- Es gilt das gesprochene Wort !
Anrede!
Medikamententests beauftragt von westlichen Pharmafirmen, durchgeführt an Patienten und Patientinnen in der DDR, sorgen für Empörung und verlangen nach einer systematischen Aufarbeitung.
DDR-weit wurden 50.000 Testpersonen für nicht zugelassene Medikamente wie Blutdrucksenker oder Antidepressiva in über 600 Medikamentenstudien an mindestens 50 Kliniken herangezogen. Niemand weiß, ob diese Zahlen das Ende der Fahnenstange markieren oder gar erst deren Anfang.
Die Arzneimitteltests wurden beauftragt von Pharmafirmen aus der Bundesrepublik, der Schweiz und den USA. Bekannte Firmennamen wie Merck, Ciba-Geigy, Hoechst, Boehringer Mannheim und Sandoz sind unter den Auftraggebern zu finden. Die Auftragnehmer in der DDR vereinbarten die Klinischen Tests mit einem „Beratungsbüro“ – das dem DDR-Devisenbeschaffer Schalck-Golodkowski unterstand.
Noch in der Zeit von 1989 bis Oktober 1991 sollen Arzneimitteltests mit zwölf verschiedenen Wirkstoffen und mehr als 300 Patienten in Brandenburg beauftragt gewesen sein. Sechs Krankenhäuser in Potsdam, Cottbus, Frankfurt /Oder, Neuruppin, Bad Saarow sowie die Heilstätten Beelitz waren damit befasst.
2012 berichtete ein Fernsehteam des MDR von mehreren Testreihen, die abgebrochen wurden aufgrund von Todesfällen. Als Beispiel wurden Tests an einer Magdeburger Klinik mit dem ACE-Hemmer Spirapril angeführt. Nach Angaben der MDR-Autoren habe eine Sonderklausel im DDR-Arzneimittelrecht besagt, dass bei Phase-III-Studien (Anwendung am Menschen) auf die eigenhändige Unterschrift des Patienten verzichtet werden könne.
Ungeklärt ist bislang, ob die Patientinnen und Patienten Kenntnis hatten, dass sie als Testpersonen an Medikamentenstudien teilnahmen. Es spricht einiges dafür, dass die Betroffenen im Unklaren gelassen wurden. Mit Aufklärung oder Mitsprache war es im DDR-Sozialsystem nicht weit her: Die Opfer des DDR-Zwangsdopings erinnern heute immer wieder schmerzhaft daran. Wenn es um Goldmedaillen ging oder um Devisen, dann trat der Einzelne schnell hinter das Ganze zurück. Nicht nur bei Gefangenenverkäufen hat die DDR ihre Bürger regelmäßig „kapitalisiert“.
Die Firmen beteuern, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer seien aufgeklärt und hätten schriftlich in die Versuche eingewilligt. Laut dem „Verband forschender Arzneimittelhersteller“ (vfa) hätten Studien „dem damals Üblichen“ entsprochen.
Jedoch tauchen die Einwilligungserklärungen bisher weder in Akten des ehemaligen DDR-Gesundheitsministeriums noch in den Krankenhausarchiven noch bei den Pharmafirmen auf.
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr stellte klar, „Klinische Prüfungen (west-) deutscher Unternehmen in der DDR waren in der Bundesrepublik Deutschland weder anzeige- noch genehmigungspflichtig, noch unterlagen sie der Überwachung durch die Arzneimittelbehörden der Bundesrepublik. Dem BMG oder dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) liegen insoweit keine Zahlen über solche klinischen Prüfungen vor.“
Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen Arzneimitteltests in der ehemaligen DDR durchgeführt wurden, kann das BMG „keine Aussagen treffen!“ Es stellt aber klar, „Aufklärung und Einwilligung der betroffenen Patienten sind erforderlich.“ und „die Verantwortung für die Durchführung einer klinischen Prüfung liegt (auch heute) grundsätzlich beim Sponsor, in dessen Auftrag die Prüfung durchgeführt wird.“
Auftraggebende Pharmakonzerne, der Verband forschender Arzneimittelhersteller, Krankenhäuser, ärztliche Standesorganisationen, das Bundesgesundheitsministerium, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und die Länder- Gesundheitsministerien sind aufgefordert das Unterlaufen ethischer und rechtlicher Standards bei Medikamentenversuche rückhaltlos aufzuklären. Da bringt es auch nichts, wenn alle auf die anderen zeigen: die Länder auf den Bund, der Bund auf die Einrichtungen, die Konzerne auf kollektive Amnesie. Das Unterlaufen ethischer Standarts ist generell zu ächten, auch wenn heutzutage versucht wird, entsprechende Tests in Dritte-Welt-Ländern durchzuführen.
Die Landesregierung muss jetzt dafür sorgen, dass Patientenakten bzw. Dokumentationen der Arzneimitteltests von medizinischen Einrichtungen in Brandenburg gesichert werden. Sie muss jetzt dafür sorgen, dass Brandenburg am Forschungsprojekt des Bundes angemessen beteiligt wird. Und es spricht sicher auch nichts dagegen, einen Schritt weiterzugehen und es z.B. Thüringen gleichzutun und Arbeitsgruppen an den betroffenen Einrichtungen zu unterstützen.
Denn die Betroffenen haben ein Recht auf eine lückenlose Aufarbeitung; auch die Frage der Entschädigung bedarf einer grundsätzlichen Klärung. Bitte unterstützen Sie unseren Antrag, und sprechen Sie sich für eine wissenschaftliche und historische Aufarbeitung aus, in der geklärt werden kann, ob und in welchem Ausmaß Patientinnen- und Patientenrechte mißachtet wurden.