Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Lieber Christoph, ich wollte erst einmal darauf hinweisen, dass in der Geschäftsordnung des Landtages Brandenburg die Rolle des Volkstribuns nicht vorgesehen ist.
(Heiterkeit und Beifall SPD sowie vereinzelt DIE LINKE)
Jetzt zum Thema unserer Aktuellen Stunde: Es war wenigstens in taktischer Hinsicht eine reife Leistung, die DIE LINKE auf ihrem Parteitag Anfang November mit ihrem Antrag zur Verwaltungsstrukturreform abgeliefert hat. Parteichef Görke steigt am ersten Tag in den Maschinenraum und arbeitet an der dringend notwendigen Profilschärfung der Partei. Der Fraktionsvorsitzende Christoffers legt am zweiten Tag kühlende Kompressen auf und erklärt, dass die rot-rote Koalition an der Verwaltungsstrukturreform nicht scheitern wird. Es folgt der Austausch von einigen deftigen Beleidigungen unter den Koalitionären, gewürzt mit sinnschweren Metaphern aus der christlichen Seefahrt.
(Heiterkeit der Abgeordneten Lehmann [SPD])
In dem Pulverdampf – merke: Koalitionskrach zieht immer – wurde kaum zur Kenntnis genommen, dass die umstrittene Einkreisung der kreisfreien Städte als Gesetz betrachtet und nahezu einstimmig verabschiedet wurde.
DIE LINKE formuliert dazu Bedingungen, die auch wir Bündnisgrünen sehr wichtig finden: Stärkung der Funktion als Oberzentren und Absicherung der landesweit bedeutsamen Kultureinrichtungen durch Mitfinanzierung. Die in der Presse so stark im Vordergrund stehende Forderung nach einer Absenkung der Mindesteinwohnerzahl von Landkreisen auf 150 000 wird übrigens gar nicht unter den zwölf Kernpunkten behandelt, sondern unter der Rubrik „Wir sind in der weiteren Diskussion offen für …“ Die Forderung nach einer Mindesteinwohnerzahl von 150000 entspricht der Beschlusslage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von Mai 2015. In Brandenburg befinden sich mehrere Landkreise mit der bundesweit niedrigsten Siedlungsdichte.
Dem sollte Rechnung getragen werden. Im Beschluss der Linken wird erfreulicherweise auch auf ein Thema eingegangen, das für meine Partei und Fraktion einen hohen Stellenwert hat: Bürgerbeteiligung und Stärkung unmittelbarer Demokratie in den Kommunen. Darauf hätte gern noch stärker fokussiert werden können. Auf den 18 Leitbildkonferenzen wurde eine Vielzahl von Themen angesprochen, nicht nur die großen Themenblöcke Kreisfreiheit, Kreisgrößen, Aufgabenübertragung und Teilentschuldung. Eindrücklich fand ich zum Beispiel die Sorgen, wie es mit den kommunalen Kliniken weitergeht und was zu den Kreissparkassen geäußert wurde.
Wir erwarten weiterhin, dass die Landesregierung eine komprimierte Gesamtauswertung der 18 Veranstaltungen vorlegt, in der die eingebrachten Punkte aufgeführt und vor allem abgewogen werden. Wir erwarten dringend, dass der Innenminister zu seiner Äußerung auf der Leitbildkonferenz in Cottbus Stellung bezieht, wo er in der Presse mit folgender Aussage zitiert wird: „Eines der Denkmodelle ist, dass man die Strukturen der Kreise belässt, wie sie sind, aber Verwaltungen zusammenführt.“
Ein solches Modell, eine Art kommunales Verwaltungsamt ist nicht Gegenstand des Leitbildentwurfs, und wir würden schon gern wissen, auf welcher Grundlage wir eigentlich diskutieren. Da eine Fortschreibung des Leitbildes für den 5. Dezember angekündigt war, wird es nun Zeit, dass die Auswertung und die Klarstellung erfolgen.
Ein gravierender Punkt, warum der Leitbildentwurf zur Verwaltungsstrukturreform in der vorliegenden Form für uns nicht zustimmungsfähig ist, sind die zur Kommunalisierung vorgesehenen Landesaufgaben. Die Anhörung am 12. November 2015 zu Aufgaben des Umwelt- und Naturschutzes hat unsere Bedenken bezüglich der Tiefe der Funktionalreform nachdrücklich bestätigt. Natürlich können Kreisverwaltungen eine Menge Aufgaben gut bearbeiten, aber nicht, wenn das zur Verfügung stehende Fachpersonal der Landesbehörden gedeckelt und einfach auf die neuen Landkreise verteilt wird.
