>>> Gesetzentwürfe zur Änderung der Verfassung des Landes Brandenburg und zur Änderung des Volksabstimmungsgesetzes als pdf
- Es gilt das gesprochene Wort !
Der Begriff „Demokratie" stammt aus dem Griechischen und bedeutet Volksherrschaft. Heutzutage bezeichnet Demokratie eine Staatsform, in der die Staatsgewalt vom Volk ausgeht und direkt oder/und indirekt von ihm ausgeübt wird. Dies ist im Grundgesetz in Artikel 20 Absatz 2 festgelegt: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus und das Volk übt seine Souveränität in Wahlen und Abstimmungen aus. Damit sind repräsentative und plebiszitäre Elemente der Demokratie konstitutionell begründet. Während bundesweite Regelungen zur Volksgesetzgebung immer noch ausstehen, ist die direkte Demokratie seit 2006 in allen Länderverfassungen der 16 Bundesländer auf Länderebene und kommunaler Ebene verankert.
Den Bürgerinnen und Bürgern als dem Souverän in einer Demokratie wird die Umsetzung ihres Rechtes, zu allen relevanten verfassungskonformen politischen Fragen ein direktdemokratisches Verfahren einzuleiten, aber unnötig schwer gemacht. Die Verheißungen von demokratischer Teilhabe und Bürgerbeteiligung werden vielfach nicht eingelöst. Bürokratische Hemmnisse wie der obligatorische Amtseintrag, restriktiver Themenausschluss, hohe Unterschrifts- , Beteiligungs- oder Zustimmungsquoren auf den einzelnen Stufen der Volksgesetzgebung oder unrealistische Fristen bauen unüberwindbare Hürden auf. Eine Gesetzgebung und Quoren, die de facto unüberwindbar sind, nennt man prohibitiv. Sie lassen direktdemokratische Beteiligung zur folgenlosen Pflichtübung werden, eine Volksgesetzgebung findet faktisch nicht statt.
Genau dies ist die Situation in Brandenburg.
Seit der Einführung der Volksgesetzgebung auf Landesebene 1992 – damals wegen des relativ niedrigen Unterschriftenquorums für ein Volksbegehren als bürgerfreundlich und fortschrittlich gelobt – hat es noch nie ein erfolgreiches Volksbegehren und damit auch noch nie einen Volksentscheid gegeben. Obwohl die Brandenburger die Möglichkeiten der Direkten Demokratie gerne nutzen, wie mittlerweile 36 Volksinitiativen in diesem Zeitraum beweisen, sind die Volksbegehren alle am Unterschriftenquorum gescheitert. Das liegt mit 80.000 Stimmen zwar bundesweit niedrig, die entscheidende Hürde im dünnbesiedelten Flächenland Brandenburg ist aber der obligatorische Amtseintrag. Das Aufsuchen einer Amtsstube ist wegen des Zeitaufwandes, der oftmals zu überwindenden Distanz, der Bindung an bestimmte Öffnungszeiten, aber auch als psychologische Hürde das Haupthemmnis für die direkte Demokratie in Brandenburg. Dass nicht die Zahl der Unterschriften sondern das Aufsuchen der Amtsräume inakzeptabel ist, zeigt die Volksinitiative zur Polizeistrukturreform. Sie wurde zum Brandenburgtag am 4.September 2010 gestartet und bereits dreieinhalb Monate später konnten die Initiatoren dem Landtagspräsidenten 96.369 eingetragene Unterschriften übergeben.
Im Land Berlin wurde im Oktober 2006 die Berliner Landesverfassung mit dem Ziel geändert, die Hürden für Volksbegehren und Volksentscheide zu senken und im Februar 2008 erfolgte ein Änderung des Volksabstimmungsgesetzes mit der Einführung der freien Unterschriftensammlung. Das Unterschriftenquorum liegt bei freier Sammlung bei 7% und dies in einem Stadtstaat mit Bevölkerungskonzentration. Durch diese verbesserten Zugangsbedingungen konnten die Volksbegehren leichter die erforderlichen Hürden überspringen und seit 2008 haben drei Volksentscheide in Berlin stattgefunden: der Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafen Tempelhof, 2009 „Pro Reli" und vor anderthalb Wochen am 13. Februar 2011 der Volksentscheid zur Offenlegung der Vertragstexte zum Teilverkauf der Berliner Wasserbetriebe. Außerdem war das Kita-Volksbegehren erfolgreich; die Forderungen wurden im wesentlichen vom Senat übernommen, so dass ein Volksentscheid sich erübrigte.
