Einsetzung und Ausstattung eines Untersuchungsausschusses zur „Organisierten rechtsextremen Gewalt und Behördenhandeln, vor allem zum Komplex Nationalsozialistischer Untergrund (NSU)“ gemäß Artikel 72 Absatz 1 der Verfassung des Landes Brandenburg in Verbindung mit § 2 Absatz 1 sowie § 3 Absatz 4 des Untersuchungsausschussgesetzes
- Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede!
Rund viereinhalb Jahre nach der immer noch von vielen offenen Fragen umrankten Selbstenttarnung des Terrornetzwerkes „Nationalsozialistischer Untergrund“ in Eisenach gibt es auf Bundesebene und in zahlreichen Ländern Untersuchungsausschüsse, die nach dem Beginn einer neuen Legislaturperiode teilweise Neuauflagen erlebten. Es wurden für undenkbar gehaltene Versäumnisse und ein Versagen der Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Länderebene konstatiert, insbesondere der Verfassungsschutzbehörden. Doch trotz der zahlreichen Untersuchungsausschüsse und des laufenden Prozesses am Oberlandesgericht München konnten viele zentrale Fragen über das Terrornetzwerk, über unterstützende Strukturen des Rechtsextremismus und das Agieren der Behörden nicht abschließend geklärt werden.
In Brandenburg blieb das Echo auf die Untersuchungsausschüsse und den Münchner-Prozess eher verhalten, obwohl sich immer wieder Brandenburg-Bezüge auftaten, insbesondere auf die Quelle „Piatto“, die viele für den größten Sündenfall des Brandenburger Verfassungsschutzes halten. Die einen durften nicht, die anderen konnten nicht, die nächsten wollten nicht und wieder andere interessierten sich nicht.
Die nach bisheriger Erkenntnis vorgebrachte Tatsache, dass der NSU in Brandenburg keinen rassistischen Mord verübte, die Hinweise auf die historisch einzuordnende, nach heutigen Maßstäben aber natürlich abzulehnende Anwerbung des Verbrechers „Piatto“, der Verweis auf das linksregierte Brandenburg mit seinen Erfolgen beim Handlungskonzeptes „Tolerantes Brandenburg“ erstickten Forderungen nach einem Untersuchungsausschuss aus der Zivilgesellschaft und dem politischen Raum immer schnell im Ansatz.
In den letzten Wochen hat sich jetzt aber ein Fenster aufgetan, das aus vielerlei Gründen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses möglich erscheinen ließ. Dazu gehörte sicher vorrangig das schlechte Bild, welches das Land Brandenburg vor dem Münchner NSU-Prozess ablieferte: ärgerlicher Verkleidungsmummenschanz, abstruse Gedächtnislücken bei ehemaligem V-Mann wie V-Mann-Führern, vorübergehend gesperrte und dann doch wieder freigegeben Beweismittel des Landes. Im Zentrum des Interesses steht die seit Jahren immer wieder aufgeworfene Frage: hätten durch eine andere Form der Weitergabe und Bearbeitung der schon im Spätsommer 1998 von der Quelle gelieferten Informationen über drei untergetauchte Skinheads aus Sachsen, die sich Waffen beschaffen und nach Südafrika fliehen wollten, die 10 NSU Morde verhindert werden können?
Diese von den Anwälten der Nebenklage in München erhobene Beschuldigung hat die Einsetzung des Ausschusses sicher maßgeblich getriggert. Das Versprechen der Bundeskanzlerin an die Familien und Freunde der Ermordeten im November 2011 auf lückenlose Aufklärung ist noch lange nicht erfüllt und die Erkenntnis, dass Brandenburg seinen Beitrag zur Aufklärung leisten muss, teilen inzwischen alle. Druck auf die Zaudernden oder Unwilligen wurde auch von der Bundesebene ausgeübt, wo die mangelnde Kooperation Brandenburgs schon öfter auf Kritik gestoßen war.
Katalytisch haben aber sicher auch die Bemühungen der Presse und die auf Anregung des Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit herausgegebene Aufsatzsammlung von Vertretern der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft gewirkt.
Nicht zuletzt aber hat die traurige gesellschaftliche Realität diesen Untersuchungsausschuss geradezu erzwungen: die im Zuge der steigenden Zahlen von Geflüchteten seit dem Vorjahr massiv ansteigenden Zahlen von rechtsextremistischen Straftaten und Gewalttaten, die Anschläge auf Gemeinschaftsunterkünfte, der Brandanschlag in Nauen mit der geglückten Verhaftung einer Zelle mutmaßlicher Täter. All dies lässt Erinnerungen aufkommen an Parallelen aus den frühen 90iger Jahren. Um Lehren und Erkenntnisse für die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen müssen wir uns – besser spät als nie – mit der Frage beschäftigen, ob das Land Brandenburg, wissentlich oder unbeabsichtigt, Amtshilfe beim Aufbau nachwirkender rechtsextremistischer Strukturen geleistet hat. Da ist die Personalie des Carsten Sz., gegen den schon 1992 erfolglos wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt wurde, zentral. Der Einsetzungsbeschluss geht aber richtigerweise darüber hinaus.
Der Prozess bis zur Verabschiedung des heutigen Einsetzungsbeschlusses hat bei allen Beteiligten eine höchst erfreuliche Eigendynamik entwickelt. Ich bin momentan zuversichtlich, dass wir abseits vom üblichen Koalitions-Oppositions-Hickhack und den Abwehrschlachten um Beweisanträge von einem gemeinsamen Aufklärungswillen getragen sind. Das sind wir den Opfern und ihren Angehörigen und das sind wir dem friedlichen Zusammenleben im Land Brandenburg schuldig.