deren Funktion als Oberzentrum für ihre Region zu gewährleisten und ihre eingeschränkte finanzielle Handlungsfähigkeit wieder herzustellen. Im Fall einer Einkreisung sollten ihnen deshalb einige kreisliche Aufgaben (Jugendhilfe, Verkehr, Bauen, Kultur) erhalten bleiben und sie müssen Hauptsitz der Kreisverwaltung werden.

In diesem Zusammenhang muss es dann auch zu tragfähigen Lösungen bei den Kommunalfinanzen kommen, insb. bei der Frage der Teilentschuldung. Eine Teilentschuldung aus der Verbundmasse halten wir für kontraproduktiv.

Der Vorschlag zur Bildung der brandenburgischen Amtsgemeinde geht auf ein von der bündnisgrünen Fraktion in Auftrag gegebenes Gutachten zurück. Die brandenburgische Amtsgemeinde entspricht den Verbandsgemeinden in anderen Bundesländern und zeichnet sich im Vergleich zu dem derzeit bestehenden Amt durch eine direkt gewählte Vertretung aus. Die Amtsgemeinden haben einen klar umrissenen und gesetzlich festzulegenden Aufgabenkatalog. Wir sind sehr froh, dass diese Möglichkeit jetzt auch in Brandenburg eröffnet werden soll. Die zusätzlich eingefügte Option einer Mitverwaltung einer Gemeinde durch eine andere Gemeinde halte ich für entbehrlich. Zwei Modelle gemeindlicher Hauptverwaltungen, nämlich die Einheitsgemeinde und die Amtsgemeinde, reichen aus.

Kommen wir zuletzt noch zu einem Aspekt, der erwartungsgemäß im Leitbildentwurf fast vollständig ausgeblendet wurde: die Stärkung der demokratischen Mitwirkungs- und Beteiligungsmöglichkeiten. Man kann schon fast eine Phobie der Landesregierung vor mehr direkter Demokratie feststellen. Aber gerade die Stärkung von Beteiligungsrechten muss eine Verwaltungsstrukturreform flankieren und verhilft ihr zu mehr Akzeptanz.

Von unserer Fraktion kann es keine Zustimmung zu einer Verwaltungsstrukturreform geben, wenn es nicht zu Verbesserungen der Mitwirkungmöglichkeiten auf kommunaler Ebene kommt.

Anrede

Das nächste Jahr bis zum Beschluss über das Leitbild wird ein außergewöhnlich spannendes Jahr werden. Die Debatte über die zukünftige Struktur des Landes wird kontrovers geführt werden. Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen wird sich kritisch, aber kontruktiv in diese Debatte einbringen. Ich appelliere an alle, ebenso zu verfahren. Durchwinken ist keine Option, Totalverweigerung aber erst Recht nicht!

>> Zum Entwurf des Leitbildes für die Verwaltungsstrukturreform 2019 (pdf-Datei)