- Es gilt das gesprochene Wort !
„Nicht die Regierung hält sich ein Parlament, sondern das Parlament bestimmt und kontrolliert die Regierung" sagte der Präsident des deutschen Bundestages Norbert Lammert anlässlich der konstituierenden Sitzung nach der Bundestagswahl 2009. Herrn Lammert treibt seit einiger Zeit die Sorge um, dass die parlamentarische Demokratie im Land immer weniger geachtet und das Parlament gar als Trickkiste angesehen wird, in der eine Mehrheit macht, was sie will. Nun wollen wir Grünen der rot-roten Landesregierung keineswegs vorwerfen, sie peitsche die Polizeireform durch das Parlament wie die Bundesregierung die Gesetze zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Wir mahnen aber eine weitergehende Beteiligung des Parlaments bei der Ausgestaltung der Polizeireform an. Nach dem von der Landesregierung vorgelegten Gesetzentwurf, der sich augenblicklich im parlamentarischen Verfahren befindet, wird nur die oberste Organisationsstufe der Polizei gesetzlich geregelt, alles weitere soll dem Innenminister im Rahmen untergesetzlicher Organisationsverfügungen obliegen. Dies halten wir für problematisch. Das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip legen dem Gesetzgeber nahe, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen. Dass diese Polizeireform mit einem Abbau von 1900 Stellen und einer geplanten Reduktion der Polizeiwachen um 70% wesentlich ist, daran besteht ja überhaupt kein Zweifel.
Meine Damen und Herren, der Gesetzgeber hat sich vom Frühjahr 2009 bis zum Herbst 2010 zweimal mit gesetzlichen Regelungen der Stellung und der Befugnisse von ehrenamtlichen Besuchskommissionen im Rahmen des Psych-KG beschäftigt. Darin wird für eine Kommission, die in der Regel einmal jährlich agiert, die Einsicht in Dienstpläne und das Betreten von Geschäftsräumen gesetzlich geregelt. Aber die Ausgestaltung der Polizeistrukturreform unterhalb der Präsidiumsebene soll nicht wesentlich sein?
Wir haben im letzten Plenum über die Novelle des Ordnungsbehörden-gesetzes diskutiert. Dabei wird die Ausnahme von der Übertragung von Aufgaben der Verkehrsüberwachung in Großen Kreisangehörigen Städten geregelt. Aber die Anzahl und die Standorte der verbleibenden Polizeiwachen soll unwesentlich sein?
Nein, diese Entscheidungen sind sehr wesentlich und deshalb hat der Gesetzgeber auf sie ein Zugriffsrecht. Sie unterliegen dem Parlamentsvorbehalt, denn nach Art. 96 Abs. 1 der Landesverfassung liegen die Organisation der staatlichen Landesverwaltung und die Regelung der Zuständigkeiten in der Verantwortung des Gesetzgebers.
Deshalb fordern die Oppositionsfraktionen mit dem vorliegenden Antrag das laufende Gesetzgebungsverfahren zu stoppen, das Reformkonzept zu überarbeiten und im Frühjahr nächsten Jahres einen neuen erweiterten Gesetzentwurf vorzulegen.
Aber nicht nur verfassungsrechtliche Erwägungen lassen eine Denkpause im Verfahren dringend angeraten erscheinen. In der Anhörung zur Polizeireform im Innenausschuss am 28.10. kam von allen Bürgermeistern, Amtsdirektoren, Gewerkschaftsvertretern und den kommunalen Spitzenverbänden massive Kritik am Konzept und der geplanten Umsetzung sowie schwere Bedenken hinsichtlich der Auswirkung der Reform auf die innere Sicherheit des Landes. Nur der Herr Generalstaatsanwalt äußerte sich überwiegend positiv. Ausdruck der schwerwiegenden Bedenken und der tiefen Verunsicherung sind auch die zahllosen Resolutionen von Gemeindevertretungen und Kreistagen und der offene Brief des Städte- und Gemeindebundes an den Ministerpräsidenten und die Abgeordneten, den über 100 kommunale Verantwortungsträger unterzeichnet haben. Ausdruck der tiefen Besorgnis ist auch die von den Gewerkschaften gestartete und vom Städte- und Gemeindebund unterstütze Volksinitiative „Für den Erhalt einer leistungs- und handlungsfähigen sowie wahrnehmbar präsenten Polizei in allen Regionen des Landes Brandenburg." Die etwas wolkigen Aussagen der Gewerkschaftsvertreter bei der Anhörung lassen vermuten, dass das erforderliche Unterschriftenquorum in Rekordzeit überschritten wurde.
All dies verlangt nach einer Auszeit und nach Nachbesserung. Der Innenminister hat sich zwar auf eine sehr lobenswerte Tour durch die Kommunen und Polizeiwachen begeben und führt jetzt endlich die Gespräche, die sein Vorgänger schon längst hätte führen müssen. Doch allein die Tatsache, dass Herr Dr. Woidke charmanter lächelt und über höhere Kommunikationskompetenz verfügt, führt noch zu keiner verbesserten Polizeireform. Die zahlreichen vorgetragenen Einwände der Experten, die Bedenken der kommunalen Vertreter und die Sorgen der Polizeibediensteten selbst müssen erneut bewertet und in ein überarbeitetes Konzept einmünden.
Seien wir ehrlich: es deuten sich in den Debatten doch durchaus konsensfähige Kompromisslinien an! Auch auf Seiten der Kommunen wird Verständnis für die Notwendigkeit des Sparens und der Haushaltskonsolidierung signalisiert, statt ausschließlich von Wachenschließung ist jetzt mehr von Standorterhalt sei es nun als Tageswache, Posten, Büro oder ähnlichem die Rede und selbst in die Zahl der Vollwachen kommt durchaus Bewegung. Statt „15 plus BBI" sind 21 bis maximal 25 Polizeiwachen im Gespräch. Auch der interaktive Streifenwagen erfährt eine realistische Würdigung als nützliches Instrument der Polizeiarbeit statt als Wunderwaffe einer heimatlos kreuzenden Polizei verklärt zu werden.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nehmen wir uns als Parlament und als Gesetzgeber ernst und nehmen wir die Sorgen der Betroffenen ernst! Ein Festhalten am geplanten Ablauf und die Verabschiedung eines Rumpfgesetzes im Dezember 2010 wird beidem nicht gerecht. Es besteht durchaus die Chance, eine Reform zu erarbeiten, die von einem viel breiteren gesellschaftlichen und parlamentarischen Konsens getragen wird. Wir verlieren keine Zeit, sondern wir gewinnen Qualität wenn im 2. Quartal 2011 ein überarbeitetes und näher ausgestaltetes Gesetz dem Landtag vorgelegt wird.
Ich schließe meine Ausführungen wiederum mit einem Zitat des Bundestagspräsidenten aus der Spiegel-Ausgabe dieser Woche: „Das Parlament", so Herr Lammert, „hat jede Macht der Welt, einen unzumutbaren Zeitplan zu verändern."