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Ursula Nonnemacher spricht zum Bericht der Landesregierung „Umsetzung des Handlungskonzepts 'Tolerantes Brandenburg' der Landesregierung“

>> Zum Bericht der Landesregierung „Umsetzung des Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“ der Landesregierung“ (pdf-Datei)

- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

„Enormer Anstieg rechter Gewalt“, „Feuer im geplanten Flüchtlingsheim“, „Erneut Brandanschlag auf Asylheim“, „Gewalt gegen Flüchtlinge steigt rapide“, „Es könnte kippen“ „mehr Angriffe auf Flüchtlinge“, „Ein Land in Flammen“ lauten die Titel einiger Zeitungsberichte aus dem vergangenen Jahr. Das Brandenburger Innenministerium verzeichnete 2015 einen Anstieg rechtsmotivierter Kriminalität um 76, 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die Zahl fremdenfeindlicher Straftaten stieg von 280 Fällen auf 549 Fälle an. Laut Aktionsbündnis Brandenburg haben Rechtsextreme und RassistInnen so massiv wie nie zuvor in der Geschichte des Bundeslandes Straßenaktionen durchgeführt. 2015 fanden insgesamt 105 flüchtlingsfeindliche Aktionen statt, 2014 waren es noch 10 Aktionen. Flankiert werden die Demonstrationen von Hetze im Internet und in den sozialen Netzwerken. Die Zahl der Ermittlungsverfahren wegen Hasskriminalität im Internet hat sich im Jahr 2015 im Vergleich zu 2014 fast verdreifacht. Obwohl inzwischen weniger Flüchtlinge in Brandenburg ankommen, sind die Angriffe unvermindert hoch: Im ersten Quartal diesen Jahres hat es 54 Gewalttaten gegen Flüchtlinge, Brandstiftungen, Bedrohungen und Fälle von Volksverhetzung gegeben.

Das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ wurde 1998 ins Leben gerufen in einer Zeit, in der Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Land einen Höhepunkt erreicht hatten. Bundesweit machte Brandenburg durch rechtsextreme Morde, fremdenfeindliche Hetzjagden und Übergriffe auf Schüler aus Migrantenfamilien Schlagzeilen. Heute ist die Situation annähernd vergleichbar: Anfang September 2015 erschütterte uns die Nachricht über einen Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft in einer Turnhalle in Nauen. Im Oktober berichteten Opferverbände und Zeitungen von einem rechten Mob, der durch Cottbus zog und Jagd auf Asylsuchende oder vermeintliche Ausländer machte. Im November folgte die Nachricht über eine Explosion in einer evangelischen Flüchtlingsbegegnungsstätte in Jüterbog.

Gleichzeitig sorgen rechtspopulistische Hetze und unverhohlene Fremdenfeindlichkeit von AfD, Pegida und ihren zahlreichen Nachahmern für ein Klima, in dem die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung gegen Flüchtlinge sinkt. „Ich bin rechts“ ist kein Stigma mehr und wird zur Selbstbeschreibung selbstbewusst genutzt – eine Erkenntnis der Leipziger „Mitte“-Studie von 2016. Unter den Täterinnen und Tätern befinden sich zunehmend Personen, die bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten sind - offensichtlich nicht nur in Deutschland: Kurz nach dem Brexit-Votum am 23. Juni 2016 stieg die Zahl der Hassverbrechen gegenüber Menschen nicht britischer Herkunft in London um 50 Prozent an.

In einer Zeit, in der gewalttätige Übergriffe wieder steigen und Hemmschwellen sinken, wird uns die enorme Bedeutung unseres bewährten Handlungskonzepts „Tolerantes Brandenburg“ bewusster denn je. Die Tätigkeit der Koordinierungsstelle und des Beratungsnetzwerkes war im vergangenen Jahr geprägt von der Diskussion um den Zuzug von Geflüchteten. Das Aktionsbündnis förderte das Engagement vor Ort bei der Gründung von Bündnissen und Willkommensinitiativen und sprach zugleich mit Bürgerinnen und Bürgern, die ihre Ablehnung und Ängste äußerten. Das Mobile Beratungsteam informierte Kommunen zur Strukturierung von Anwohnerversammlungen und zum Umgang mit rechtsextremistischen Auftritten. Die Anfragen an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Opferperspektive, die Betroffene rassistischer Gewalt beraten, verdoppelten sich. Besorgniserregend ist dabei die sich laut Umsetzungsbericht abzeichnende Schieflage im Land: Während im Bereich des Speckgürtels viele Willkommensinitiativen entstanden sind, dünnt die Beteiligung in Richtung Peripherie deutlich aus. Gerade hier aber wären mehr Engagement und lokale Bündnisse nötig.

Die seit 2015 stattfindenden „Zukunftsdialoge“ in jedem Landkreis und jeder kreisfreien Stadt mit verstärktem Fokus auf das Thema Flucht und Asyl gehen daher in die richtige Richtung. Vor dem Hintergrund, dass viele der Willkommensinitiativen mit den Bündnissen gegen Rechtsextremismus kooperieren, erscheint auch eine Zusammenlegung des „Bündnis für Brandenburg“ mit dem „Toleranten Brandenburg“ vertretbar. Allerdings müssen sie personell und finanziell so ausgestattet sein, dass keiner der Schwerpunkte unter der Zusammenlegung leidet. Denn sowohl das „Bündnis für Brandenburg“, das sich der Integration der Geflüchteten widmen soll, als auch das seit 1998 bestehende umfangreiche Netzwerk gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit haben wichtige Aufgaben. Das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ hat bereits große Fortschritte gebracht. Ein Blick auf die aktuelle Situation im Land verdeutlicht aber: Es gibt noch viel zu tun!