- Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede!
Bei seinem Amtsantritt wurde Kanadas Premierminister Justin Trudeau gefragt, warum er ein Kabinett aufgestellt habe, das eine gerechte Geschlechter-Verteilung aufweise. Und, warum ihm das so wichtig gewesen sie. Seine Antwort war: "Weil es 2015 ist."
In diesem Monat hat das Nachbarland Berlin ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Spitzenreiter bei der gerechten Verteilung von Mandaten für Frauen und Männer sind Bündnisgrüne und Linke, mit 56 bzw. 52% Frauenanteil. Die SPD liegt mit 39% weiblichen Abgeordneten irgendwo im Mittelfeld. Der Blick auf den Frauenanteil der drei verbleibenden Fraktionen lässt uns aber echt erschauern: Die FDP schickt 17% Frauen ins Abgeordnetenhaus, die CDU gerade mal 13%, die AfD nur 12%! Und jetzt, hier im Landtag beraten 36% weibliche und 64% männliche Abgeordnete über ein Programm für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Ja, wir sehen, dieses Programm brauchen wir! Und das sagen wir Bündnisgrünen, die wir die Frage nach Gendergerechtigkeit vor 36 Jahren überhaupt erst in den politischen Diskurs eingeführt haben! Wir wissen deswegen, wie lang und wie diskussionsintensiv der Weg zu echter Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern ist.
Wir brauchen auch deshalb dieses Programm, weil einige, allen voran die AfD, jetzt alte Rollenverständnisse wiederauferstehen lassen wollen. Das Familienbild der 50er Jahre, der arbeitende Mann und die Hausfrau mit ihren vielen Kindern, wird als „wertegebende gesellschaftliche Grundeinheit“ beschworen. Gefahr droht durch „staatliche Institutionen wie Krippen und Ganztagsschulen“ sowie durch Gender-Mainstreaming. Das ist eine Kampfansage an die gerechte Verteilung von Zeit, Macht und Geld und eine Kampfansage an Frauen und Mädchen und die Chancen, die sie in den letzten Jahren errungen haben!
Die sechs Handlungsfelder des Programmes der Landesregierung sind gut gewählt. Viele Maßnahmen sind darunter subsumiert. Einige fehlen aber. Dazu gehören Maßnahmen der Gendermedizin. Sie wird überhaupt nur sehr zurückhaltend aufgeführt. Dabei haben wir gerade im Sozialausschuss über das deutlich höhere Sterblichkeitsrisiko von Frauen nach einem Herzinfarkt gesprochen. Warum solche Probleme hier nicht besser abgebildet werden, verstehen wir nicht.
Uns ärgert auch, dass einige der Maßnahmen, die im Programm aufgeführt werden, dort aus unserer Sicht nichts verloren haben. Die Landesregierung verkauft uns 45 Millionen Euro für den flächendeckenden und bedarfsgerechten Ausbau der Kindertagesbetreuung als ihre gleichstellungspolitische Maßnahme. Das ist hanebüchen, weil sie damit eine bundesrechtliche Forderung umsetzt. Auch gibt sie als Maßnahme für gerechtere Chancen zwischen Männern und Frauen den Ausbau von Freiwilligendiensten an. Wir hätten ja noch verstanden, wenn sie sich den Abbau des Geschlechtermissverhältnisses in den Freiwilligendiensten zum Ziel gesetzt hätten. Das Freiwillige Ökologisches Jahr und das Freiwillige Sozialen Jahr wird überproportional durch Frauen besetzt, aber darüber ist nichts zu lesen. Das sind nur zwei Beispiele für Maßnahmen, wo wir den Genderaspekt beim allem guten Willen nicht erkennen können. Liebe Landesregierung, damit schaden Sie langfristig der ernsthaften Debatte um Gleichstellung. Wenn zukünftig jeder von Ihnen investierte Euro in soziale oder Bildungsmaßnahmen unkommentiert und unreflektiert der Verbesserung der Chancengerechtigkeit zwischen Frauen und Männer dienen soll, verlieren wir das eigentliche Ziel aus den Augen. Und das Ziel ist doch, überkommene Strukturen abzuschaffen, die die Vielfalt der Menschen behindern, ihre Selbstbestimmung ausbremsen und keine gerechte Verteilung von Chancen ermöglichen. Da müssen Sie noch einmal genauer hinschauen. Weil 2016 ist!