- Es gilt das gesprochene Wort!
Anrede!
Es müssen fürchterliche Nächte gewesen sein, die die Einwohnerinnen und Einwohner von Städten wie Oranienburg durchstehen mussten, als die Alliierten vor mehr als 70 Jahren mit Luftangriffen die nationalsozialistische Diktatur in die Knie zu zwingen versuchten. Tausende starben, in ihren Häusern, auf der Straße oder auch in Luftschutzbunkern. Besonders tückisch dabei waren die sogenannten chemischen Langzeitzünder; sie konnten noch viele Stunden nach dem eigentlichen Abwurf der Bombe diese verzögert zur Explosion bringen, wenn sich die Zivilbevölkerung bereits wieder in Sicherheit wähnte.
Und nicht alle Bomben explodierten überhaupt. So haben wir es heute mit der Situation zu tun – wir diskutieren die Problematik mindestens jährlich hier im Landtagsplenum – dass alleine in der Stadt Oranienburg noch immer 300 Blindgänger in der Erde vermutet werden, die meisten davon ausgestattet mit eben jenem hochgefährlichen chemischen Langzeitzünder. In Potsdam wurden wir erst im letzten November Zeugen einer spektakulären Bombenentschärfung in der Nähe des Hauptbahnhofes. Bislang haben wir in Oranienburg, Potsdam, Cottbus und anderen Teilen Brandenburgs das Glück auf unserer Seite gehabt. Es kam bisher nur zu wenigen Selbstdetonationen (fünf in Oranienburg seit Ende des 2. Weltkrieges), bei denen glücklicherweise keine Menschen zu Schaden kamen und meist wurden die Blindgänger noch gerade rechtzeitig entdeckt, um unschädlich gemacht zu werden. Dies zu ermöglichen musste das Land in den vergangenen Jahren tief in die Tasche greifen. Die Entschärfung der Bombe in Potsdam erforderte nicht nur höchsten technischen Sachverstand, sondern auch eine breit angelegte Evakuierungsaktion und eine Sperrung des infrastrukturell so entscheidenden Hauptbahnhofs; allein für Räumungen in und um die Stadt Oranienburg werden jährlich etwa vier Millionen Euro aufgewandt.
All dies ist ein großes Rennen gegen die Zeit; wir sehen dringenden Handlungsbedarf. Je länger die Blindgänger im Boden liegen, desto höher die Gefahr der Korrosion und Selbstdetonation. Besonders für Privatgrundstücke gibt es bislang keine systematische Suche; kaum jemand wendet ohne konkreten Bauanlass das Geld auf.
Die im nun vorliegenden Antrag formulierte Aufforderung an die Landesregierung, sich für eine Verstetigung der finanziellen Unterstützung des Bundes zur Beseitigung ehemals alliierter Kampfmittel auf nicht bundeseigenen Liegenschaften über das Jahr 2019 hinaus einzusetzen, können wir daher nur mit aller Kraft unterstützen. Die bis 2015 geübte Praxis, dass sich der Bund nur für die Beseitigung sogenannter „reichseigener“ Kampfmittel verantwortlich fühlte, war den Menschen immer weniger plausibel zu machen. Es ist den Betroffenen herzlich egal, ob die Bombe, die in ihrer Kommune für Gefährdung und Aufregung sorgt, deutscher oder alliierter Herkunft ist. Bei der Beseitigung von Kriegsfolgeschäden finden wir den Ruf nach einer fairen Beteiligung des Bundes mehr als gerechtfertigt.
Unsere Unterstützung gilt auch für die weiteren im Antrag formulierten Forderungen. Besonders wichtig ist uns dabei allerdings nicht nur, dass die Kostenerstattungen des Bundes in voller Höhe an die jeweiligen Landkreise und Kommunen weitergeleitet werden, sondern auch, dass neben der erhofften Unterstützung aus den Mitteln des Bundes auch die landeseigenen Mittel in vollem Umfang aufrechterhalten, erforderlichenfalls auch ausgebaut werden. Im Jahr 2017 waren dies 12,4 Millionen Euro, für das Jahr 2018 sollen es 12,9 Millionen Euro sein.
Beim Thema Kampfmittelbeseitigung erscheint es mir aber auch geboten, sich nicht allein auf technische Fragen oder die Finanzierung zurückzuziehen. Wir leben in einer Zeit, wo das Wissen über unsere Geschichte erschreckend lückenhaft ist, wo es wieder möglich ist, den Zivilisationsbruch des Holocaust zu relativieren, Antisemitismus zu predigen oder auf die Kriegsverbrechen der Deutschen Wehrmacht stolz zu sein. Die Bedrohung durch die Bomben des letzten Krieges sollte uns aufrütteln, dass dies immer noch nicht allzu lange her ist und wir alles dafür tun müssen, um eine Wiederholung zu verhindern. Die Gefahren durch die Blindgänger müssen uns ständige Mahnung sein: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!