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Ursula Nonnemacher spricht zum Antrag der FDP-Fraktion und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Keine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung“

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- Es gilt das gesprochene Wort!

Anrede!

Tja, die Vorratsdatenspeicherung – zum größten Bürgerrechtsskandal der letzten Jahrzehnte á la NSA fällt der Großen Koalition als Antwort die Vorratsdatenspeicherung ein. Auch wenn aktuell das Urteil des EuGH abgewartet wird bedeutet das nur eine Atempause, denn von dem Vorhaben an sich rückt man nicht ab.

Die Vorratsdatenspeicherung zu verhindern war schon seit Langem das Ziel von Bündnis 90/Die Grünen. Eine freiheitliche Gesellschaft braucht Bürgerinnen und Bürger, die frei sind von Angst vor Kriminalität, aber ebenso frei von Überwachung und pauschaler Verdächtigung durch den Staat. Wir haben ein Recht auf Privatsphäre – und doch werden über uns so viele Daten gesammelt und unkontrolliert verarbeitet wie noch nie.

Die geplante Neuauflage einer anlass- bzw. verdachtslosen, massenhaften Speicherung individueller Telekommunikationsverkehrsdaten bedeutet einen tiefen Eingriff in die durch das Grundgesetz und die EU-Grundrechtecharta verbürgten Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger (insbesondere in das Telekommunikationsgeheimnis, die Grundrechte auf Privatsphäre und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung). Zugleich bedeutet sie einen historischen Einschnitt in die freiheitlich-rechtsstaatliche Verfasstheit unserer Demokratie. Denn die geplante Massenspeicherung stellt alle Bürgerinnen und Bürger unter einen unzulässigen Generalverdacht. Sie ermöglicht präziseste Verhaltens-, Kontakt- und Bewegungsprofile sowohl Einzelner als auch ganzer Bevölkerungsgruppen. Der damit verbundene Überwachungsdruck ist geeignet, nicht nur einzelne, sondern auch besonders zu schützende Gruppen sowie die Gesamtbevölkerung insgesamt einzuschüchtern. Sie bedroht damit die freiheitliche Kommunikation unseres Landes auf einer fundamentalen Ebene und damit die Funktionsbedingungen unserer Demokratie insgesamt. Dazu birgt jede Vorratsdatenspeicherung nicht zuletzt wegen des inzwischen erreichten Vernetzungsgrades der beteiligten Infrastrukturen extreme Risiken des Datenmissbrauchs.

Das Bundesverfassungsgericht hat die negativen Folgen der Vorratsdatenspeicherung wie folgt beschrieben: „Allerdings handelt es sich bei einer solchen Speicherung um einen besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die Rechtsordnung bisher nicht kennt: Erfasst werden über den gesamten Zeitraum von sechs Monaten praktisch sämtliche Telekommunikationsverkehrsdaten aller Bürger ohne Anknüpfung an ein zurechenbar vorwerfbares Verhalten, eine – auch nur abstrakte – Gefährlichkeit oder sonst eine qualifizierte Situation. Die Speicherung bezieht sich dabei auf Alltagshandeln, das im täglichen Miteinander elementar und für die Teilnahme am sozialen Leben in der modernen Welt nicht mehr verzichtbar ist […]. Adressaten […], Daten, Uhrzeit und Ort von Telefongesprächen erlauben, wenn sie über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen derjenigen, deren Verbindungsdaten ausgewertet werden. Einen Vertraulichkeitsschutz gibt es insoweit nicht.“

Die Vorratsdatenspeicherung war auch einmal eine EU-Richtlinie, die der Terrorismusbekämpfung dienen sollte. Die ersten Staaten führten die Vorratsdatenspeicherung ein, kurz darauf fielen die nationalen Gesetze aber bereits in einigen Mitgliedsstaaten. Ob Deutschland oder Rumänien: Die Verfassungsgerichte sahen die Bürgerrechte verletzt. Mittlerweile gibt es viele Studien zur Vorratsdatenspeicherung. Sogar KriminologInnen und VerwaltungsbeamtInnen haben europaweit zugegeben, dass die Vorratsdatenspeicherung keinen einzigen der bisherigen Terroranschläge verhindert hätte. Auch den Täter der Anschläge von Oslo hätte die Vorratsdatenspeicherung nicht aufgespürt. Aber wie reagierte die Politik dort? Die NorwegerInnen vom Ministerpräsidenten abwärts meinten: Wir müssen Freiheit und Demokratie stärken, denn sonst würden diese Terroristen ja ihr Ziel erreicht haben: Freiheit und Demokratie abzuschaffen. So wollte man dort den Terror bekämpfen! Wäre das nicht das beste Zeichen gegen Terrorismus: Die Bürgerrechte, die Demokratie und die Freiheit verteidigen, anstatt sie angeblich zur Terrorismusbekämpfung einzuschränken oder gar abzuschaffen?

Mit uns wird es die Vorratsdatenspeicherung von Telefonverbindungsdaten oder andere anlasslose Massenspeicherungen jedenfalls nicht geben.

Der Antrag der Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP als PDF