(Beifall B90/GRÜNE)
Eine Kommunalisierung von hochspeziellen Landesaufgaben setzt, sofern grundsätzlich vertretbar, einen erheblichen Personalaufwuchs auf der Ebene der Kreise voraus. Da dies nicht gewünscht ist, sagen wir ganz klar: Abstriche an der Qualität der Aufgabenerledigung sind mit uns nicht verhandelbar. – Danke schön.
(Beifall B90/GRÜNE und der Abgeordneten Frau Schade [AfD])
Zweiter Redebeitrag von Ursula Nonnemacher:
Ich möchte als Mitglied der Enquêtekommission 5/2 und als Abgeordnete, die auch in der letzten Wahlperiode in diesem Haus vertreten war, noch einmal daran erinnern, dass es die Opposition aus CDU, FDP und Grünen war, die seinerzeit die Einsetzung dieser Enquêtekommission veranlasst hat, und dass sich die anderen Fraktionen dann diesem Anliegen angeschlossen haben. Wir haben diese Enquêtekommission angeschoben und eingesetzt, weil wir gesagt haben: Es gibt Probleme gerade im Bereich der Demografie, aber auch finanzielle Probleme – Länderfinanzausgleich, Solidarpakt.
(Beifall B90/GRÜNE)
Diese Probleme sind nicht verschwunden, sondern sie sind weiterhin existent. Wir sehen es doch, dass die disparate Entwicklung zwischen berlinnahem und berlinfernem Raum eher noch an Geschwindigkeit zunimmt. Das Problem hat sich doch nicht erledigt. Ich bin sehr gespannt auf die weiteren demografischen Zahlen, und ich erwarte, dass wir dadurch auch sehen werden, dass die Entwicklung noch weiter auseinanderdriftet. Also noch einmal: Die Probleme sind weiterhin vorhanden. Ich kann es auch nicht mehr hören, dass wir sagen, durch die Flüchtlinge haben wir im Moment gar kein demografisches Problem mehr. Das ist doch einfach nicht gegeben. Wir können doch nicht so tun, als wäre unsere demografische Entwicklung dadurch jetzt gegenstandslos, dass einige Tausend Menschen hier zu uns ins Land kommen. Wir können ja nur hoffen, dass sie sich in den Regionen, die unter starkem Bevölkerungsverlust leiden, wirklich dauerhaft niederlassen werden.
(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)
Dazu muss man sie auch auffordern und willkommen heißen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat sich diesem Thema von Anfang an sehr intensiv auf der Fachebene gestellt. Wir haben unter anderem bei einer renommierten Verwaltungswissenschaftlerin ein Gutachten zur Ausgestaltung der Gemeindeebene (pdf-Datei) in Auftrag gegeben. Dabei ist nach Auswertung der gesamten Literatur die Empfehlung herausgekommen, dass eine optimale Größe für Gemeinden etwa bei 12.000 bis 13.000 Einwohnern liegt.
Wir haben schon gesagt, wir müssen den Gegebenheiten im Flächenland Brandenburg Rechnung tragen, und haben deshalb in der Enquêtekommission den Vorschlag gemacht anzuregen, die Mindestgröße bei 10 000 Einwohnerinnen und Einwohnern festzulegen. Das war schon ein Zugeständnis an die Struktur unseres Landes. Es gibt, Frau Richstein, durchaus wissenschaftliche Untersuchungen auch zu diesen Größen, Skaleneffekten und sonstigen Dingen.
Wir haben ein vielbeachtetes Gutachten zu kommunalen Schulden und zu kommunalen Entschuldungsprogrammen (pdf-Datei) vorgelegt. Auch dies ist Gegenstand der Diskussion.
Ich fordere noch einmal alle Fraktionen hier im Landtag auf: Lassen Sie uns diesen Prozess inhaltlich diskutieren! Auch bei den Grünen gibt es viele Bedenken, viele Widerstände. Eine Gebiets- und Verwaltungsstruktur ist ein trockenes Thema, das ist kein „Gewinnerthema“, damit kann man keine Wahlkämpfe bestreiten, aber wir müssen uns den Herausforderungen und den Problem stellen. – Vielen Dank.
(Beifall B90/GRÜNE, SPD und DIE LINKE)