- Es gilt das gesprochene Wort !
Anrede!
Die Große Anfrage zum Rechtsextremismus ist sowohl was die klare Gliederung und die präzise Formulierung der Fragen als auch die hohe Qualität der Antworten angeht ein Positivbeispiel für dieses parlamentarische Instrument. Sie zeigt das Phänomen Rechtsextremismus in Brandenburg in vielfältigen Facetten vom Jahr 2000 bis zum Januar 2013 auf und stellt die strategischen Ansätze der Landesregierung – das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“ – umfassend auf 88 Seiten dar. In der Zahl 88 wollen wir mal keine einschlägige Zahlensymbolik vermuten und wir danken hier sowohl der Landesregierung für die umfangreichen Auskünfte als auch den Fragestellern.
Trotz der unzweifelhaften Fortschritte, die Brandenburg bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus seit den 90er Jahren zu verzeichnen hat, wissen wir: selbstzufriedenes Zurücklehnen ist nicht angesagt! Die heute früh in der aktuellen Stunde diskutierten Zahlen zum Anstieg der politisch motivierten Kriminalität rechts zeigen uns, dass es keinen Anlass für Entwarnung gibt! Trotz der Selbstauflösung der DVU im Mai 2012 und der Schwäche der NPD, die von Insolvenz und Erosion bedroht ist, gibt es weiterhin ein großes, ja steigendes Potential an zunehmend gewaltbereiteren Neonazis. Diese Kameradschaften oder loseren Zusammenschlüsse werden zwar von den konsequent betriebenen Verbotsverfahren in ihren Strukturen beeinträchtigt, formieren sich aber auch schnell wieder um. Rechtsextremistisches Gedankengut und auch rechtsextremistisches Akteure verschwinden leider nicht, sondern sie gehen flexibel mit Umbenennungen, Selbstauflösungen und Neugründungen um.
Die Studie der Friedrich Ebert Stiftung „Die Mitte im Umbruch“ und die Forschungen von Wilhelm Heitmeyer zu den Phänomenen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zeigen leider ein besorgniserregendes Bild: die Zustimmung zu ausländerfeindlichen und rassistischen Thesen liegt in Ostdeutschland bei über 25% und steigt seit 2009 signifikant an. Der Alltagsrassismus reicht bis weit in die Mitte der Gesellschaft und schafft den Nährboden für einen rechten Radikalismus. Von dummen Sprüchen im Familienkreis oder Fußballstadion bis zu Polenwitzen oder Bemerkungen über kriminelle „Zigeuner“ reichen diese alltäglichen Ressentiments. Bei Aufmärschen der Neonazis hat die sogenannte „Zivilgesellschaft“ in Brandenburg große Fortschritte gemacht; sie zeigt „Gesicht“. Dem Alltagsrassismus entgegenzutreten ist ungleich schwerer. Wer will sich schon auf der Party, im Sportverein, auf dem Elternabend oder im Büro als moralinsaure Spaßbremse outen, wenn es gälte, markigen Sprüchen entgegenzutreten.
Der Bericht der Landesregierung wurde am 13. Februar ausgeben und berücksichtigt aktuelle Entwicklungen bis Ende Januar 2013. In vier Zeilen erwähnt er die Gründung eines Landesverbandes der vom mehrfach vorbestraften Rechtsextremisten Christian Worch im Mai 2012 gegründeten rechtsextremen Partei „Die Rechte“. Der Landesverband wurde am 26. Januar auf einer sattsam bekannten Immobilie im Barnim gegründet und ihm steht der ebenso sattsam bekannte letzte Vorsitzende der DVU vor. Der Vorgang ist symptomatisch für die immer flexiblere Neugruppierung im Rechtsextremismus und zeigt die potentielle Gefährlichkeit dieser Flexibilität. Der langjährig inhaftierte Rechtsextremist Worch bietet sowohl ehemaligen DVU Mitgliedern als auch Angehörigen von verbotenen militanten Kameradschaften und enttäuschten NPD Mitgliedern eine neue Heimat. Dieses Ansaugen krimineller Neonazis sollte eigentlich bürgerliche Wähler abschrecken. Aber obgleich die neuen alten Mitglieder dieser Partei die beste Gewähr sein müssten, dass auch ihr der Einbruch in breitere Wählerschichten nicht gelingt, so ist diese Neuschöpfung aus mehreren Gründen beunruhigend:
- der Name und das Logo kommen verharmlosend daher und bieten auch Anhängern rechtspopulistischer Strömungen Unterschlupf
- die Partei bekennt sich betont zur freiheitlich demokratischen Grundordnung und hat das DVU Parteiprogramm kopiert
- sie greift islam- und europafeindliche Strömungen konsequent auf und will bei den Europa- und Kommunalwahlen antreten
- es gelingt ihr, sich relativ rasch auszubreiten: Nach NRW und Hessen war Brandenburg der 3. Landesverband, der vierte in Niedersachsen wurde Ende Februar gegründet
- im Ruhrgebiet schießen Ortsvereine wie Pilze aus dem Boden und es wurde dort bereits vorsorglich eine Landesliste zur BTW aufgestellt – mit wohlbekannten militanten Mitgliedern der verbotenen Kameradschaften
- die neue Partei bietet keine Angriffsfläche für die Strafverfolgungsbehörden
Dies lehrt uns am heutigen „Tag zur Überwindung des Rassismus“: die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist eine Daueraufgabe, Priorität muss die Auseinandersetzung mit antidemokratischen und menschenverachtenden Einstellungen in der Bevölkerung haben.