Die Beispiele aus Berlin zeigen, dass sich erleichterte Zugangsbedingungen fördernd auf die Bürgerbeteiligung und die politische Debatte auswirken, ohne dass es zu einer missbräuchlichen Flut von Volksentscheiden kommt. Die Durchführung solch dreistufiger Verfahren stellt nämlich immer noch einen riesigen Arbeitsaufwand dar. Der Volksentscheid zur Offenlegung der Wasserverträge war völlig unerwartet und fast ohne öffentliche Werbung der erste erfolgreiche, die anderen sind am Zustimmungsquorum von 25% gescheitert. Auch diese Hürde sollte fallen. Wir stellen die Legitimität unserer Volksvertretungen auch nicht zur Disposition, wenn die Wahlbeteiligung schlecht war! Für einen verfassungsändernden Volksentscheid müssen in Brandenburg nach aktueller Rechtslage 2/3 der Wähler zustimmen und diese müssen 50% der Stimmberechtigten repräsentieren.
Am 14.6.1992 hat die Bevölkerung des Landes Brandenburg seine Verfassung angenommen: bei einer Wahlbeteiligung von knapp 48% stimmten 94% der Verfassung zu. Die Hürde für einen verfassungsändernden Volksentscheid wäre damit verfehlt worden. Glücklicherweise musste unsere Verfassung 1992 nur von einer qualifizierten Mehrheit bestätigt werden.
Wir möchten mit unseren beiden Gesetzentwürfen die direkte Demokratie in Brandenburg stärken. Das bedeutet:
- der Themenausschluss soll so gering wie möglich sein. Das Haushaltsgesetz selbst kann nicht Gegenstand eines Volksantrages sein, sonst sind alle Gebiete zulässig, die der Gesetzgebungsgewalt des Landtages unterliegen.
- neben der Amtseintragung können Unterschriften für Volksbegehren auch frei auf Straßen und Plätzen gesammelt werden
- die Sammlungsfrist beim Volksbegehren wird von 4 auf 6 Monate verlängert
- bei einfachen Volksentscheiden wird das Quorum abgeschafft, es entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen
- bei Verfassungsänderungen entscheidet die Mehrheit, wenn die ja- Stimmen mindestens 25% der Stimmberechtigten repräsentieren
- die Bürgerinnen erhalten bei einem Volksentscheid eine Handreichung mit Pro- und Kontra-Argumenten mit der Wahlbenachrichtigung
- eine Synchronisierung von Wahlen und Abstimmungen soll erleichtert werden.
Bürgerinnen und Bürger mischen sich in den letzten Jahren verstärkt in die Politik ein. Wir haben es nicht mit einer Demokratie- oder Politikverdrossenheit in unserem Land zu tun, sondern mit einer Politiker- und Parteienverdrossenheit. Nach einer Umfrage des Forsa-Institutes von November 2010 sind 79% der Befragten der Ansicht, dass auf die Interessen des Volkes kaum Rücksicht genommen werde und sein Einfluss auf das politische Geschehen äußerst begrenzt ist.
Ein alarmierender Befund für eine Demokratie!
Zur stärkeren Mitwirkung wünschen sich diese 79% Volksbegehren und Volksentscheide – auch auf Bundesebene. Die Menschen wollen sich einbringen, die herrschenden Spielregeln sind aber eher geeignet, politisches Engagement im Keim zu ersticken. Unsinnige Quoren belohnen den Boykott, statt die Beteiligung zu fördern. In einem Rechtsstaat wird niemand zur Wahl und zur Stimmabgabe gezwungen. Demokratie lebt aber vom Mitmachen und die Mehrheit der Abstimmenden entscheidet! Nehmen wir den Souverän ernst: er hat das Recht über alle verfassungskonformen Angelegenheiten zu entscheiden und wenn diese Entscheidungen endlich verbindlich sind, werden direktdemokratische Verfahren auch stark mobilisieren. Denn jede Stimme zählt!
Uns allen muss daran gelegen sein, unseren demokratischen Rechtsstaat zu stärken. Unsere Bürgerschaft ist durchaus politisch interessiert und differenziert; sie als „Wutbürger" zu diffamieren ist hilflos und überheblich zugleich. Die Bürger rennen nicht als marodierende Horden durch die Straßen, sondern sie empfinden gelegentlich dann Wut, wenn sie sich ohnmächtig Verfahren und Entscheidungen ausgeliefert fühlen. In Zeiten nachlassender Parteienbindung bieten Elemente der direkten Demokratie die Chance, dass sich Menschen punktuell und unabhängig von einer Wahlentscheidung zu Sachfragen einbringen können. Wir wollen direkte und repräsentative Demokratie nicht gegeneinander ausspielen. Die direkte Demokratie ergänzt und bereichert die parlamentarische, kann sie aber nicht ersetzen.