- Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede!
„Sie haben mit diesem Vorschlag nicht nur unser Leben gerettet, sondern auch unsere Stimmen!“ – dankte die Jesidin Nadia Murad dem Land Baden –Württemberg vor 2 Wochen in einer bewegenden Rede für die Aufnahme von 1000 IS-Opfern aus dem Nordirak.
Am 3. August 2014 fiel die Terrormiliz Islamischer Staat in das Sindschar-Gebirge im Nordirak ein- wo viele Jesidinnen und Jesiden leben. Es folgte ein grausamer Feldzug: Die Dschihadisten ermordeten systematisch jesidische Jungen und Männer. Tausende jesidische Frauen und Kinder wurden verschleppt, versklavt und misshandelt. Einige von ihnen konnten entkommen und suchten Schutz in einem der vielen Flüchtlingscamps in Kurdistan- Irak. Jesiden sind eine religiöse Minderheit. Laut einem im März veröffentlichten Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte hat der IS das Ziel, „die Jesiden als Gruppe zu zerstören“.
Nadia Murad war selbst Gefangene des IS. Ihre Eltern und Verwandten wurden im August 2014 ermordet, sie wurde vom IS versklavt, gefoltert und vergewaltigt. Schließlich konnte sie ihren Peinigern entkommen und gelangte mit einem baden-württembergischen Sonderkontingent nach Deutschland. Im September dieses Jahres ernannte sie UN- Generalsekretär Ban Ki-Moon zur UN-Sonderbotschafterin für die Würde der Überlebenden des Menschenhandels. Vergangenen Dienstag erhielten sie und die Jesidin Lamaija Adschie für ihren Kampf gegen den Terror vom EU-Parlament den Sacharow-Preis für Menschenrechte.
Baden-Württemberg hatte im Oktober 2014 die Aufnahme von 1.000 Frauen und Kindern aus dem Nordirak beschlossen, die aufgrund des Massakers am 3. August 2014 traumatisierende Gewalt erfahren und engste Angehörige verloren hatten. Dank der späteren Beteiligung von Niedersachsen und Schleswig-Holstein konnten schließlich sogar 1.100 Frauen und Kinder überwiegend jesidischer, aber auch christlicher Religionszugehörigkeit in Sicherheit gebracht werden. Das Programm ist seit Januar 2016 abgeschlossen, es wurde von Baden-Württemberg finanziert, organisiert und mit Unterstützung des deutschen Generalkonsulats in Erbil durchgeführt.
Doch noch immer ist die Not vor Ort groß: Nach Auskunft des Menschenrechtszentrums Cottbus, das mit dem Jesidenbeauftragten der kurdischen Regierung in Kontakt steht, kamen im August 2014 über 6.000 Personen in die Gewalt des IS. Bis März 2016 konnten weniger als die Hälfte von ihnen befreit werden oder wurden freigekauft. Das baden-württembergische Staatsministerium berichtete im Oktober 2016, dass sich aktuell noch immer 1.600 überwiegend alleinstehende, jesidische Frauen und Kinder, die bis zu 2 Jahren in IS-Gefangenschaft waren, in den Flüchtlingscamps im Nordirak befinden. Sie sind traumatisiert und von einer guten Zukunft abgeschnitten.
Wir fordern die Landesregierung auf, dem Beispiel Baden-Württembergs zu folgen. Brandenburg soll besonders schutzbedürftige Jesidinnen und Jesiden aus dem Irak aufnehmen. Es handelt sich um einen humanitären Akt, wir wollen den Flüchtlingen über unsere bestehende Aufnahmeverpflichtung hinaus helfen. Gerade alleinstehende Frauen und Kinder haben oft nicht die Möglichkeit, sich auf den gefährlichen Fluchtweg zu machen. Ihnen drohen vermehrt Ausbeutung, Gewalt und Vergewaltigung. Sie verfügen meist nicht über die nötigen finanziellen Ressourcen. Die Aufnahme von Schutzsuchenden über humanitäre Sonderkontingente als ein Instrument zur Hilfe NEBEN dem individuellen Grundrecht auf Asyl ist seit jeher eine Kernforderung von Flüchtlings- und Menschrechtsorganisationen. Die aktive, staatliche Aufnahme von Schutzsuchenden schafft legale Fluchtwege. Den Menschen bleiben lebensgefährliche Fluchtrouten, Ausbeutung und horrende Geldzahlungen an Schlepper erspart.
Wir sind darüber erfreut, dass der Antrag nun von einer breiten Mehrheit eingebracht wird. Konkret richtet sich der Antrag an alleinstehende Frauen, ggf. mit ihren Kindern sowie an Minderjährige, die in Syrien oder im Irak Gewalt erlitten haben und sich derzeit im Irak aufhalten. Um unser gemeinsames Anliegen, diese Menschen bei uns aufzunehmen, zu einem größtmöglichen Erfolg zu verhelfen, wollen wir zunächst auf Bundes- und dann auf Landesebene Bündnispartner für unser Anliegen gewinnen. Sollte sich im Bund bis Mitte nächsten Jahres nichts tun, wird die Landesregierung selbst tätig. Gemeinsam sprechen wir uns dafür aus, dass Brandenburg eine begrenzte Zahl von Jesidinnen und Jesiden außerhalb des regulären Asylverfahrens aufnimmt. Die Landesregierung soll sich hierbei auch mit den Kommunen abstimmen, wie viele Personen von diesen angemessen untergebracht und medizinisch versorgt werden können.
Bei der Durchführung des Landesprogramms kann Brandenburg auf die von Baden-Württemberg vor Ort geschaffenen Strukturen zurückgreifen – Baden-Württemberg hat dies auch ausdrücklich angeboten. Hier in Brandenburg können wir freie Kapazitäten in den kommunalen Unterkünften, insbesondere in kleinen, abgeschlossenen Einheiten oder Wohnverbünden nutzen. Die Frauen und Kinder brauchen weiterhin eine besondere Unterstützung. Baden-Württemberg hat daher den aufnehmenden Kommunen zusätzliche Mittel zur therapeutischen und medizinischen Versorgung der Geflüchteten bereitgestellt. Wir möchten, dass die Landesregierung den Kommunen ebenso mit zusätzlichen Mitteln für Traumatherapie und medizinische Behandlung unter die Arme greift. Ziel des Programmes ist es, die traumatisierten Flüchtlinge so zu stabilisieren, dass sie ein neues, selbstbestimmtes Leben beginnen können.
Aus Baden-Württemberg haben wir erste entsprechend positive Erfahrungsberichte erhalten. So wirkte sich nach den Beobachtungen der TherapeutInnen vor Ort bereits das Ausstellen des Visums positiv auf den Status der Frauen aus. Vergewaltigte Frauen gelten sowohl in der irakischen als auch in der konservativen jesidischen Gesellschaft als „entehrt“. Mit dem Visum seien sie von ihrem Umfeld nicht mehr als Opfer, sondern als zu respektierende Überlebende des Terrors angesehen worden. Der anschließende Ortswechsel und der geregelte Tagesablauf in Deutschland trugen dann zu einer ersten Traumabewältigung bei.
Als Nadia Murad vergangenen Dienstag im EU-Parlament in Straßburg den Sacharow-Preis entgegennahm, bat sie eindringlich um Hilfe. Wir nehmen den Apell ernst und möchten helfen.
Der Antrag wurde angenommen.